23. November 2025
Die Presseschau

Kommentiert werden der jüngste US-Vorstoß zur Beendigung des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine sowie die despektierlichen Äußerungen von Bundeskanzler Merz über den Gastgeber der zu Ende gegangen Weltklimakonferenz - die brasilianische Stadt Belém.

Bundeskanzler Merz spricht bei der COP30 in Brasilien.
Bundeskanzler Merz bei der COP30 in Brasilien (picture alliance / ASSOCIATED PRESS / Fernando Llano)
Dazu schreibt die FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG: "Zugegeben, geglückt waren die Sätze nicht, die Merz auf einem Handelskongress über seinen Besuch auf der Klimakonferenz in Brasilien fallen ließ - zumal noch nicht einmal stimmte, was er über die mitgereisten Journalisten fallen ließ: dass sie allesamt so schnell wie möglich die Gastgeberstadt Belém wieder verlassen wollten. Aber viel bedeutsamer war doch, in welchen Kontext Merz das Beispiel stellte. Die Botschaft, die er den versammelten Unternehmern vermitteln wollte, lautete: Hört endlich auf, den Standort immer nur schlechtzureden. Das sind erstaunliche Töne für einen Mann, der im Wahlkampf den Zustand des Landes noch in den düstersten Farben zeichnete. Die jüngste Einlassung des Kanzlers erinnert an den späten Helmut Kohl, der sich kurz vor der Bundestagswahl 1998 trotz der Wirtschaftsprobleme optimistisch zeigte. Bald kämen Millionen Deutsche aus dem Urlaub zurück, so Kohl: 'Sie werden ein Land antreffen, in das sie gerne zurückkommen, das großartig ist und das sozialdemokratischer Miesmacherstimmung nicht entspricht.' Nur zur Erinnerung: Von einem 'Reformstau' sprach ein SPD-Kandidat namens Gerhard Schröder damals. Der Unterschied ist freilich, dass Kohl zu diesem Zeitpunkt schon 16 Jahre im Amt war, während Merz für seine Wandlung vom 'Alles ist Mist'-Reformer zum 'Alles gar nicht so schlecht'-Bewahrer gerade mal sechs Monate gebraucht hat", unterstreicht die FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG.
DER TAGESSPIEGEL aus Berlin nimmt das generelle Auftreten des Bundeskanzlers in den Blick: "Das alles hätte sich mal Olaf Scholz leisten sollen, diese ganzen verbalen Ausrutscher. Was hätte der sich alles anhören müssen. Aber vielleicht hatte der Ex-Kanzler schlicht recht: 'Fritze Merz erzählt gern Tünkram.' Tünkram heißt so viel wie Unsinn. Wobei: Die Ausrutscher des jetzigen Kanzlers sind womöglich keine. Eher wirkt es, als sei Merz ganz einfach so. Also heute so, morgen so. Fettnapf-Fritze: Jüngstes Beispiel sind seine abfälligen Worte über die Stadt Belém in Brasilien, Schauplatz des Klimagipfels. Die haben zu Empörung bis in die Staatsspitze geführt. Davor waren es seine harschen Worte an die JU wegen ihrer Position in der hiesigen Rentendebatte. Die haben auch mehr getroffen als die Jungen in der Union. Sie ziehen Kreise. Bei Merz muss immer einer hinterher erklären, was er vorher gar nicht gemeint haben will. Und dann will sich der Kanzler nicht mal damit auseinandersetzen. Sich entschuldigen erst recht nicht. Wer ihn nicht versteht, ist selber schuld. Gibt es keinen, der ihn berät, auf den er hört? Merz lässt so gar keine Neigung zur Selbstreflexion erkennen, zur Selbstvergewisserung", beobachtet DER TAGESSPIEGEL.
Die österreichische Zeitung DIE PRESSE AM SONNTAG führt aus: "Beim G20-Gipfel in Südafrika war Kanzler Merz wieder in seinem neuen Element. Der CDU-Vorsitzende gab den Außenkanzler und mahnte Russland, den Krieg in der Ukraine zu beenden. Davor schon war er in seine Paraderolle als Trump-Flüsterer geschlüpft und hatte 15 Minuten lang telefonisch auf den US-Präsidenten eingeredet, um die Schlagseite im amerikanisch-russischen Friedensdiktat auszutarieren. Details des Gesprächs drangen nicht nach außen. Merz kann auch diplomatisch sein, wenn er nicht gerade heilfroh ist, vom Klimagipfel aus Belém nach Deutschland zurückgekehrt zu sein, und das in einer Weise formuliert, die den brasilianischen Präsidenten zu einer empörten Replik veranlasst. Deutschlands Bundeskanzler macht auf internationaler Bühne alles in allem eine gute Figur. Innenpolitisch wirkt er aber angeschlagen. Mehr als die Hälfte der Deutschen ist mit seiner Arbeit unzufrieden. Merz muss langsam in die Gänge kommen, wenn er nicht als einer der schwächsten deutschen Kanzler in die Geschichte eingehen will", meint DIE PRESSE AM SONNTAG aus Wien.
Nun zu Russlands Krieg gegen die Ukraine. Die USA haben in dieser Woche einen 28 Punkte umfassenden Plan präsentiert, wie er beendet werden könnte. Die BILD AM SONNTAG notiert: "Kremlchef Putin fordert seit Langem, die Ukraine solle ihm für einen Friedensvertrag auch Gebiete abtreten, die seine Truppen bislang noch nicht erobert haben. Das hörte sich immer an wie Wunschträume eines Diktators, dem der Realitätssinn abhandengekommen ist. Doch seit dieser Woche wird dahinter eine furchtbare, ja teuflische Logik deutlich. Putin sieht seine Truppen auf dem Vormarsch, langsam, aber stetig. Und die Ukraine muss erkennen, dass sie auf absehbare Zeit nicht in der Lage ist, den Aggressor aus dem Land zu werfen. In dieser Situation lautet das brutale Ultimatum Putins: Entweder kapituliert ihr am Verhandlungstisch oder ich überziehe euch weiter mit Tod und Zerstörung. Gewicht bekommt dieses Ultimatum durch die Tatsache, dass US-Präsident Trump die Forderung nach Gebietspreisgaben der Ukraine in seinem Plan übernommen hat. Andererseits enthält der US-Vorstoß auch Positives, wie das Zugeständnis, dass die Ukraine der EU beitreten darf. Und die Russen sollen sich mit 100 Milliarden Dollar am Wiederaufbau der Ukraine beteiligen. Es ist also falsch, wenn die Europäer jetzt den Eindruck erwecken, die 28 Punkte seien eine reine Katastrophe", meint die BILD AM SONNTAG.
Die türkische Zeitung KARAR ist folgender Meinung: "Der US-Plan wurde offenkundig ohne die Europäische Union und vor allem ohne die Ukraine ausgearbeitet. Der ukrainische Präsident Selenskyj hat aber nicht viele Alternativen, als zuzustimmen. Angesichts der Tatsache, dass seine engsten Vertrauten mit Korruptionsvorwürfen in Höhe von 100 Millionen Dollar konfrontiert sind, steht er mächtig unter Druck. Er kann es sich schlicht und einfach nicht leisten, US-Präsident Trump zu enttäuschen. Wenn alles gut geht, wird aber nicht nur ein Krieg beendet, sondern auch die Ausweitung der NATO zumindest für eine Weile gestoppt und damit die Gefahr eines Atomkonflikts reduziert. Es ist unmöglich zu behaupten, dass der US-Vorstoß gerecht ist. Aber zumindest ist nicht alles an ihm schlecht", hält KARAR aus Istanbul fest.
Die Zeitung WELT AM SONNTAG sieht es so: "Die Welt kennt US-Präsident Trump nun lange genug, um zu verstehen, dass seine sprunghafte Unberechenbarkeit ein taktisches Mittel ist: Sie soll seine Gegner in Sorge über seine wahren Absichten halten. Mal wurde der ukrainische Präsident Selenskyj gedemütigt. Im Sommer hofierte Trump seinen russischen Kollegen Putin. Nun liegt ein Friedensplan vor. Man fragt sich: Wozu hat Trump all die Volten geschlagen? Der Plan ist ein schockierend parteiisches Dokument – und bestätigt die Befürchtungen, dass sich die USA und Russland über die Köpfe Europas hinweg die Hände reichen könnten."
Die NZZ AM SONNTAG aus der Schweiz hält fest. "Bis Thanksgiving soll der Ukrainekrieg also vorbei sein. Donald Trump verlangt von der Ukraine, bis dahin dem Friedensplan zuzustimmen – der eher einer Aufforderung zur Kapitulation gleicht. Der ukrainische Präsident Selenskyj deutete in einer Rede denn auch an, sein Land müsse nun zwischen dem Bewahren der Würde und einem wichtigen Verbündeten wählen. Die Ukraine ist in einer prekären Lage, die Russen sind jüngst an der Front schneller vorgestoßen als je zuvor, und Korruptionsskandale schwächen Kiew derzeit ungemein. Selenskyj wird sich diesem Diktatfrieden ohne Sicherheitsgarantien aber kaum fügen können. Die Europäer, die einmal mehr außen vor gelassen wurden, mögen sich ärgern, dass die Amerikaner erneut auf Russland hereingefallen sind. Hatte man doch gehofft, Trump verstehe endlich, dass der Krieg nur beendet werden könne, wenn der Druck auf Kremlchef Putin erhöht werde. Doch Trump wollte nie wirklich dem Schwächeren zur Seite stehen. In seinem Weltbild soll der Starke gewinnen."