Sonntag, 12. Mai 2024

17. März 2023
Die Presseschau aus deutschen Zeitungen

Neben der Wiederwahl von Fifa-Präsident Infantino und der umstrittenen Rentenreform in Frankreich beschäftigen sich die Kommentare mit dem Deutschland-Besuch des israelischen Regierungschefs.

17.03.2023
Die Politiker Benjamin Netanjahu und Olaf Scholz stehen mit gesenkten Köpfen vor dem Mahnmal Gleis 17 in Grunewald.
Israels Premier Netanjahu und Kanzler Scholz (re.) beim Besuch der Gedenkstätte "Gleis 17" am Bahnhof Grunewald im Westen Berlins. (imago / Christian Spicke)
Der TAGESSPIEGEL fragt: "Was er hier wollte, Benjamin Netanjahu, der neue, alte Premierminister Israels? In jedem Fall gut Wetter machen. Denn die Verbündeten sind in Sorge wegen der Politik der rechts-religiösen Koalition in Jerusalem. Die Sorge ist nicht geringer geworden. Da konnte Bundeskanzler Olaf Scholz noch so deutlich werden. Netanjahu, den Hartgesottenen, beeindruckt das in aller Regel wenig. Die Entmachtung des Obersten Gerichtshofs ist beschlossene Sache. Zumindest bis jetzt. Dass in Israel Richter nur noch mit einer Regierungsmehrheit ernannt werden. Dass das Parlament Urteile des Gerichtshofs zurückweisen kann. Kurz: dass die rechts-religiöse Koalition an der Gewaltenteilung rührt - für Netanjahu hätte genau das auch persönlich Vorteile. Wer kann ihn dann noch wegen Korruption belangen, wenn seine Regierung so viel Macht auf sich vereint? Äußerst schwierig wird das Austarieren. Einerseits ist und bleibt der Schutz Israels Staatsräson für die Bundesrepublik Deutschland. Andererseits kann eine solch antidemokratische Tendenz nicht widerspruchslos übergangen werden", vermerkt der TAGESSPIEGEL.
Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG begrüßt, dass die Bundesregierung dann doch noch zur Justizreform in Israel kritisch Stellung bezogen habe, allerdings: "Was fehlte, aber vom Kanzler zu Recht zu erwarten gewesen wäre: ein klares Bekenntnis zur Zwei-Staaten-Lösung und Kritik am Siedlungsbau, den diese israelische Regierung vorantreibt. Im Sinne der von Deutschland postulierten wertegeleiteten Außenpolitik hätte es auch deutsche Worte zum rechtswidrigen Vorgehen der israelischen Besatzungsmächte und der Siedler im Westjordanland und in Ostjerusalem geben müssen. Es gab auch keine Wortmeldung dazu, dass Rechtsextremisten und Rassisten nun Ministerämter ausüben. Insofern hat sich Olaf Scholz dann doch um eine klare Stellungnahme zu den Vorgängen in Israel gedrückt", bilanziert die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG.
Aus Sicht der TAGESZEITUNG hat Kanzler Scholz mit dem Empfang Netanjahus der israelischen Demokratiebewegung geschadet. "Er übergeht damit israelische Intellektuelle, die in einem offenen Brief darum baten, den Besuch abzusagen. Scholz sagte bei seinem Auftritt mit Netanjahu, dass man den Siedlungsbau und die Justizreform 'mit Sorge' beobachte. Ansonsten freute er sich, die militärische Zusammenarbeit auszubauen. Netanjahu lächelte in die Kameras, er kann zufrieden sein. Und die mahnenden Worte werden verpuffen wie in all den Jahren zuvor. Deutschland hat eine Verantwortung gegenüber Israel, aber nicht gegenüber den PR-Interessen ihres Regierungschefs", meint die TAZ.
Der SÜDKURIER aus Konstanz vertritt diese Ansicht: "Freunde erkennt man daran, dass sie einem die Wahrheit sagen, auch wenn sie unbequem ist. Im Fall Israels gibt es nichts herumzudrucksen und nichts wegzulächeln. In der neuen Regierung von Benjamin Netanjahu sitzen Rechtsextremisten, religiöse Fanatiker und andere dubiose Kräfte, die Demokratie und Gewaltenteilung offen bekämpfen. Ihr Versuch, die Unabhängigkeit der Justiz zu untergraben, stößt zu Recht auf Widerspruch – auch bei Israels Partnern im Ausland. Deshalb ist es gut, dass Kanzler Scholz im Gespräch mit Netanjahu ein offenes Wort nicht scheute. Alles andere wäre ein Affront gegen die israelische Zivilgesellschaft gewesen, die seit Wochen gegen die Regierungspläne Sturm läuft", argumentiert der SÜDKURIER.
Die FRANKFURTER RUNDSCHAU zieht folgendes Fazit: "Das Beste, was man über den Besuch des israelischen Regierungschefs Benjamin Netanjahu in Berlin sagen kann: Der große Skandal ist ausgeblieben. Olaf Scholz hat seine 'große Sorge' über die Justizreformpläne von Netanjahus Regierung geäußert, niemand kann sagen, der Kanzler habe sich weggeduckt. Allerdings kann auch niemand sagen, dass Netanjahu nachhaltig beeindruckt sein dürfte von diesem Kanzler und seiner klaren Sprache. Netanjahus rechts-religiöses Regierungsbündnis in Israel macht einfach weiter, die Proteste werden ausgesessen, die internationale Empörung zur Kenntnis genommen. Der Bundesregierung fällt es noch immer schwer, einen angemessenen kritischen Umgang mit israelischer Regierungspolitik zu finden. Das ist historisch nachvollziehbar, aber bleibt ein ungelöstes Problem," schreibt die FRANKFURTER RUNDSCHAU.
Nun nach Frankreich. Den Streit um die Rentenreform kommentiert die VOLKSSTIMME so: "Präsident Emmanuel Macron facht das Feuer noch mal richtig an, indem er das Gesetz ohne Abstimmung durch die Nationalversammlung peitscht. Das ist in Frankreich nicht verboten, nimmt dem Gesetz aber die parlamentarische Legitimation. Macron musste um die Zustimmung der Republikaner für sein Lieblingsprojekt fürchten, deshalb die Sicherheitsvariante. Die Absegnung der Reform sollte Stabilität schaffen und unruhige Wochen in Frankreich beenden. Jetzt dürfte es erst richtig zur Sache gehen. Auf den Straßen, wo neue Massenproteste das Gesetz versenken könnten", folgert die VOLKSSTIMME.
Nach Einschätzung des REUTLINGER GENERAL-ANZEIGERS hat der französische Präsident nur einen Scheinerfolg errungen: "Denn bei der Rentenreform ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Macrons Regierung muss mit einem Misstrauensvotum rechnen. Noch schwerer wiegt aber der Vertrauensverlust, den sich der Präsident selbst zugefügt hat. Eine so wichtige und umstrittene Sozialreform, ohne echte politische Legitimation durchzudrücken, ist ein fataler Fehler. Macron hat sein Land in die Krise gestürzt und sein Image als Pragmatiker und Erneuerer eines festgefahrenen politischen Systems dauerhaft beschädigt", urteilt der REUTLINGER GENERAL-ANZEIGER.
Mit Blick auf Macrons weitere Amtszeit erwartet die BADISCHE ZEITUNG aus Freiburg: "Er wird in den nächsten vier Jahren kaum noch etwas durchsetzen können. Selbst in den eigenen Reihen bröckelt die Unterstützung für die Pläne des Präsidenten, der damit zur lahmen Ente zu werden droht. Rund zwei Drittel der Französinnen und Franzosen lehnen die Rentenreform ab. Nicht nur, weil sie länger arbeiten müssen. Sondern auch, weil die Reform sozial ungerecht ist. Trotz Ausnahmeregeln trifft die Rente mit 64 nämlich vor allem diejenigen, die nicht studiert haben: Kassiererinnen, Handwerker, Bauarbeiter. Der Bruch zwischen Eliten und Volk, der schon die Gelbwesten-Proteste prägte, wird damit erneut sichtbar." So weit die BADISCHE ZEITUNG.
Nun noch Stimmen zur Wiederwahl von Fifa-Präsident Infantino. Die FREIE PRESSE aus Chemnitz erläutert: "Gestartet war er einst mit großspurigen Versprechen: Dem Weltfußball-Verband nach den Blatter-Jahren wieder das Ansehen, die Moral, die Stellung in der Gesellschaft geben, die er verdient. Die Fifa wieder zur sauberen Organisation machen. Doch von all den Versprechungen setzte Infantino überhaupt gar nichts um. Im Gegenteil: Die Fifa wurde unter dem Schweizer noch korrupter, noch größenwahnsinniger und noch unmoralischer, als man das jemals für möglich gehalten hätte. Und es ist eine Schande, dass der Deutsche Fußball-Bund mit so vielen anderen großen Verbänden nicht viel entschlossener gegen die Machenschaften des 52-Jährigen und seine Wiederwahl ohne Gegenkandidaten vorgegangen ist", kritisiert die FREIE PRESSE.
Der KÖLNER STADT-ANZEIGER vertritt diese Ansicht: "Infantinos System heißt Macht durch Expansion. Dafür lässt er das Teilnehmerfeld der WM aufstocken, dafür spielt er mit den Träumen derer, die es sonst nie zu einer Endrunde schaffen würden, verteilt Zuwendungen zur Förderung des Fußballs. Das kostet Geld, viel Geld. Solange der Schweizer es verteilen kann, weil es durch immer größere WM-Endrunden und immer neue Wettbewerbe reichlich fließt, wird er seine Unterstützer finden. Für diejenigen, die bei seiner Wiederwahl nicht mitgeklatscht haben, sind das keine guten Aussichten."