23. März 2023
Die Presseschau aus deutschen Zeitungen

Die Zeitungen beschäftigen sich mit dem Streit in der Ampelkoalition über das Tempo der Reformen und mit dem Fernsehauftritt von Frankreichs Präsident Macron nach der beschlossenen Rentenreform. Wichtigstes Thema ist aber die Razzia in der Reichsbürgerszene, bei der ein Polizist angeschossen wurde.

Baden-Württemberg, Reutlingen: Ein Mitarbeiter des Bundeskriminalamts trägt eine Kiste. Bei einer Durchsuchung im Auftrag der Bundesanwaltschaft ist im baden-württembergischen Reutlingen ein Beamter eines Spezialeinsatzkommandos (SEK) durch einen Schuss verletzt worden.
Durchsuchungen bei sogenannten "Reichsbürgern" in Reutlingen. (Marijan Murat/dpa)
Die FRANKFURTER RUNDSCHAU warnt: "Die selbst ernannten Reichsbürger sind eine Gefahr für den Staat, den sie ablehnen oder negieren. Viele von ihnen sind bewaffnet und ihr Netzwerk in extrem rechte Kreise ist nicht zu unterschätzen. Zu lange hat die Öffentlichkeit sie für Spinner gehalten und zu lange haben die Behörden gezögert, sie zu dem zu erklären, was sie sind: eine Gefahr für die Sicherheit. Es ist wichtig, diese Gefahr im Keim zu ersticken, mit einem Durchgreifen der Polizei wie bei der aktuellen Razzia. Wer ihrem Treiben aber den Boden entziehen will, braucht mehr: Erziehung zu Demokratinnen und Demokraten, Beteiligungsmöglichkeiten für viele und den Kampf gegen Fake News und Hassreden," folgert die FRANKFURTER RUNDSCHAU.
Die FRANKURTER ALLGEMEINE ZEITUNG sieht den demokratischen Rechtsstaat nicht in Gefahr, betont aber: "Diejenigen, die sein Ende herbeisehnen oder an seiner Abschaffung arbeiten, sind nicht zu unterschätzen. Es ist eben doch nicht so, wie manche spöttisch bemerkten, dass es sich bei der unlängst verhafteten Gruppe nur um eher spinnerte Nostalgiker mit veralteten Jagdwaffen handelte. Es besteht ein Netz. Dessen Größe bleibt unklar. Wer meint, eine patriotische Gesinnung sei fragwürdig und meldepflichtig, hat das Grundgesetz selbst nicht verstanden. Ein Patentrezept gibt es nicht, aber dass Gewalt bekämpft werden und eine wahrhaft freie Debatte gepflegt werden muss, sollte klar sein," findet die F.A.Z.
Der SÜDKURIER aus Konstanz verweist darauf, dass ein Polizeibeamter bei einer Razzia angeschossen wurde: "Baden-Württembergs Innenminister Strobl spricht zu Recht von einem lebensgefährlichen Einsatz. Viele Reichsbürger verschanzen sich auf ihren Grundstücken, einige von ihnen besitzen Waffen - und so wie der Schütze von Reutlingen offenbar völlig legal. Noch immer können Privatleute in Deutschland einen Waffenschein beantragen, ohne ihre psychische Gesundheit nachzuweisen," beklagt der SÜDKURIER.
Ähnlich äußert sich die SÜDWEST PRESSE aus Ulm: "Der Fall so kurz nach dem Amoklauf von Hamburg zeigt auch, wie dringend die Debatte um den Waffenbesitz in Deutschland geführt und neu justiert werden muss: Wirrköpfen und Extremisten fällt es noch immer zu leicht, sich als angebliche „Sportschützen“ legale Arsenale für ihre eigenen Zwecke anzulegen. Bei der Reform des Waffenrechts muss es das klare Ziel sein, Feinden des Staates den staatlichen Segen für Waffenbesitz zu entziehen," notiert die SÜDWEST PRESSE.
Der REUTLINGER GENERAL-ANZEIGER findet dagegen: "Mit einem Generalverdacht gegen die Mitglieder von Schützenvereinen sollten Politiker allerdings vorsichtig sein. Von ehrenamtlichen Vereinsvorsitzenden kann nicht erwartet werden, dass sie jedes Mitglied auf seine Gesinnung hin überprüfen. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht kürzlich festgestellt, dass Sportvereine ein Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung in ihre Satzung aufnehmen und bekannte Verfassungsfeinde ausschließen dürfen," so weit der REUTLINGER GENERAL-ANZEIGER und so viel zu diesem Thema.
Die Zeitung DIE WELT äußert sich zum andauernden Streit in der Ampelkoalition über das Tempo von Reformen: "Wirtschaftsminister Robert Habeck hat sich im Fernsehen über den Zustand der Bundesregierung beklagt. Eine Regierung ist kein Freundeskreis. Das musste nun auch Wirtschaftsminister Habeck lernen. Er zeigte sich in einem 'Tagesthemen'-Interview 'ein bisschen alarmiert' über die mangelnde Einigkeit im Kabinett und erinnerte fast schon beleidigt an den Auftrag der Koalition, 'was zu leisten'."
Die LUDWIGSBURGER KREISZEITUNG stellt fest: "In Jahr zwei der Ampel regiert weiter der Zoff. In diesem Fall ist der Fortschritt der selbst erklärten Fortschrittskoalition eine Schnecke. Erneut Grüne gegen FDP. Oder umgekehrt. Streit gibt es über: Aus für den Verbrennermotor bei Neuwagen ab 2035, Aus für den Einbau neuer Öl- und Gasheizungen, elf Milliarden Euro für die Kindergrundsicherung gegen Kinderarmut, schnellere Planungsverfahren im Hochbürokratieland Deutschland bei Schiene, Brücken, Netzausbau. Ein nächster Koalitionsausschuss soll Klärung und Klarheit bringen. Hoffentlich. Denn Stillstand können sich weder die Parteien der Fortschrittskoalition noch das Land leisten", meint die LUDWIGSBURGER KREISZEITUNG.
Die LEIZIGER VOLKSZEITUNG vertritt diese Ansicht: "Habeck hat Recht, wenn er den schlechten Zustand der Koalition beklagt. Es ist peinlich, dass ausgerechnet Deutschland auf EU-Ebene zum Bremsklotz für das Aus von Verbrennermotoren wird, indem es überraschend auf eine Regelung für energiepolitisch durchaus fragwürdige synthetische Kraftstoffe pocht. Formal ist FDP-Verkehrsminister Volker Wissing mit seinem Verweis auf das Kleingedruckte im Recht. Das ist Rückschritt. Und das schreit wiederum auch nach Zeitenwende. Dafür muss Olaf Scholz selbst mehr tun", verlangt die LEIPZIGER VOLKSZEITUNG.
Die AUGSBURGER ALLGEMEINE sieht die Grünen in einer vertrackten Lage: "Ihre Klimaschutzpolitik ist sogar einem Teil der eigenen Wähler zu konsequent, weshalb sie sich zumindest laut Umfragen abwenden. Der Kampf gegen die Erderwärmung ist zwar die überragende Aufgabe dieses Jahrhunderts, doch die selbstgesteckten deutschen Ziele bei grünen Energien, Elektro-Autos und der Sanierung von Gebäuden sind ohne Wirklichkeitsbezug. Misserfolge aber sorgen für Missmut und missmutige Parteien fallen bei den Wählern durch," betont die AUSGBURGER ALLGEMEINE.
Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG geht ein auf Frankreichs Präsident Macron, der in einem Fernsehinterview die umstrittene Rentenreform seiner Regierung gegen Kritik verteidigt hat: "Bedauern? Nein, davon lebe er nicht, sagte Macron, sondern von 'Wille, Hartnäckigkeit und Engagement'. Offenbar denkt er ungefähr so: Wer ihn hasst, und das tut ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung, hasst ihn nun noch mehr. In diesem Lager, rechts und links der Mitte, ist nichts mehr zu holen. Viele sind aber erschrocken von der Wut auf der Straße, sie fürchten das Chaos, wollen einen durchsetzungsfähigen Regenten. Auf diesen Teil des gespaltenen Landes scheint Macron jetzt zu bauen, für sie war der TV-Auftritt bestimmt. Mit diesem Kalkül kann er im Parlament vielleicht eine Handvoll Republikaner überzeugen. Stabile Mehrheiten wird er nicht mehr zusammenbekommen", ist die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG überzeugt.
Der TAGESSPIEGEL vermerkt: "Im Fernsehen war ein energiegeladener Präsident zu erleben, der ein klares Programm hat und sich nicht aufhalten lassen will - auch nicht von einem unwilligen Parlament oder zornigen Sozialpartnern. Macrons einziges Bedauern: dass er die wirtschaftliche Notwendigkeit für die Rentenreform nicht vermitteln konnte. Und jetzt möge man bitte weiterarbeiten. Kein Wort der Reue oder ein verbales Zugeständnis, das es den Gegnern psychologisch erleichtern könnte, von den Barrikaden herunterzukommen. Hier regiert ein Präsident, der zu sehr mit sich im Reinen ist", glaubt der TAGESSPIEGEL.
Die BADISCHEN NEUSTEN NACHRICHTEN beleuchten das politische System in Frankreich: "Die starke Stellung des Staatschefs, von Charles de Gaulle 1958 festgeschrieben, ermöglicht Macron einen autoritären Führungsstil. Die Französinnen und Franzosen sehnen sich aber nach mehr Mitsprache - das wird bei jeder Krise deutlich. De Gaulle und sein Präsidialsystem passen nicht mehr ins 21. Jahrhundert. Mehr parlamentarische Demokratie wäre dringend nötig. Nur der Präsident kann einen solchen Wandel einleiten. Es wäre an der Zeit", resümieren die BADISCHEN NEUSTEN NACHRICHTEN aus Karlsruhe. Und damit endet die Presseschau.