10. Dezember 2023
Die Presseschau

Die Zeitungen beschäftigen sich mit dem aufkommenden Populismus im Westen und mit der Lage in der Ukraine. Im Mittelpunkt steht zunächst jedoch die Rede von Bundeskanzler Scholz auf dem SPD-Parteitag in Berlin.

Bundeskanzler Olaf Scholz auf dem SPD-Parteitag in Berlin
Viele Kommentare beschäftigen sich mit der Rede von Bundeskanzler Scholz auf dem SPD-Parteitag in Berlin. (picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka)
Die LÜBECKER NACHRICHTEN vermerken: "Kraft und Zuversicht statt Depression – damit begeistert Bundeskanzler Olaf Scholz auf dem SPD-Bundesparteitag die Delegierten. Er flicht sogar ein seltenes Machtwort ein. Nun muss er diesen Schwung noch in die Koalition und ins Land tragen. Olaf Scholz hat eine bemerkenswerte Gabe: In bescheidenen Lagen den Eindruck der Gelassenheit erwecken, als lasse sich alles schon hinkriegen, als seien die anderen das Problem und er selbst Herr der wenn auch verzwickten Lage. Der Zuspruch zur Scholz’schen Politik laut Umfragen: ein Minusrekord. Kein offenkundiger Grund also für Optimismus – also eigentlich –, sondern eher für eine tiefe Depression. Aber nun auch noch eine depressive Rede des Kanzlers auf dem Bundesparteitag, das wäre da wohl das Letzte gewesen, was die SPD gebraucht hätte", schlussfolgern die LÜBECKER NACHRICHTEN.
Das Magazin CICERO äußert folgende Meinung: "Da die Option, 2025 einen Wahlsieg aus eigener politischer Stärke einzufahren, als zerstoben gelten kann, setzt Scholz also weiter auf die Karte Geschlossenheit. Dazu muss der eigentlich als konservativ geltende Sozialdemokrat seine Parteibasis weiter an sich binden. Und das tat er auf dem SPD-Bundesparteitag auch. Trotz aller finanziellen Schwierigkeiten stellte er klar, dass es mit ihm keinen Abbau des Sozialstaats in Deutschland geben werde. Das sagte Scholz vor allem mit Blick auf das Bürgergeld. Und die SPD-Basis war begeistert", analysiert der CICERO.
"Der Druck auf den Kanzler war riesig", hebt die RHEINISCHE POST hervor. "Seine Rede auf dem SPD-Parteitag am Samstag konnte aufgrund der großen Erwartungen eigentlich nur nach hinten losgehen. Doch diesmal hat Olaf Scholz geliefert. Jedenfalls für seine Partei, die manchmal zweifelt, ob in dem kühlen Norddeutschen eigentlich wirklich ein leidenschaftlicher Sozialdemokrat steckt. Dass er das ist, hat er beim Auftritt in Berlin bewiesen, die Genossen atmen erleichtert auf. Unter Druck wird Scholz besser. Noch kann er sich auf sich selbst verlassen, seine Zähigkeit ist sein größtes Pfund. Scholz kann sich mit einem Etappensieg über seine innerparteilichen Kritiker vom Parteitag verabschieden", lobt die RHEINISCHE POST aus Düsseldorf.
Die BERLINER MORGENPOST führt aus: "Das Jahr 2023 ist kein gutes gewesen für Olaf Scholz und seine Bundesregierung. Die erste Hälfte war bestimmt von dem öffentlichen Konflikt um das Heizungsgesetz, die zweite Hälfte endet nach dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts mit einer handfesten Regierungskrise. Klar ist bereits, dass die Ampelkoalition ohne einen Haushalt für 2024 in das neue Jahr schlittern wird. Oder wie ein Sozialdemokrat am Rande des SPD-Parteitags an diesem Wochenende sagte: 'Ein Scheiß­Ende für ein Scheißjahr.' Im Kreis seiner Genossinnen und Genossen ist Scholz jedoch eine Rede gelungen, die zumindest den Eindruck hinterlässt, dass der Kanzler den Willen hat, diese Krise zu bewältigen. Ob er auch die Kraft dazu hat, muss sich noch zeigen", schätzt die BERLINER MORGENPOST.
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG fragt, wie Scholz die Regierungskrise lösen kann: "Die Ampel ist und bleibt eine Mesalliance. Es wuchs auch in zwei Jahren nicht zusammen, was von Beginn an politisch unvereinbar war. Die Koalition muss viel zuviel ihrer Energie und Zeit auf die Bewältigung ihrer eigenen Krisen verwenden. Wie soll Scholz die Streithähne zur Ruhe bringen, wenn das Opium der Milliardenkredite nicht mehr zur Verfügung steht und die eigene Partei von ihm fordert, endlich einmal für die Ziele der SPD zu kämpfen? Man darf vermuten, dass Scholz dafür, wie für alles, einen Plan hat (den freilich wieder allein er kennt). Die Republik kann nur hoffen, dass der besser funktioniert als die Rohrkrepierer, die schon auf das Konto der Ampel gehen. Denn freiwillig aufgeben, dieser Hoffnung braucht sich niemand hinzugeben, werden dieser Kanzler und seine Koalitionspartner nicht." So weit die FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG.
Aus Sicht der österreichischen PRESSE AM SONNTAG haben die Streitthemen in Deutschland auch internationale Folgen. "Der Westen hat ein deutsches Problem. Jetzt wird jedenfalls wieder vom 'kranken Mann Europas' geredet. Das Krisengeheul mag übertrieben sein. Und Berichte über die Gefahr einer Deindustrialisierung führen schon deshalb in die Irre, weil diese Deindustrialisierung bereits vor Jahrzehnten begonnen hat. Sie könnte sich aber beschleunigen. Und dieser Abwärtstrend könnte früher oder später auch zu politischen Verwerfungen führen. Schon jetzt sind die Populisten links und rechts der Mitte, die Wagenknechts und Weidels, im Aufwind, unter anderem, weil das Migrationsthema wieder Konjunktur hat. Europas größte Industrienation hat sich viel zu lang auf ihren Erfolgen ausgeruht. Das rächt sich jetzt. Die wirtschaftliche Talfahrt könnte den Aufstieg von Populisten beschleunigen. Mit Folgen für den ganzen Westen", warnt die PRESSE AM SONNTAG aus Wien.
Auch der englische SUNDAY TELEGRAPH beschäftigt sich mit dem aufkommenden Populismus und glaubt, in vielen westlichen Ländern würden sich Menschen zunehmend von der Regierung im Stich gelassen fühlen: "An dieser Stelle kommen die populistischen Demagogen ins Spiel. Donald Trump in Amerika, Geert Wilders in den Niederlanden und die AfD in Deutschland: Persönlichkeiten und Botschaften, die eine offensichtliche Gefahr für eine Gesellschaft darstellen, gewinnen an Einfluss, indem sie für diejenigen zu sprechen scheinen, die von den restlichen politischen Stimmen verlassen wurden. Das ist nichts Neues. Aufstrebende Despoten der Neuzeit haben diese Karte schon immer gespielt: Niemand sonst versteht eure Unzufriedenheit, also werde ich für euch sprechen", erklärt der SUNDAY TELEGRAPH aus London.
Zur Lage in der Ukraine schreibt die schwedische Zeitung DAGENS NYHETER aus Stockholm: "Zum ersten Mal seit dem brutalen Überfall auf die Ukraine verspürt Putin Rückenwind. Der Grund dafür ist nicht etwa die Stärke Russlands, sondern die beklemmende Selbstzerstörung in Washington und Brüssel. Die jüngste Rede von Biden im US-Fernsehen enthielt eine glasklare Botschaft: Ohne weitere Unterstützung drohe der Ukraine eine Niederlage auf dem Schlachtfeld. Die USA stehen an der Schwelle zu einem Wahljahr, und das Repräsentantenhaus hat einen ultrakonservativen Sprecher. Für die Ukraine ist es allerdings eine Frage des Überlebens, und in Europa sollten alle Warnlampen aufblinken. Doch was tut die EU? Wenn auf dem Gipfel nächste Woche keine Einigung erzielt wird, droht das Einfrieren von Mitteln, ohne die der Ukraine ein Staatsbankrott droht. Für Putin und seinen Terrorkrieg zeichnet sich damit zum ersten Mal ein möglicher Sieg ab, weil der Westen ins Wanken geraten ist. Wie um alles in der Welt konnte es so weit kommen?" fragt DAGENS NYHETER aus Schweden ein.
"Der Westen muss schneller handeln", fordert der TAGESSPIEGEL. "Es sind Zahlen, die in Kiew Angst auslösen: Mehr als 100 Milliarden Euro Hilfen sind derzeit blockiert. Weder die EU noch die USA finden einen Kompromiss, sie freizugeben. Die beste Option für die Ukraine ist aktuell, die Front zu halten. Selbst dafür braucht sie umgehend Unterstützung. Auch wenn in der EU dafür politisch schmerzhafte Zugeständnisse an Ungarn und in den USA an den radikalen Teil der Republikaner nötig sind. Und die Ukraine braucht Perspektive. Europäische Länder müssen einen Notfallplan entwickeln, auch für den Fall, dass Donald Trump 2024 die US-Wahl gewinnt. Sie müssen eine Koalition der Willigen schmieden; zusammen mit Kanada, Japan und Südkorea vielleicht. Das Ziel: Die Rüstungsproduktion auf ein Niveau hochzufahren, das es der Ukraine dauerhaft erlaubt, zumindest die aktuelle Frontlinie weiter zu halten. Auch ohne US-Unterstützung", Mit diesem Kommentar des TAGESSPIEGELS endet die Presseschau.