19. Mai 2024
Die Presseschau

Kommentiert wird die Rolle der Rechtspopulisten in den Niederlanden und Schweden. Außerdem geht es um den neuen russischen Verteidigungsminister und um den Umgang mit pro-palästinensischen Demonstrationen an Unis.

Der niederländische Rechtspopulist Geert Wilders steht vor Journalisten und gibt ein Interview (15.05.2024)
Der niederländische Rechtspopulist Geert Wilders von der PVV (15. Mai). (IMAGO I ANP I Koen van Weel)
Zur neuen niederländischen Regierung um den Rechtspopulisten Wilders schreibt die NZZ AM SONNTAG: "Geert Wilders hat es geschafft. Seine Freiheitspartei hat sich mit der neuen Bauern- und Bürgerpartei, der rechtsliberalen Partei des langjährigen Regierungschefs von Mark Rutte und der Zentrumspartei NSC zusammengerauft, um gemeinsam die Niederlande zu regieren. 26 Jahre hat der Mann mit der seltsamen Frisur daran gearbeitet. Wilders’ Anti-Migration- und Anti-Islam-Partei wird als politische Kraft eingebunden. Klar ist, das zeigen auch die ersten politischen Pläne der Koalition, die Niederlande werden ihre Migrationspolitik verschärfen. Das wünschen sich die 2,5 Millionen Wähler, die für Wilders gestimmt haben. Besonders Junge verbinden die hohe Migration mit Problemen auf dem Immobilienmarkt. Wohnen ist unerschwinglich geworden. Die Europawahlen im Juni werden zeigen, wie stark Rechtsparteien vom Migrationsthema profitieren werden, mit welchen anderen Sorgen der Leute sie dieses auch immer verknüpfen. Das wird die Politik in Europa prägen, und das ist richtig so. Das ist Teil einer liberalen Demokratie", findet die NZZ AM SONNTAG aus Zürich.
Auch die WELT AM SONNTAG beschäftigt sich mit dem Rechtsruck in den Niederlanden: "Gemeinsam mit den routinierten Rechtsliberalen und zwei vollkommen neuen Parteien – der Bauernbewegung BBB sowie der christdemokratischen Abspaltung NSC – will Wilders nichts weniger als einen Bruch mit dem bisherigen Konsens. Der Koalitionsvertrag strebt eine strengere Asylpolitik an, dazu große Einsparungen beim staatsfinanzierten Fernsehen und das Ende für ehrgeizige Umweltpläne zur Reduzierung von CO2. Mit dieser markanten Richtungsänderung stellen sich die Niederlande gegen den Mainstream im Deutschland der Ampelkoalition. Der geplante „OptOut“ gegenüber europäischen Asylbeschlüssen würde auch bedeuten, dass Migranten in die Bundesrepublik zurückgeschickt werden. Hier sind Konflikte mit dem großen Nachbarn im Osten absehbar, genau wie beim erklärten Widerstand der Holländer gegen jede EU-Erweiterung. In Berlin wie in Brüssel wird man sich, wie früher gegenüber Polen, an den vom Wähler gewollten Rechtsruck beim Nachbarn gewöhnen müssen. Ein Kernpunkt für die Akzeptanz der Wilders-Koalition dürfte bei seiner Kehrtwende zur Unterstützung der Ukraine liegen. Offenbar haben die Koalitionspartner dafür gesorgt, dass von Verständnis für Putins Angriffskrieg keine Rede mehr ist", vermutet die WELT AM SONNTAG.
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG schaut auf die Regierung in Schweden und den Skandal rund um die Social-Media-Aktivitäten der rechtspopulistischen Schwedendemokraten: "Die Einbindung der Schwedendemokraten in die Regierungsarbeit ist offenkundig gescheitert. Die rechtspopulistische Partei betreibt einem Bericht zufolge anonyme Accounts in sozialen Netzwerken, auf denen Hass und Desinformation verbreitet, politische Gegner verächtlich gemacht und Migranten kriminalisiert werden. Die Regierungsparteien reagierten darauf mit Kritik. Doch Konsequenzen werden kaum gezogen. Zu abhängig sind alle von den Rechtspopulisten. Die waren der eigentliche Sieger bei der Wahl 2022, wurden zweitstärkste Kraft hinter den Sozialdemokraten. An die Macht aber kamen die drei Wahlverlierer aus Moderaten, Christdemokraten und Liberalen mittels eines Tricks: Sie bildeten eine Minderheitsregierung, gestützt von den Schwedendemokraten. Das war naiv. Zwar regieren die gemäßigten bürgerlichen Parteien formell unabhängig. Faktisch aber haben sie sich zu Geiseln der Rechtspopulisten gemacht. Diese prägen den Kurs in zentralen Bereichen wie der Migrationspolitik maßgeblich mit – und müssen zugleich nie Verantwortung übernehmen. Auch nun nicht, da sie klar gegen Abmachungen des Bündnisses verstoßen haben. Denn vereinbart war ein respektvoller Umgang. Doch im Netz wurde auch gegen die vermeintlichen Partner gehetzt. Kündigten diese jedoch das Bündnis auf, wären sie weg von der Macht", vermutet die FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG.
SPIEGEL ONLINE kommentiert die Absetzung des russischen Verteidigungsministers Shoigu: "Neuer Verteidigungsminister ist Putins Wirtschaftsfachmann Andrej Beloussow und seinem Herrn treuestens ergeben. Gerade diese Berufung zeigt: Eigentlich findet Putin, dass er keine Berater mehr braucht, die ihm womöglich widersprechen. Putin nimmt mit Beloussow im Amt die Rolle des Verteidigungsministers praktisch selbst wahr. Was Putin braucht, ist ein Diener, der dafür sorgt, dass in der Armee nicht gestohlen wird, dass das Militärbudget korrekt verausgabt wird. Andrej Beloussow ist ein Mann, zu dem Putin absolutes Vertrauen hat. Er ist ein effizienter Wirtschaftswissenschaftler, der weiß, wie man Geld zählt. Und das ist genau die Art von Person, die Putin in Zeiten des Krieges braucht. Die neue Zusammensetzung der Regierung bedeutet, dass Putin zum stalinistischen Prinzip 'alles für die Front, alles für den Sieg' zurückgekehrt ist. Denn von nun an ist die gesamte Regierung dem Krieg als oberstem Zweck verpflichtet. Der Chefvolkswirt des Landes wurde zum Militär geschickt – weil Putin glaubt, dass die Armee jetzt wichtiger als die Wirtschaft ist", stellt SPIEGEL ONLINE fest.
Der TAGESANZEIGER aus Zürich kritisiert den Umgang einiger Universitäten mit anti-israelischen Protesten: "Eine laute, teils extremistische Minderheit empört sich, die überwältigende, stille Mehrheit schüttelt den Kopf. Umso interessanter ist es, wie sich die Uni-Leitungen verhielten. Wie man es falsch macht, zeigte die Uni Lausanne. Statt das Protestcamp möglichst rasch zu räumen, liess sie Toleranz walten. Mit dem Resultat, dass die Aktivisten immer selbstbewusster wurden, ihre Zahl sich vergrösserte und sie noch eindringlicher auf ihren Forderungen beharrten. Bis die Uni-Leitung teilweise nachgab und ankündigte, die Zusammenarbeit mit israelischen Universitäten zu überprüfen. Die Besetzer feierten ihren Erfolg in einem ausführlichen Bericht, in dem sie Israel mehrfach einen 'Genozid' vorwerfen, einen 'Apartheidstaat' nennen und zu weiteren Boykotts aufrufen. Auch eine Liste mit den Namen von 15 Wissenschaftlern der Uni Lausanne sowie ihrer israelischen Partner, mit denen sie Forschungsprojekte betreiben, ist darin aufgeführt. Es ist nichts anderes als eine Prangerliste. Im Jahr 2024 in der Schweiz. Es ist ein perfides Machwerk, ein Dokument der Schande, das Folgen haben muss. Nicht für die darin angeprangerten Forscherinnen und Forscher, sondern für die mobbenden Aktivisten und die überforderte Leitung der Uni Lausanne", fordert der TAGESANZEIGER aus der Schweiz.
Der Berliner TAGESSPIEGEL kommentiert den anstehenden Machtwechsel in der Berliner SPD: "Viel Energie hat die Berliner SPD in den vergangenen Monaten in die Mitgliederbefragung zum neuen Landesvorsitz gesteckt. Nun hat die Partei nicht nur eine künftige Führung, die durch das basisdemokratische Votum besonders legitimiert ist, sondern mit Martin Hikel und Nicola Böcker-Giannini auch ein unverbrauchtes, siegreiches Duo. Sie können sich selbstbewusst als Gegenentwurf zu den bislang etablierten Kräften in den Parteigremien präsentieren. Symbolischer Neustart geglückt. Doch das ist nur der erste Schritt. Die eigentliche Aufgabe für die neue Spitze beginnt erst jetzt. Hikel und Böcker-Giannini müssen die Partei zusammenführen. Denn die Berliner SPD ist heillos zerstritten. Bei vielen Bürgern hat das über Jahre ein negatives Image der Berliner SPD geprägt. Umso wichtiger wird sein, wie es Böcker-Giannini und Hikel schaffen, als neues Kraftfeld in der Partei nun ihren Einfluss auch im Senat und Abgeordnetenhaus geltend zu machen. Bislang hat dort keiner von beiden einen Platz. Im schlimmsten Fall bleiben sie Königin und König ohne Land. Eine weitere Stimme in einer SPD, von der viele nicht wissen, wofür genau sie steht",