12. Mai 2024
Die Presseschau

Kommentiert wird das Finale des Eurovision Song Contest, das von antiisraelischen Protesten begleitet wurde. Außerdem geht es um den Krieg im Nahen Osten und die Europareise von Chinas Staats- und Parteichef Xi.

Ein Mensch, der sich selbst als nicht-binär bezeichnet, hält die gläserne ESC-Trophäe mit der rechten Hand in die Höhe. Die Person trägt pink und orangefarbene Rüschen, hat einen dunklen, lockigen Kurzhaarschnitt und lacht übers ganze Gesicht.
Nemo aus der Schweiz hat den diesjährigen Eurovision Song Contest gewonnen. (AP / Martin Meissner)
Zum Sieg der Schweiz beim ESC im schwedischen Malmö schreibt die BASLER ZEITUNG: "Mit Nemos 'The Code' gewinnt ein Lied den ESC, das so überhaupt keinem gängigen Pop-Schema folgt, das jedoch trotzdem so ziemlich alles in sich vereint, was Popmusik so spannend macht: Unberechenbarkeit, Ohrwurmigkeit, Zeitgeist, Euphorie, Glam, Retro-Nostalgie, Eskapismus und eine Stimme, die so inbrünstig und staunenswert ist, dass es einem bei jedem Ton die Nackenhaare aufstellt. Doch dieser ESC wird nicht nur wegen Nemos Sieg in die Geschichte eingehen. 'United by music': Das Motto des diesjährigen Eurovision Song Contests wirkte zeitweise wie ein Hohn in Anbetracht des politischen Gepolters, welches das musikalische Geschehen übertönt hat. Die im Musikbetrieb lange Zeit verbreitete Weltverbesserungs-Fantasie kollidierte in Malmö frontal mit dem unromantischen Wahnsinn der Weltpolitik", bilanziert die BASLER ZEITUNG.
Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG kritisiert in diesem Zusammenhang den Veranstalter, die Europäische Rundfunkunion: "Die EBU wirkte die ganze Zeit über wie eine überforderte Lehrerin, die sich an ihr Buch klammert, obwohl die ganze Klasse längst außer Rand und Band ist. Bitte keine Politik! Es soll so ganz und gar ein unpolitisches Spektakel sein. Und die über 300 Publikumspunkte für Israel und die Ukraine, EBU? Kein Mensch wird ernsthaft behaupten können, dass bei diesem Voting Politik und Musik streng voneinander zu trennen sind, das waren internationale Solidaritätsgrüße genauso wie Respekt für die zwei guten Songs", befindet SZ ONLINE.
"Es war keine Überraschung, dass dieser Eurovision Songcontest schwierig, wenn nicht sogar problematisch werden würde", betont ZEIT ONLINE mit Blick auf die Proteste und Boykottaufrufe gegen das Teilnehmerland Israel: "Zu kaputt ist die Welt gerade, als dass man die Konflikte bei einem europäischen Liederwettbewerb einfach wegfeiern könnte. So viel Spaltung und Missklang wie in diesem Jahr gab es beim ESC wohl noch nie. Was in vielen Ländern derzeit an Universitäten passiert, macht auch vor den überwiegend jungen europäischen Teilnehmenden des angeblich unpolitischen Liederwettbewerbs nicht halt."
"Der globale Zeitgeist macht Israel zu einem Paria", bemerkt der OBSERVER aus London. "Das zeigt sich in den Campus-Protesten in den USA und Europa oder in den demoralisierenden Buhrufen für die israelische Sängerin Eden Golan beim Eurovision Song Contest. Israelische Akademiker werden von internationalen Foren ausgeschlossen. Stornierungen von Fluglinien erschweren das Reisen und verstärken das Gefühl der Isolation." Zu der von Israel angekündigten Militäroffensive auf die Stadt Rafah im Süden des Gazastreifens vermerkt die Zeitung: "Das Ziel, die Hamas als militärische Bedrohung für die israelische Zivilbevölkerung und den Staat Israel zu zerstören, mag an sich gerechtfertigt gewesen sein, aber die Regierung muss erst noch beweisen, dass sie dieses Ziel erreichen kann. Die Anzeichen deuten auf ein Scheitern hin."
"In Rafah wird ein 'humanitärer Albtraum', von dem UNO-Generalsekretär Guterres spricht, immer realistischer", befürchtet ASAHI SHIMBUN aus Tokio: "Die Menschen, die durch die bisherigen Kämpfe ihre Familien und ihr Zuhause verloren haben und nur noch ums Überleben kämpfen, werden durch weitere Gewalt erneut vertrieben. Dieses Unrecht darf nicht zugelassen werden. Eine sofortige Waffenruhe ist notwendig, um weiteres Blutvergießen zu verhindern. Die internationale Gemeinschaft muss alles dafür tun, um die israelische Offensive auf Rafah zu stoppen. Premierminister Netanjahu verspielt inzwischen sogar das Vertrauen von Israels wichtigstem Verbündeten, den USA", soweit die japanische Zeitung ASAHI SHIMBUN.
Die WELT AM SONNTAG stellt zur Drohung von US-Präsident Biden, Waffenlieferungen an Israel einzuschränken, fest: "Biden denkt weder an die Israelis noch interessieren ihn die Palästinenser. Die Furcht vor einer Wahlniederlage folgt ihm wie der Wächter dem Gefangenen. Um der eigenen Wählerschaft für die kommende Präsidentschaftswahl zu gefallen, betreibt er Außenpolitik als Fratzenschneiden im Spiegel der öffentlichen Meinung. Ruhe für die Region wird er damit nicht gewinnen. Die Hamas muss vernichtet werden, gleichgültig wie politisch unappetitlich Israels Premierminister Benjamin Netanjahu ist. Danach ist vieles möglich – auch Gutes. Will Amerika das Vorgehen im Gazastreifen menschenwürdiger gestalten, sollte es dafür sorgen, eine entmilitarisierte Zone außerhalb von Rafah einzurichten, die dorthin fliehenden Palästinenser zu versorgen und dieses Gebiet vor Angriffen mit eigenen Soldaten zu beschützen. Doch das geht nicht im Wahlkampf. Lieber gibt Biden den Moraltrompeter", bemängelt die Zeitung WELT AM SONNTAG.
Themenwechsel. Chinas Staatsoberhaupt Xi hat im Rahmen einer Europareise Frankreich, Serbien und Ungarn besucht. Die FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG notiert: "Die Reiseroute von Xi Jinping hat sichtbar gemacht, welche Interessen die Volksrepublik unter seiner Führung in Europa verfolgt. Wie immer setzten Wirtschafts- und Handelsfragen den öffentlichen Ton, aber das Leitmotiv war strategischer Natur. Xi wählte seine drei Aufenthaltsorte mit sicherem Gespür für die Bruchlinien auf dem alten Kontinent und im Westen insgesamt. In nur fünf Reisetagen führte Xi die Europäer auf mehr oder weniger subtile Weise vor und ließ sie in den eigenen, stumpfer werdenden Spiegel schauen. Der Kontinent, der sich so gerne als Modell für die Welt darstellt, ist widersprüchlich, schwach, unsolidarisch und in wesentlichen sicherheitspolitischen und ideologischen Fragen gespalten. China mag mehr wirtschaftliche Probleme haben als noch vor einigen Jahren, aber im großen, harten Spiel der Geopolitik können die Europäer von Xi einiges lernen", argumentiert die F.A.S.
Die türkische Zeitung KARAR kommt zu einem ähnlichen Schluss und spricht von einer Machtdemonstration Chinas: "Der Besuch in Frankreich, Ungarn und Serbien gibt einen Einblick in die ungewöhnliche chinesische Außenpolitik. Xi besuchte gezielt Länder, deren außenpolitische Strategien nicht mit denen der EU übereinstimmen. Auf diese Weise versucht das Land zu verhindern, dass sich der Westen insgesamt gegen China stellt. Zugleich wurden während des Besuchs wichtige Abkommen unterzeichnet, um Chinas Einfluss in Europa zu stärken. Das wichtigste dieser Abkommen ist das Eisenbahnprojekt zwischen Belgrad und Budapest. Eine chinesische Eisenbahn zwischen den beiden europäischen Hauptstädten ist nicht nur eine wirtschaftliche, technologische und politische Herausforderung, sondern auch eine Bestätigung der Macht Chinas", befindet KARAR aus Istanbul.
Hören Sie abschließend einen Kommentar der GULF TIMES aus Doha zur veränderten Parteienlandschaft in Deutschland und dem Erstarken der AfD: "Im vergangenen Jahr hat die wachsende Unterstützung für die rechtsextreme Alternative für Deutschland Befürchtungen aufkommen lassen, dass Deutschland auf die tiefste politische Krise seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs zusteuert. Ähnlich wie andere europäische Volkswirtschaften hatte sich auch Deutschland kaum von der globalen Finanzkrise 2008 erholt, als es von der Corona-Pandemie und der durch Russlands Einmarsch in der Ukraine ausgelösten Energiekrise hart getroffen wurde. Zwar wurde die AfD, die Anfang des Jahres in den Umfragen bundesweit bis zu 22 Prozent erreichte, in letzter Zeit durch Skandale erschüttert. Die wirksamsten Mittel gegen politischen Populismus bleiben jedoch ein robustes Wirtschaftswachstum, eine Politik für junge Menschen und ein hohes Maß an sozialer Mobilität."