04. April 2023
Die Presseschau aus deutschen Zeitungen

Im Mittelpunkt der Kommentare steht der Koalitionsvertrag des möglichen neuen Regierungsbündnisses zwischen CDU und SPD in Berlin. Außerdem wird die Debatte um die geplante Kindergrundsicherung sowie der Nato-Beitritt Finnlands kommentiert.

Eine Gruppe von Menschen läuft auf die Kamera zu, darunter eine blonde Frau im roten Kostüm und mehrere Männer mit schwarzen Anzügen
Der Berliner CDU-Generalsekretär Kai Wegner und die Berliner SPD-Vorsitzende Franziska Giffey. (Archivbild vom 31.03.2023) (picture alliance / dpa / Annette Riedl)
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG unterstreicht, dass große Koalitionen zwar seit einiger Zeit unbeliebt seien. "Doch bietet dieses Bündnis rechnerisch und realistisch die einzige Chance für einen Aufbruch in der Hauptstadt. Denn die Grünen, mit denen die CDU ganz gerne koaliert hätte, haben sich mit ihrem arroganten und ideologisch überschießenden Verhalten selbst aus dem Spiel genommen. Franziska Giffey hat daraus für sich den einzig richtigen Schluss gezogen: Lieber Bausenatorin unter CDU-Bürgermeister Kai Wegner als Stadt-Chefin von grünen Gnaden. Nur so kann die Wahlverliererin ihre Glaubwürdigkeit retten", schreibt die F.A.Z.
Die RHEIN-ZEITUNG aus Koblenz lobt die Idee der Großen Koalition in Berlin. "Am Beispiel der Hauptstadt zeigt sich vor allem, dass die Parteien in der Lage sind, aus sehr schwierigen Wahlergebnissen auch vernünftige Schlüsse zu ziehen - zweifellos eine Stärke der Parteiendemokratie in Deutschland. Ohne bundespolitische Folgen bleibt eine Hauptstadtkoalition aus CDU und SPD aber nicht."
Der MÜNCHNER MERKUR vermutet, dass die Berliner SPD ihren verflossenen Partnern nicht viele Tränen nachgeweint habe. "Grüne und Linkspartei konnten gar nicht so schnell schauen, wie Bürgermeisterin Giffey die Blitzhochzeit mit der CDU von Wegner arrangierte. Den Klimaschutz wollen die beiden Volksparteien in der Verfassung verankern, dabei aber auf unbezahlbare Versprechen, wie sie die Grünen eben noch mit dem gescheiterten Volksbegehren zur Klimaneutralität 2030 abgeben wollten, verzichten. Noch wichtiger als die Rettung des Weltklimas ist der neuen Berliner Stadtregierung, dass die Leute wieder bezahlbare Wohnungen finden, Termine auf Ämtern erhalten und die Polizei auch in den Brennpunktvierteln wieder Herr der Lage wird. Das ist für den Anfang gar nicht so schlecht", kommentiert der MÜNCHNER MERKUR.
"Mit 135 Seiten ist der Entwurf des Berliner Koalitionsvertrags relativ schmal ausgefallen", hebt die FRANKFURTER RUNDSCHAU hervor. "Das hat Vorteile für ein pragmatisches Arbeitsprogramm, sonderlich ambitioniert wirkt es aber nicht. Die Aufgabenverteilung in der Verwaltung muss neu geregelt, die Digitalisierung beschleunigt werden. Zudem lässt hoffen, dass die wahrscheinliche Koalition ein unbefristetes 29-Euro-Ticket im Nahverkehr anbieten und Strecken ausbauen will. Aber Berlin ist mehr als die Summe solcher Pragmatismen. Die Stadt lebt von ihrer Internationalität und dem schrulligen Metropolen-Charisma. Als Regierungschef dieses besonderen Ortes müsste sich Wegner, der für rechtskonservative Sprüche bekannt war, deshalb erst beweisen", notiert die FRANKFURTER RUNDSCHAU.
Die TAGESZEITUNGTAZ – unterstreicht, dass die Sozialdemokraten viele eigene Punkte durchgesetzt hätten, inhaltlich und personell. "Was auch nötig ist, denn die Basis muss der Koalition per Mitgliederentscheid noch zustimmen. So stellt die SPD genauso viele Regierungsmitglieder wie die CDU, trotz eines deutlich schlechteren Ergebnisses. Die Union lässt sich die ersehnte Rückkehr ins Rote Rathaus also etwas kosten", analysiert die TAZ.
Auch das Politik-Magazin CICERO meint, dass bei der Ressortverteilung die CDU der SPD weit entgegengekommen sei. "Die Sozialdemokraten erhalten genauso viele Senatsposten wie die CDU, das wäre beim Abstand von zehn Prozentpunkten der beiden Parteien beim Wahlergebnis nicht zwingend gewesen. Doch tatsächlich war es ein wichtiges Lockmittel der Christdemokraten, die SPD aus dem Linksbündnis zu lösen. Nach dem Motto: Zu zweit regiert es sich besser. Tatsächlich könnte sich das in Berlin erweisen. Denn Dreierbündnisse können lähmend sein, das merkt man in Berlin ja auch an anderer Stelle. Insofern könnte die Große Koalition an der Spree sogar gelingen; immerhin duzen sich Wegner und seine Vorgängerin Giffey schon, wie sie bei der Pressekonferenz demonstrierten. Sie sind beide zum Erfolg verdammt", Soweit CICERO. Und so viel zu diesem Thema.
Die von der Ampelkoalition geplante Kindergrundsicherung bleibt zwischen FDP und Grünen umstritten. Die FREIE PRESSE aus Chemnitz findet, dass Finanzminister Lindner einerseits Recht habe, dass der Staat nicht alles leisten könnte. "Andererseits hat er Unrecht, weil der FDP-Vorsitzende selbst mit seinem kategorischen Nein zu jeder Steuererhöhung verhindert, dass Vermögende einen höheren Beitrag leisten. Lindners Prinzipien erschweren den Kampf gegen Kinderarmut. Wenn es zum Showdown um die Kindergrundsicherung kommt, sollten die Beteiligten nicht vergessen, dass es um mehr als um materielle Sicherheit geht. Der Staat muss zweierlei tun: Armut bekämpfen und Bildungschancen aktiv fördern. Das ist gerecht - und, mit Blick auf den demografischen Wandel und den Fachkräftemangel, auch ökonomisch am klügsten", stellt die FREIE PRESSE fest.
Die STUTTGARTER ZEITUNG hält es für ein "ehrgeiziges Ziel", dass noch in dieser Legislaturperiode die Kindergrundsicherung ausgezahlt werde. "Klar ist: Das muss der Ampel gelingen. Sonst wird sie als sozialpolitisch gescheitert gelten. Dass bereits jetzt hart über die finanzielle Ausstattung des Projekts gerungen wird, kann kaum verwundern. Finanzminister Lindner hat ein stichhaltiges Argument, wenn er darauf verweist, dass das Kindergeld bereits spürbar erhöht worden ist. Dennoch sollte er sich noch mal einen Ruck geben. Ein Land wie Deutschland, in dem es so viel Reichtum gibt, muss für Kinder aus ärmeren Familien mehr tun", fordert die STUTTGARTER ZEITUNG.
Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG glaubt, dass der Streit ein Gutes habe. "Endlich wird in Deutschland wieder über die Situation der Kinder gesprochen. Darüber, dass jedes fünfte Kind in einer armutsgefährdeten Familie aufwächst, dass sich die Lage durch Inflation, Corona-Krise und Mieten noch verschärft hat. Dass das Aufwachsen in einer Familie ohne Ersparnisse allzu oft auch ein Leben ohne Wohlstand bedeutet. Deutschland gibt zig Milliarden für Kinder aus, allein für das Kindergeld flossen vergangenes Jahr mehr als 46 Milliarden Euro. Trotzdem wird Armut vererbt. Das zeigt, dass sich einiges ändern muss", heißt es in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG.
Und wir blicken kurz ins Ausland. Seit heute ist Finnland neues Mitglied der Nato. Die VOLKSSTIMME aus Magdeburg konstatiert, dass Ministerpräsidentin Marin die Abkehr vom Prinzip der Neutralität entscheidend mit durchgesetzt habe. "Doch die beim Volk sehr populäre Sozialdemokratin wird trotzdem abtreten müssen. Ihre Partei ist - wenn auch äußerst knapp - bei den Parlamentswahlen nur auf Platz 3 eingekommen. Gewonnen haben die Konservativen vor der rechtspopulistischen Finnen-Partei. Wie eine neue Regierung aussehen könnte, ist völlig offen. Finnland ist nicht mehr der Hort stabiler, sozial gut abgefederter Verhältnisse. Die erhöhte Staatsverschuldung hat neben dem Ukraine-Krieg zu einer wachsenden gesellschaftlichen Verunsicherung geführt. Ein Syndrom, unter dem auch die skandinavischen Nachbarn leiden. In Schweden ist es die Kriminalität, die den Staat fordert. Jahrzehntelang ist es den Skandinaviern gelungen, den Wohlstandsstaat auszubauen. Jetzt gerät dieses Modell an seine Grenzen", befürchtet die VOLKSSTIMME.
Die AUGSBURGER ALLGEMEINE schreibt: "Selbst Skeptiker attestieren der Nato, dass sie seit dem russischen Angriffskrieg einen Grad der Einigkeit und Entschlossenheit erreicht hat, mit dem die wenigsten gerechnet haben. Natürlich ist es tragisch, dass Leid und Tod in der Ukraine die Allianz wiederbelebt haben. Die Einschätzung des französischen Präsidenten Macron, der dem Bündnis noch 2019 einen 'Hirntod' attestierte, klingt heute wie eine Fehldiagnose aus längst vergangenen Zeiten." Und mit dem Kommentar aus der AUGSBURGER ALLGEMEINEN endet diese Presseschau.