10. März 2023
Die Presseschau aus deutschen Zeitungen

Kommentiert werden die Rücknahme des Agentengesetzes in Georgien und die Tarifauseinandersetzung bei der Deutschen Post. Doch zunächst zu den Plänen von Bundesgesundheitsminister Lauterbach, eine elektronische Patientenakte einzuführen.

Ein Arzt deutet auf einen Computerbildschirm, auf dem diverse Gesundheitswerte angezeigt werden
Blick in die elektronische Patientenakte (picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild/ Jens Kalaene)
Die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG bemerkt: "Ein Mensch hinterlässt im Laufe seines Lebens mit seinen Krankheitsgeschichten eine lange Spur, doch miteinander verknüpft wird bislang kaum etwas davon. Im Gesundheitswesen wird die verschlafene Digitalisierung in Deutschland besonders augenfällig. Doch kaum will Lauterbach jetzt Ernst machen und sie verbindlich für alle, die nicht widersprechen, bis zum Ende des nächsten Jahres einführen, melden sich zahlreiche Bedenkenträger wieder laut zu Wort. Ausgerechnet mit dem Argument, dass Lauterbach es mit dem Vorhaben nicht überstürzen sollte. Natürlich muss in diesem sensiblen Bereich der Datenschutz Priorität haben und das neue System vor allem einwandfrei funktionieren. Wenn es aber gelingt, wäre es ein Meilenstein für Patienten und Gesundheitssystem", hebt die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG hevor.
In der FREIEN PRESSE aus Chemnitz heißt es: "Worum es geht, zeigt ein einziges Beispiel: Etwa 250.000 Mal im Jahr müssen nach Angaben der Bundesregierung Patienten allein deshalb in die Klinik, weil es bei ihnen zu gefährlichen Wechselwirkungen von Medikamenten kam. Wenn aber Ärzte, Notfallsanitäter, Apotheker und Kliniken in der E-Akte sehen können, was jemand einnimmt und welches zusätzliche Präparat sich damit überhaupt nicht verträgt, lassen sich vielleicht nicht alle, aber sehr viele Medikationsfehler vermeiden. Noch aber können sich die meisten Bürger nichts unter der E-Akte vorstellen. Und unklar ist leider auch, welche Technik mehr als Hunderttausend Arztpraxen nutzen sollen, um die Akte einfach befüllen zu können. Die Ärzte hegen verständlicherweise große Skepsis", stellt die FREIE PRESSE heraus.
Die LAUSITZER RUNDSCHAU aus Cottbus kommt zu folgender Einschätzung: "Die Überlegung von Gesundheitsminister Karl Lauterbach, grundsätzlich jedem eine digitale Akte zu verordnen, ist richtig. In Österreich hat das dazu geführt, dass 97 Prozent aller Versicherten ihre Akte befüllen lassen. Was klare Vorteile hat: Wenn ein Arzt weiß, was ein anderer Mediziner behandelt und verordnet hat, spart das Zeit, Geld - und nützt der Gesundheit."
Die TAZ widerspricht: "Was Lauterbach derzeit plant, ein 'Wer schweigt, stimmt zu'-Modell– das ist Digitalisierung mit der Brechstange. Zumal mit dem Schweigen,wie es sich derzeit abzeichnet, ganz schön vielem zugestimmt werden soll:Nicht nur dem Zugriff für die Ärzt:innen. Sondern, so es keinen explizitenWiderspruch gibt, auch der Nutzung zu Forschungszwecken von Wissenschaft undIndustrie. Was angesichts dessen, dass sich Gesundheitsdaten praktisch nichtanonymisieren lassen, ebenfalls alles andere als trivial ist", urteilt die TAZ.
Nun zum Tarifkonflikt bei der Deutschen Post. Die NEUE PRESSE aus Coburg erklärt: "Mit großer Mehrheit haben die Postler für den unbefristeten Streik gestimmt. Jetzt muss in den kurzfristig anberaumten Verhandlungen bis zum Wochenende eine deutliche Verbesserung des Arbeitgeberangebots her, sonst kann die Gewerkschaftsführung nicht ohne Gesichtsverlust auf den großen Ausstand verzichten. Zu weit hat sie die Mobilisierung ihrer Mitglieder schon getrieben. Dies alles weiß Verdi-Chef Frank Werneke. Legt die Post nicht deutlich nach, wird er dem symbolträchtigen Kampf gegen die Milliarden-Gewinnler nicht ausweichen", ist die NEUE PRESSE überzeugt.
Die FRANKFURTER RUNDSCHAU führt aus: "Sensationelle Zahlen, der nächste Rekordgewinn – es läuft prächtig bei der Deutschen Post. So gut sogar, dass der Konzern seine Dividende erhöht, schließlich sollen auch die Aktionäre ihr Stückchen vom Kuchen bekommen. Seine schlecht bezahlten Beschäftigten aber lässt der Konzern zappeln. Das bisherige Angebot der Arbeitgeberseite reicht den Beschäftigten nicht, wie das deutliche Votum der Verdi-Mitglieder für einen unbefristeten Streik zeigt. Die Beschäftigten haben gute Argumente auf ihrer Seite. Aktionärinnen und Aktionäre sollen profitieren, die Packer, Sortiererinnen, Zusteller und Technikerinnen aber kaum? Da läuft etwas schief", konstatiert die FRANKFURTER RUNDSCHAU.
Im SÜDKURIER aus Konstanz ist zu lesen: "Niemand bestreitet, dass die gestiegenen Lebenshaltungskosten gerade den unteren Einkommensgruppen besonders zusetzen. Aber 15 Prozent Gehaltszuwachs wollen auch für einen glänzend dastehenden Arbeitgeber wie die Post erst einmal finanziert sein. Trotzdem, im Mäntelchen des notleidenden Brötchengebers kann der Konzern bei der Verhandlungsrunde heute kaum auftreten. Die Geschäftszahlen weisen neue Rekorde bei Umsatz und Gewinn aus. Warum also nicht eine Scheibe davon für die Beschäftigten abschneiden? Der Haken: Nicht sie haben dieses Ergebnis erwirtschaftet, das Geld kommt aus dem Auslandsgeschäft. Die Post wird es der Gewerkschaft unter die Nase reiben. Man wird sich irgendwo in der Mitte treffen müssen", befindet der SÜDKURIER.
Abschließend nach Georgien. Dort ist ein umstrittener Gesetzentwurf zurückgezogen worden, der Medien und Nichtregierungsorganisationen, die aus dem Ausland unterstützt werden, als Agenten eingestuft hätte. Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG kommentiert: "Am Ende stand die georgische Regierung doch sehr einsam da. Breite Teile der Gesellschaft, die Opposition sowieso, auch die Staatspräsidentin, aber vor allem viele Organisationen, Verbände, Studierende, Künstlerinnen, sogar Fußballklubs haben sich gegen die georgische Führung gestellt, gegen ihr geplantes "Agentengesetz". Denn das ist mehr als ein umstrittenes Regelwerk, in ihm hat sich die große Frage verdichtet, ob der Kaukasus-Staat sich von Europa abwendet. Nun hat Tiflis es nach der ersten Lesung zurückgezogen. Immerhin dies: ein vernünftiger, einsichtiger Schritt", meint die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG.
Der TAGESSPIEGEL aus Berlin warnt: "Diesen Machthabern ist nicht zu trauen. Sie werden versuchen, ihre schizophrene Politik fortzusetzen: in hohlen Phrasen von Europa und Demokratie reden, das Land aber in Richtung Moskau und autoritäre Herrschaft führen, um sich an der Macht zu halten. Die Demonstranten in Tiflis lassen sich von dem vorläufigen Rückzug offenbar nicht täuschen. Sie protestieren nicht einfach gegen eine Regierung, tatsächlich kämpfen sie gegen einen schleichenden Staatsstreich von oben. Georgiens Regierung ist ein neuerliches Beispiel für einen öfter beobachteten Vorgang: Die in demokratischen Wahlen siegreiche Partei nutzt nach dem Regierungswechsel ihre Mehrheit im Parlament, um die Verfassung zu brechen, die Demokratie auszuhöhlen, letztlich mit dem Ziel, sie zu beseitigen", vermerkt der TAGESSPIEGEL.
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG erläutert: "Das 'Agenten-Gesetz', das die Regierungspartei durchsetzen wollte, obwohl sie wusste, dass es die EU-Annäherung blockiert, ist ja nur ein besonders krasses Beispiel dafür, wie sie ihren Machterhalt über das in der georgischen Verfassung stehende Ziel der Westorientierung stellt. Es ist allein Sache der Georgier, ob sie diese Regierung oder eine andere wollen. Aber die Europäer dürfen den Machthabern nicht länger helfen, indem sie den Schein aufrechterhalten, Georgien bewege sich noch auf die EU zu. Mit seinem jetzigen Kurs geht Georgien dem Westen verloren. Nur wenn das klar ausgesprochen wird, kann es eine Wende geben", unterstreicht die F.A.Z.
Die Online-Ausgabe des CICERO notiert: "Zwischenbilanz nach mehrtägigen politischen Unruhen in Tiflis: Die Lage ist längst nicht stabilisiert. Unklar ist auch, ob ein Teil der zehntausenden Russen, die sich angesichts der Mobilisierung in Russland nach Georgien abgesetzt haben, nicht daran beteiligt war. Nicht alle dürften Kriegsdienstverweigerer sein. Sicher ist nur, dass die instabile Lage in Georgien einzig und allein Putin freut."