
Dazu heißt es in der österreichischen PRESSE AM SONNTAG: "Wenn die Österreicherinnen und Österreicher am heutigen Sonntag ihre Stimme abgeben, denken sie nicht zwangsläufig an Europa. Wie in allen anderen EU-Mitgliedstaaten auch geben meist innenpolitische Motive den Ausschlag. Ein bisschen gesamteuropäischer und gedanklich grenzübergreifender könnte die Wahl schon ablaufen. Es gab dafür einmal eine ziemlich gute Idee: das Spitzenkandidatenverfahren. Die Europäer und Europäerinnen sollten darüber abstimmen, wer an der Spitze der nächsten Kommission steht. Formal existiert dieses Modell noch immer. De facto allerdings erhielt es bei der letzten Europawahl 2019 ein Begräbnis erster Klasse. Denn Kommissionspräsident wurde damals nicht Manfred Weber, der Spitzenkandidat der siegreichen Europäischen Volkspartei (EVP), sondern seine aus dem Hut gezauberte Parteifreundin Ursula von der Leyen. Das kungelten sich unter der Regie des französischen Präsidenten Macron und des ungarischen Premiers Orbán die Staats- und Regierungschefs so in ihren Hinterzimmern aus", bemerkt die DIE PRESSE AM SONNTAG aus Wien.
"Europa muss sich vor allem wieder mit aller Kraft auf erfolgreiche Wirtschaftspolitik konzentrieren", fordert BILD AM SONNTAG: "Dann wären auch die Bürger wieder zufriedener mit Europa. Schließlich ist die EU entstanden aus einer Wirtschaftsunion, der Schaffung eines gemeinsamen Marktes für Kohle und Stahl. Und bis heute ist der Binnenmarkt unsere Hauptattraktion; freier Warenverkehr, Freizügigkeit für Personen und Dienstleistungen inklusive. Aktuell sieht es doch so aus: Bei uns stirbt alle paar Minuten eine Firma. Kein Wunder, dass für Amerika längst China der Hauptkonkurrent ist. Europa zählt nicht mehr wirklich. Aber die deutsche Handelspolitik wird längst weitgehend in Brüssel gemacht. Jeder Unternehmer kann ein Lied davon singen, welche Bedeutung Brüssel für seinen Erfolg oder Misserfolg hat", hält BILD AM SONNTAG fest.
Die türkische Zeitung CUMHURIYET notiert: "Seit Donnerstag geben die 373 Millionen Wahlberechtigten in der EU ihre Stimme ab. Die Niederlande haben den Anfang gemacht. Die ersten Prognosen von dort geben Anlass zu vorsichtigem Optimismus: Entgegen Vorhersagen hat die linke Koalition aus Arbeiterpartei und Grünen - wenn auch nur hauchdünn - die Wahl gewonnen und die Rechtsextremen geschlagen. Die niederländische Linke betonte, dies sei ein vielversprechender Anfang für die übrigen Staaten. Doch in Europa herrscht nicht Hoffnung, sondern Verzweiflung. Der unaufhaltsame Aufstieg der Rechtsextremen scheint eine reale Bedrohung zu sein", warnt CUMHURIYET aus Istanbul.
DAGENS NYHETER aus Schweden fragt: "Wo soll die Macht liegen - in Brüssel oder in Stockholm? So lautete oft die Frage in einem Europawahlkampf. Die Parteien wetteiferten darin, wer die schlagfertigsten Antworten hatte, wie man 'die Bürokraten' nur möglichst weit auf Abstand halten könnte. Das war schon immer verfehlt: Warum soll ein Land Mitglied in einer Union sein, wenn das nur bedeutet, dass man seine Macht abgibt? Inzwischen ist das erst recht absurd. Der Klimawandel, die Pandemie, die russische Invasion in der Ukraine: Das alles hat die EU-Länder unter Druck gesetzt, und sie haben mit einem Ausbau ihrer Zusammenarbeit reagiert. Rechts und links, bürgerlich und sozialdemokratisch - das waren einst die traditionellen Trennlinien. Heute verläuft die entscheidende Grenze zwischen den Europafreunden, die zusammenhalten wollen, und den Ultranationalisten, die die Union zerstören wollen", betont DAGENS NYHETER aus Stockholm.
"Was am Projekt Europa gelegentlich abstößt, ist die Mischung aus Zeigefinger, Pathos und Kitsch", kommentiert der TAGESSPIEGEL aus Berlin: "Nicht um das tägliche Leben einfacher zu machen und gemeinsam im Konzert der internationalen Mächte stärker zu sein, soll dieses Projekt gelingen, sondern weil Europa 'unser Schicksal' ist, ein 'Stabilitäts- und Friedensgarant', ein 'Ausdruck historischer Verantwortung'. Das klingt pädagogisierend. Zum Fremdeln hinzu kommen betuliche Mitmachveranstaltungen, Tage der Offenen Tür, Aufklärungsstände in der Einkaufspassage. Was aber immer deutlicher geworden ist seit der ersten Wahl zum Europaparlament: Zurück führt kein gangbarer Weg. Das Projekt Europa ist in einem Maße existenziell geworden, wie es vor 45 Jahren niemand ahnen konnte. So viel Pathos sei am Ende dann doch erlaubt", resümiert der TAGESSPIEGEL.
Themenwechsel. Die NZZ AM SONNTAG widmet sich dem Krieg im Gazastreifen und den jüngsten Bemühungen zur Beendigung der Kämpfe: "Als US-Präsident Biden vergangene Woche überraschend einen dreistufigen Plan für einen Waffenstillstand in Nahost vorstellte, nahm er große Worte in den Mund.Für einen Moment fragte man sich tatsächlich: Kommt jetzt die Wende? Denn Biden bezeichnete den Plan als 'israelischen Vorschlag'. Doch es dauerte nicht lange, bis klar war: Weder der israelische Ministerpräsident Netanyahu noch die Hamas stimmen dem Deal zu. Bidens Außenminister reist nächste Woche erneut nach Nahost, um für den Plan zu werben – die Chancen für einen Weg aus dem Krieg sind jedoch minim", glaubt die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG aus der Schweiz.
Die WELT AM SONNTAG meint zu Bidens Vorschlag: "Diplomatie besteht zur Hälfte aus Inszenierung. Aber manchmal ist die Inszenierung einer Initiative so übermächtig, dass sie vom eigentlichen Kern des Anliegens ablenkt. So verhält es sich auch mit dem Friedensplan, den US-Präsident Biden vorgelegt hat. Wer dessen Substanz betrachtet, erkennt, dass es dabei vor allem um die Wiederwahl des Präsidenten geht. Denn dieser Plan kann kaum dauerhaften Frieden bringen, vielleicht nicht einmal kurzzeitigen. Letztlich ist Bidens Inszenierung ein Kunstgriff nach dem Vorbild von William Shakespeare: ein Theater im Theater. Biden tut so, als greife er einen israelischen Vorschlag auf und macht dabei zugleich deutlich, dass er eigentlich Druck auf Israel ausüben will. Beides stimmt nicht, und doch wirkt es irgendwie charmant und wohlmeinend. Nur dient es weder den Menschen in Gaza noch der Sicherheit des Staates Israel", mahnt die WELT AM SONNTAG.
Jedes Jahr geben die Vereinten Nationen einen Bericht darüber heraus, wo Kinder besonders stark unter bewaffneten Konflikten leiden. Jetzt wurde Israel aufgenommen - zu Recht, findet HAARETZ aus Tel Aviv: "Somalia, Syrien, Myanmar - und Israel. Die Entscheidung von UNO-Generalsekretär Guterres, Israel auf die Schwarze Liste all jener Länder zu setzen, die Kindern massiven Schaden zufügen, hat unser Land schockiert. Wir und Syrien? Ja, wir und Syrien. Haben wir gedacht, dass die Welt stumm dabei zuschauen würde, wie unsere Armee tausende palästinensische Kinder tötet? Dass die UNO sich in Zurückhaltung üben würde? Ihre Rolle ist es aufzuschreien, und das hat sie jetzt getan. Wenn es um die Massentötung von Kindern geht, gibt es keine Entschuldigung. Die Kinder von Gaza - jene die überleben werden - werden niemals vergessen, was Israel ihnen angetan hat. Wie könnten sie auch?" So weit die israelische Zeitung HAARETZ.
Hören Sie abschließend noch einen Kommentar der FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG zur den Überschwemmungen in Süddeutschland: "Mit der Klimakrise leben lernen. Das müssen wir, sagen viele, die ihre Lehren aus der jüngsten Flut ziehen wollen. Im Süden, in der Mitte, im Westen und im Norden des Landes weiß jetzt jeder: Die Unwetterwarnung im Handy ist keine vage Gewitterprognose, sie warnt vor der nächsten möglichen Katastrophe. Vor Todesgefahren, vor Milliardenschäden, vor dem Ausnahmezustand. Und daran sollen wir uns gewöhnen müssen? Die Klimaforschung sagt: Es ist unvermeidlich. Neu ist das nicht. Deutschland hat mittlerweile ein Klimaanpassungsgesetz, auch Europa ist mit dem Aufbau von Klimaresilienz weit vorne. Doch bei der notwendigen Förderung und Umsetzung der Maßnahmen ist die Politik unschlüssig und rückständig. Das wird sich absehbar rächen." Mit dieser Einschätzung der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG endet die Presseschau.