Donnerstag, 25. April 2024

16. März 2023
Die Presseschau aus deutschen Zeitungen

Deutschland hat im vergangenen Jahr sein Klimaziel knapp erreicht. Zu hoch sind die Emissionen weiterhin in den Bereichen Gebäude und Verkehr. Die RHEINISCHE POST kommentiert:

16.03.2023
Brandenburg, Meseberg: Volker Wissing (FDP), Bundesminister für Verkehr und Digitales, spricht.
Volker Wissing (FDP), Bundesminister für Verkehr und Digitales (Michael Kappeler/dpa)
"Deutschland hat auf dem Verkehrssektor komplett versagt. Als einziger Sektor hat er nicht nur sein gesetzliches Einsparziel verfehlt, sondern seine CO2-Emissionen im Vergleich zum Vorjahr sogar noch gesteigert – trotz Inflation und höherer Spritpreise. Verkehrsminister Wissing muss jetzt liefern. Mehr Schiene, weniger klimaschädliche Subventionen, Tempolimit und Verbrenner-Aus – der FDP-Minister wird diese Kröten schlucken müssen. Denn ohne mehr Klimaschutz verpuffen mit den natürlichen Lebensgrundlagen auch Wachstum und Wohlstand. Ebenso darf sich die FDP nicht weiter der Kürzung der steuerlichen Förderung von Dienstwagen und Dieselfahrzeugen verweigern. Auch beim Tempolimit muss sich die FDP bewegen: Neuere Studien zeigen, dass ein Tempolimit auf Autobahnen sehr wohl fühlbare CO2-Einsparungen brächte. Das parteipolitisch motivierte Nein zum Tempolimit passt einfach nicht mehr in die Zeit", mahnt die RHEINISCHE POST mit Sitz in Düsseldorf.
Auch die NÜRNBERGER NACHRICHTEN kritisieren den Verkehrsminister. "Schon im Herbst bekam Wissing für seine wenig ehrgeizigen Ziele schlechte Noten. Er verstößt permanent gegen den Koalitionsvertrag, der ausdrücklich Vorrang für Klimaschutz vorsieht und nicht für Straßenbau - den Wissing aber durchsetzen will, weil Prognosen mehr Individualverkehr vorhersagen. Experten kontern: Wer Straßen sät, wird Verkehr ernten. So fällt Wissings Zwischenzeugnis erwartbar mies aus."
DIe HEILBRONNER STIMME verweist auf den Zeitfaktor. "Verkehrsminister Wissing hatte im vergangenen Jahr den Ausbau von Ladesäulen und Radwegen sowie mehr Homeoffice als Gegenmaßnahmen vorgelegt. Bauministerin Geywitz wollte energieeffizientes Bauen und die Sanierung öffentlicher Gebäude fördern. All das konnte innerhalb eines Jahres nicht den gewünschten Effekt bringen. Es besteht die Gefahr, dass sich dieses Schauspiel nun jährlich wiederholt: zu viele Emissionen, Sofortprogramm, Maßnahmen, die nicht kurzfristig wirken. Das Klimaschutzgesetz braucht deshalb mehr Biss, um die Minister zum Handeln zu zwingen. Denkbar wäre, dass der Expertenrat das Sofortprogramm ergänzen darf und der Bundestag es beschließt. Der Energiesektor hat sein Ziel erreicht, obwohl Habeck mehr Kohlestrom möglich machen musste. Der Verkehr verfehlt sein Ziel krachend, weil Wissing sinnvolle Gegenmaßnahmen blockiert. Der Kanzler muss endlich klarmachen, dass Klimaschutz die Aufgabe aller Parteien seiner Regierung ist", verlangt der Kommentator in der HEILBRONNER STIMME.
Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG relativiert das Erreichen des Klimaziels. "Es begründet sich mit dem Sondereffekt des Ukrainekriegs, der die Energiepreise so stark steigen ließ, dass Industriebranchen wie die Metallverarbeitung oder Chemie ihre Produktion drosselten. Das sollte auf Dauer nicht die Lösung sein. Zudem müssen die Emissionen laut deutschem Klimaschutzgesetz und auch laut EU-Vorgaben in den kommenden Jahren drei Mal schneller sinken als bisher. Das wird nur gelingen, wenn alle mitmachen. Doch die FDP hat – offenbar mit der Unterstützung des Kanzlers – Gefallen daran gefunden, Maßnahmen zu torpedieren. Sie will offenbar nicht wahrhaben, dass Klimaschutz heute vor allem eine Frage der Geschwindigkeit ist. Ausgerechnet hier will sie ein Tempolimit setzen", moniert die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG.
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG warnt vor einem vollständigen Aus für den Kfz-Verbrennermotor. "Negativ wirkte sich der verstärkte Einsatz von Kohle auf die Klimabilanz aus. Nötig waren und sind die Fossilen nur deshalb, weil die Erneuerbaren niemals auf eigenen Füßen stehen können. Völlig unabhängig von den Solar- und Windkraftkapazitäten braucht es wegen des unsicheren Wetters konstant vorhandene Angebote, die nur Kohle und Gas liefern können - und die Kernkraft, die 2022 zum Glück auch noch am Netz war. In vier Wochen ist damit allerdings Schluss: zum Schaden der Versorgungssicherheit, der Autarkie, verträglicher Preise und des Klimas. Die Krisen zeigen, wie fahrlässig es ist, nur auf ein Pferd zu setzen. Das gilt auch für den Verkehr. Die Option 'Verbrenner mit E-Fuels' muss bestehen bleiben", glaubt die F.A.Z.
"Die Hoffnung, dass allein der technische Fortschritt uns vor tiefgreifenden Veränderungen bewahren wird, hat sich zerschlagen", bemerkt die AUGSBURGER ALLGEMEINE. "Wer ehrlich ist, muss zugeben, dass die Gesellschaft sich verändern muss, wenn sie es mit dem Umweltschutz erst meint. Im besten Fall kann das bedeuten, dass es der Wirtschaft gelingt, sich anzupassen, und durch Innovationen neues Wachstum zu erschaffen. Im schlechteren Fall wird das bedeuten, dass Klimaschutz und Wohlstand eben nicht Hand in Hand gehen werden, sondern es vielen Menschen künftig schlechter gehen wird", befürchtet die AUGSBURGER ALLGEMEINE.
Angesichts des Klimawandels hat die Bundesregierung eine nationale Wasserstrategie beschlossen. Die Zeitung ND.DER TAG, das frühere Neue Deutschland, vertritt folgende Ansicht: "Nach dem ordentlichen Regen in diesem Winter ist das Thema der drohenden Knappheiten aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden. Doch sauberes Wasser in ausreichender Menge kann auch in Deutschland in einigen Jahrzehnten nur noch mit einer erheblichen Kraftanstrengung gewonnen werden. Klimawandel und rücksichtsloser Umgang mit der Natur bedrohen die öffentliche Daseinsvorsorge. Politische Regulierung ist gefragt. Allerdings versucht es Ministerin Steffi Lemke allen recht zu machen: Hausbesitzern wie Landwirten, kommunalen Wasserwerken wie Energiewirtschaft." Das war die Zeitung ND.DER TAG.
"Die vorgelegte nationale Wasserstrategie greift zu kurz", lautet der Kommentar in den BADISCHEN NEUESTEN NACHRICHTEN aus Karlsruhe. "Sie wirkt nicht so, als hätte das Thema für die Bundesregierung Priorität. Sondern so, als bliebe es Gedöns. Natürlich ist es schwer, die vielfältigen Interessen zu berücksichtigen. Doch genau so liest sich die Wasserstrategie in weiten Teilen auch. Sie wirkt wie der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich die Beteiligten einigen konnten."
Und die MÄRKISCHE ODERZEITUNG aus Frankfurt/Oder ergänzt: "Es gab keinen Grund, hinter den eigenen Ansprüchen zurückzubleiben. Der Anteil der Wasserentnahme seitens der Landwirtschaft wird sehr niedrig angesetzt, und dass im Zweifel die Trinkwasserwasserversorgung der Bevölkerung Priorität hat, wenn Großbetriebe auf die zugesicherte Wasserentnahme pochen, wäre besser mit Schärfe ins Papier geschrieben worden."
Der israelische Ministerpräsident Netanjahu wird heute in Berlin von Bundeskanzler Scholz empfangen. Überschattet wird das Treffen von der umstrittenen Justizreform in Israel. Der KÖLNER STADT-ANZEIGER stellt fest: "In Israel ist unter der rechtsreligiösen Regierug nichts Geringeres als die Demokratie in Gefahr. Olaf Scholz muss das in seinem Gespräch mit ihm offen und öffentlich ansprechen. Nicht sein Korruptionsverfahren könnte Netanjahu demnach das Amt kosten, sondern lediglich noch gesundheitliche Gründe. Und Entscheidungen des Obersten Gerichts könnten mit einfacher Mehrheit des Parlaments aufgehoben werden. Das ist autokratisch. Und durch den Ausbau des jüdischen Siedlungsbaus wird noch etwas zerstört, worauf Deutschland lange gesetzt hat: Eine Zwei-Staaten-Lösung mit den Palästinensern", vermerkt der KÖLNER STADT-ANZEIGER.
"Jede Debatte über unser Verhältnis zu Israel ist von den Albträumen der Vergangenheit überschattet", heißt es in der STUTTGARTER ZEITUNG. "Historische Verantwortung und das Bekenntnis zu einer ihr geschuldeten Erinnerungskultur sind aber keine Hemmschwellen, die einem offenen Dialog entgegenstehen. Die Last unserer Geschichte macht Israel gegen Kritik aus Deutschland nicht immun. Es sei 'keine wahre Freundschaft', so der römische Philosoph Cicero, 'wenn der eine die Wahrheit nicht hören will'."