19. November 2023
Die Presseschau

Kommentiert werden der Besuch des türkischen Präsidenten Erdogan in Berlin sowie der Krieg im Nahen Osten. Zunächst geht es aber um die Haushaltspolitik der Bundesregierung. Das Bundesverfassungsgericht hatte in dieser Woche geurteilt, dass der Bund zur Bekämpfung der Corona-Krise gedachte Mittel nicht für den Klimaschutz nutzen darf.

Finanzminister Christian Lindner (r, FDP), Bundeskanzler Olaf Scholz (M, SPD) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (l, Bündnis 90/Die Grünen) geben ein Pressestatement.
Die Ampelkoalition muss ihre Haushaltspolitik ändern: Das Bundeserfassungsgericht hat die Klimarücklage gekippt. (picture alliance / dpa / Kay Nietfeld)
Dazu schreibt die WELT AM SONNTAG: "Die Schuldenbremse habe eine höhere Weisheit, so formulierte es Bundesfinanzminister Lindner, weil sie die Politik zu 'wirklicher Verantwortung' zwinge. Nun hat das höchste deutsche Gericht der Ampel attestiert, dass höhere Weisheit nicht ihre Stärke ist: Die Karlsruher Richter haben den zweiten Nachtragshaushalt 2021 für verfassungswidrig erklärt, weil er gegen die Schuldenbremse verstoße. Um es mit Lindners Worten zu sagen: Jetzt ist die Regierungskoalition zu 'wirklicher Verantwortung' gezwungen. Das Vorhaben, mit der Umschichtung von 60 Milliarden Euro den Klima- und Transformationsfonds zu füllen, ist gescheitert. Und damit ist auch die Erzählung der Ampel an ihr Ende gekommen, der Staat könne die finanziellen Härten der Transformation zu einer klimaneutralen Gesellschaft und Wirtschaft auffangen", unterstreicht die WELT AM SONNTAG.
Die BILD AM SONNTAG ist folgender Meinung: "Die Hoffnung der Bundesregierung war, dass Karlsruhe den Trick mit der Umwidmung der Corona- in Klimaschutzmilliarden lediglich für die Zukunft verbietet, der Ampel aber nicht die 60 Milliarden Euro aus der Hand schlägt. Denn nur mit ihrer Hilfe war es möglich, die Wünsche der SPD nach mehr Sozialstaat und der Grünen nach radikalen Klimamaßnahmen mit den Bedingungen der FDP - keine Steuererhöhungen sowie Einhaltung der Schuldenbremse - in Einklang zu bringen. Man könnte auch sagen: Ohne den kalkulierten Verfassungsbruch mit den Corona-Milliarden wäre die Ampelkoalition vielleicht gar nicht zustande gekommen", mutmaßt die BILD AM SONNTAG.
In einem Online-Kommentar des Nachrichtenmagazins DER SPIEGEL heißt es: "Das Spardiktat in Form der Schuldenbremse war viele Jahre lang das Mantra der CDU-geführten Bundesregierungen unter Kanzlerin Merkel. Bei Energiewende und Klimaschutz wurde jeder Euro zweimal umgedreht, gleichzeitig flossen jährlich Milliarden Euro an Subventionen in fossile Infrastrukturen. Die neue Regierung hat zumindest teilweise einen Aufbruch gewagt. Die Schuldenbremse ist zwar auch ein Mantra von Finanzminister Lindner, und auch die fossilen Subventionen gibt es weiterhin, aber die Ampel hat wichtige Weichen in Richtung Energiewende und Klimaschutz gestellt. Ein Teil davon finanziert durch den Klima- und Transformationsfonds, der diese Woche vom Bundesverfassungsgericht gekippt wurde. In ihm stecken rund 60 Milliarden. Wo soll das Geld jetzt herkommen? Vielleicht aus dem Topf für die fossilen Subventionen? Das wäre doch ein adäquater Ersatz", meint DER SPIEGEL.
Der Berliner TAGESSPIEGEL blickt auf den Besuch des türkischen Präsidenten Erdogan in der deutschen Hauptstadt: "Bundeskanzler Scholz wird es sicher als Erfolg verkaufen wollen, dass der türkische Präsident nicht wiederholte, was im Vorfeld der Visite größte Befürchtungen geweckt hatte. Mit großer Wahrscheinlichkeit ist auch viel Energie investiert worden, damit Erdogan Israel nicht erneut als 'Terrorstaat' bezeichnet und die Hamas-Mörderbande als eine Gruppe selbstloser 'Freiheitskämpfer'. Das Existenzrecht Israels stellte Erdogan ebenfalls nicht in Frage. Er bekannte sich aber auch auf Nachfrage nicht ausdrücklich dazu. Überhaupt hat er sich scheinbar genüsslich nah an das herangetastet, was er nicht sagen sollte: Er setzte beispielsweise in Israel gefangene Hamas-Terroristen mit den von ihnen in den Gazastreifen verschleppten Geiseln gleich. Für die Widerworte seines deutschen Gastgebers hatte Erdogan eine eher mitleidige Erklärung parat: Mit der historischen Bürde des Holocaust im Nacken sehe man in Berlin weniger klar als in Ankara. Das Gefasel vom deutschen 'Schuldkult', das Rechtsextreme gern im Munde führen, kam so zumindest indirekt im Kanzleramt an", analysiert der TAGESSPIEGEL.
Nun zum Krieg im Nahen Osten. In der schwedischen Zeitung DAGENS NYHETER ist zu lesen: "Ein kürzlich vom Fernsehsender CNN veröffentlichtes Video zeigt, wie leicht die Hamas an jenem verheerenden 7. Oktober in Israel eindringen konnte. Auch deshalb hat sich die Botschaft des israelischen Ministerpräsidenten Netanjahu spätestens jetzt als Luftschloss erwiesen, wonach seine harte Politik angeblich notwendig ist, um Israels Sicherheit zu gewährleisten. Die neuen Umfragewerte sind deshalb nicht überraschend: Nur noch wenige Israelis vertrauen Netanjahus Äußerungen und Entscheidungen im Krieg gegen die Hamas. Israel hat das Recht auf Selbstverteidigung, und die Hamas darf Gaza nicht länger als Terrorbasis nutzen. Das Ziel für Israel ist klar: Die Hamas soll zerstört werden. Aber was passiert dann mit Gaza? Das steht noch längst nicht fest. Die Pläne für eine Zweistaatenlösung klingen auf einmal furchtbar naiv. Nach tausenden Begräbnissen inmitten von Trauer und Wut sollen sich Israelis und Palästinenser auf etwas einigen, was jahrzehntelang unmöglich war? Nur: die Alternativen sind ebenso wenig gangbar. Israel als dauerhafte Besatzungsmacht in Gaza? Das würde Israels Glaubwürdigkeit als Demokratie untergraben – und dem Land nicht die Sicherheit verschaffen, die es verdient." So weit DAGENS NYHETER aus Stockholm.
"Die Einigkeit der UNO ist selten grösser, als wenn es gegen Israel geht", titelt die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG AM SONNTAG und erläutert in einem Gastkommentar: "Sie ist kurz und unmissverständlich: Die UNO-Resolution 3379 vom 10. November 1975 erklärt, 'dass der Zionismus eine Form von Rassismus und Rassendiskriminierung ist'. Knapp ein Jahr davor sprach der Anführer der Palästinensischen Befreiungsorganisation, Arafat, unter tosendem Applaus vor demselben Gremium und forderte, Israel die UNO-Mitgliedschaft zu entziehen. Resolution 3379 wurde zwar nach dem Ende des Kalten Krieges – gegen den Willen der arabischen Staaten – zurückgenommen, doch machen sich die Vereinten Nationen noch immer zu Komplizen antiisraelischer Kräfte. Dass selbst UNO-Generalsekretär Guterres davon sprach, der Anschlag vom 7. Oktober sei 'nicht im luftleeren Raum' geschehen, und die Generalversammlung zu einer Waffenruhe aufruft, ohne die Hamas zu verurteilen, schockiert, passt aber ins Gesamtbild. Die Liste antiisraelischer Tendenzen in der UNO ließe sich seitenweise fortschreiben. Angesichts dieser Voreingenommenheit können die Vereinten Nationen im Nahen Osten keine Vermittlerrolle spielen. Immerhin wird aber eines ganz deutlich widerlegt: die Macht einer angeblichen 'jüdischen Lobby'", hält die NZZ AM SONNTAG fest.
"Wie 'Fridays for Future' zum Nahost-Konflikt steht, war lange vor dem Massaker der Hamas klar", notiert die FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG und führt aus: "Der internationale Ableger warf Israel auf der Plattform X, vormals Twitter, schon vor Monaten 'Apartheid und Neokolonialismus' vor, sprach von 'Imperialismus' und verklärte palästinensische Terroristen zu 'Märtyrern'. Ein Beitrag endete mit den Worten 'Yallah Intifada!', einem Aufruf zum Widerstand, der Gewalt gegen Zivilisten mindestens duldet, wenn nicht gutheißt. Nach dem 7. Oktober ging es so weiter. Die Rede war von einem 'Völkermord' an den Palästinensern und von einer angeblichen 'Gehirnwäsche' westlicher Medien. Es war der Schlusspunkt einer langen Entwicklung. Man kann sich darüber streiten, ob das antisemitisch ist oder nur überzogene Kritik an Israel. Aber zu welchem Schluss man auch kommt, klar ist jedenfalls: Die Bewegung ist abgedriftet, sie ist politisch einseitig geworden. Damit hat sie sich selbst beschädigt und ihre Autorität in Klimafragen entwertet. Die bestand ja gerade darin, sich aus den politischen Grabenkämpfen herauszuhalten und das Ganze im Blick zu behalten." Das war zum Ende der Presseschau am Sonntag die FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG.