Mittwoch, 24. April 2024

28. März 2023
Die Presseschau aus deutschen Zeitungen

Mit Stimmen zum Koalitionsausschuss und zum neuen schottischen Regierungschef Yousaf. Doch zunächst geht es um die Entscheidung des israelischen Ministerpräsidenten Netanjahu, den umstrittenen Umbau des Justizwesens vorübergehend zu stoppen.

28.03.2023
Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu blickt nach rechts aus dem Bild, im Hintergrund ist eine israelische Flagge.
Die Zeitungskommentare beschäftigen sich mit der jüngsten Entscheidung des israelischen Ministerpräsidenten Netanjahu zum geplanten Umbau des Justizsystems. (picture alliance / photothek / Florian Gaertner)
Die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG führt aus: "Vorsicht ist geboten, denn verschoben ist nicht aufgehoben. Niemand kann zum jetzigen Zeitpunkt sagen, ob Netanjahu sein Vorhaben wirklich aufgibt oder einfach nur neue Wege sucht, um es doch noch umzusetzen. Dabei mag man es einfach nicht glauben. Netanjahu schränkt seit Monaten Stück für Stück massiv die Befugnisse der Justiz ein und ist sich dabei nicht zu schade, mit der Gewaltenteilung zu argumentieren. Die Judikative habe zu viel Macht und müsse in die Schranken verwiesen werden, behauptet er. Geht’s noch? Netanjahu und seine ultra-orthodoxe Regierungskoalition, der auch rechtsextreme Parteien angehören, haben das Prinzip der Gewaltenteilung wohl nicht verstanden", unterstreicht die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG.
Der TAGESSPIEGEL erläutert: "Lange galt Israels Ministerpräsident als genialer Stratege derMacht, ein Meister der Ränkespiele mit gutem Instinkt für dieWünsche und Ängste der Menschen. Doch nun hat er sich fatalverkalkuliert. Der Schaden ist angerichtet, und er ist gewaltig. Ausländische Investoren, die dem israelischen Start-up-Wunder erst zur Blüte verholfen haben, werden abgeschreckt von der Missachtung, mit der die Regierung auf jegliche Warnungen vor der Justizreform reagiert. Netanjahu erinnert gern an seine erfolgreiche Bilanz als Finanzminister zu Anfang des Jahrtausends. Doch sie verblasst hinter dem Schaden, den er und seine Regierung der israelischen Wirtschaft zugefügt haben. Es dürfte Jahre dauern, das zerstörte Vertrauen der Investoren wieder aufzubauen", befürchtet der TAGESSPIEGEL.
Die MÄRKISCHE ODERZEITUNG aus Frankfurt/Oder stellt heraus: "Immerhin gibt es eine positive Seite der explosiven Lage in Israel: Die Dauerproteste und Streiks gegen den Abbau der Demokratie zeigen, dass Ministerpräsident Benjamin Netanjahu es mit einer wachen Bürgerschaft zu tun hat, die in der Lage ist, seine Rechts-Regierung zumindest zu einer Verschiebung ihrer geplanten Justizreform zu zwingen. Netanjahu muss sich nun entscheiden: Will er seine Regierung retten oder den gesellschaftlichen Frieden? Das eine wie das andere stellt ihn vor Probleme. Ein Ausstieg seiner erzkonservativen Koalitionspartner, die das Gesetzespaket auf Gedeih und Verderb durchs Parlament bringen wollen, würde ihn seine Mehrheit im Parlament kosten. Aber auch die Konfrontation gegen weite Teile der Bevölkerung könnte ihn hinwegfegen. Angesichts dieser Alternativen kann man Netanjahu schon jetzt als Verlierer seiner Pläne ansehen", urteilt die MÄRKISCHE ODERZEITUNG.
Mit der Verschiebung sei das Problem freilich nicht gelöst, meint die RHEIN-NECKAR-ZEITUNG aus Heidelberg: "Dass sich Netanjahus extremistische Koalitionspartner zu einem Kompromiss bewegen lassen, erscheint ausgeschlossen. Also dürfte der Regierungschef darauf hoffen, dass der Widerstandswille in der Bevölkerung erlahmt. Israels Zivilgesellschaft wird daher einen langen Atem brauchen, wenn sie die Demokratie bewahren will. Und auch die USA und die EU müssen Netanjahu weiterhin klarmachen, dass eine Abkehr vom Prinzip der Gewaltenteilung nicht akzeptabel wäre", empfiehlt die RHEIN-NECKAR-ZEITUNG.
Die BADISCHE ZEITUNG aus Freiburg bemerkt mit Blick auf die Proteste: "Israel hat der Welt eine Lektion in Sachen Demokratie erteilt. Die Hunderttausenden Menschen, die bei jedem Wetter auf die Straße gingen, um ihr Land vor einer machtverliebten, in Teilen korrupten Regierung zu retten, haben gezeigt, dass Demokratie nicht bei Wahlen endet. Die Hartnäckigkeit der jungen Demonstranten auf den größten Antiregierungsprotesten, die das Land je sah, hat sich bezahlt gemacht. Reservisten der Armee schlossen sich an. Hightech-Firmen erklärten den Streik. Piloten weigerten sich zu fliegen, Lehrer zu unterrichten – am Ende erklärte sogar der Verteidigungsminister: Nicht mit mir. Das alles zwang Netanjahu dazu, sich nun dem Druck zu beugen und die Justizreform zu verschieben. Seine rechtsextremen Partner stehen aber selbst unter dem Druck ihrer Wähler, die einen Stopp der Justizreform als Kniefall vor dem Antiregierungslager betrachten. Netanjahus rechts-religiöse Koalition wird nun alles tun, um sich weiter an der Macht zu halten", erwartet die BADISCHE ZEITUNG.
Themenwechsel. Die FREIE PRESSE aus Chemnitz äußert sich zum Koalitionsausschuss, der nach stundenlangen Beratungen vertagt wurde und heute fortgesetzt werden soll. "Das Grundproblem der Ampel ist: Grüne und FDP gönnen sich gegenseitig nicht den Erfolg. Es mangelt auch an der ehrlichen Bereitschaft, sich damit auseinanderzusetzen, ob es Punkte gibt, in denen der jeweils andere recht haben könnte. Robert Habeck und Christian Lindner schreiben sich lieber gegenseitig alberne Briefe, statt Probleme aus dem Weg zu räumen. So ist die Ampel keine Fortschrittskoalition. Auch eine Arbeitskoalition, von der die Fraktionschefs nach einem Jahr Ampel sprachen, schaut anders aus. Das ist ein Regierungsbündnis, in dem man sich gegenseitig gern schon mal ein Bein stellt. Zu viele Beteiligte spielen zu oft auf eigene Rechnung. Es fehlt an der Einstellung: Erst das Land, dann die Partei. Das muss sich ändern", verlangt die FREIE PRESSE.
Es sei nicht ungewöhnlich, dass man sich in einer Dreierkoalition auch mal verhakt, findet die TAGESZEITUNG: "Schließlich handelt es sich bei SPD, Grünen und FDP um dreiziemlich unterschiedliche Parteien, die nicht aus purer Zuneigungzueinanderfanden, sondern weil es die beste Machtoption schien. Doch die am Anfang dieser Beziehung propagierte Fortschrittserzählung ist dann doch nicht so alltagstauglich, wie es sich alle drei einredeten. Der überlang tagende Koalitionsausschuss ist ein böses Erwachen aus diesem Märchen. Wie alle drei zusammenfinden, ist noch unklar. Der Koalitionsausschuss wird zu nachgelagerten Koalitionsverhandlungen. Mühsam, kleinteilig und allen alles abverlangend", analysiert die TAZ.
Die FRANKFURTER RUNDSCHAU fragt: "Warum verfällt die selbsternannte Fortschrittskoalition zurück in die ermüdende Zeit der späten Merkel-Jahre? Durchstechereien und Nachtsitzungen, überfrachtete Themenlisten und gegenseitige Vorwürfe im Vorfeld, nach dem Motto: Ist erst etwas in der Welt, sind wir gezwungen, es gemeinsam herauszuschaffen. So setzen sich alle gegenseitig unter Druck: Die Koalition hat schon besser gearbeitet. Es ist daher richtig, noch eine Runde am Dienstag zu drehen. Aber wer setzt solche Sitzungen am Sonntagabend an - und begrenzt sie nicht? Wer überfrachtet sie mit Streitthemen? Die Koalition muss ihre Arbeitsmethodik überdenken - sonst wackelt sie eines Tages", mahnt die FRANKFURTER RUNDSCHAU.
Nun noch Stimmen zum künftigen schottischen Ministerpräsidenten Yousaf. Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG schreibt: "Die Schottische Nationalpartei verfolgt eine durchaus linke Politik. Aber bei der Wahl eines Nachfolgers für Regierungschefin Nicola Sturgeon haben sich die Parteimitglieder für eine 'konservative' Lösung im Sinne eines Weiter-so entschieden - verkörpert durch Gesundheitsminister Humza Yousaf. Seine zwei Mitbewerberinnen dagegen hatten angekündigt, andere, neue Wege einzuschlagen. Yousaf wird an diesem Dienstag als erster Muslim zum Ersten Minister Schottlands gewählt", prognostziert die F.A.Z.
Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG beobachtet: "Humza Yousaf gilt als eine Art Liebling des Partei-Establishments: Obwohl er gerade mal 37 Jahre alt ist, war er schon seit 2012 in Sturgeons Regierung, als Verkehrsminister, Justizminister und Gesundheitsminister. Seine Kritiker, nicht zuletzt seine beiden Gegenkandidatinnen, warfen ihm immer wieder vor, 'nach oben gestolpert' zu sein. Yousaf ist der erste Chef einer britischen Regionalregierung aus einer ethnischen Minderheit. Und der erste Muslim, der nun eine der großen britischen Parteien leitet."