18. April 2023
Die Presseschau aus deutschen Zeitungen

Themen in den Kommentarspalten sind das Gerichtsurteil gegen den russischen Oppositionspolitiker Kara-Mursa, der Rücktritt von Brandenburgs Bildungsministerin Ernst und die Verleihung des höchsten deutschen Verdienstordens an Altkanzlerin Merkel.

Die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bekommt von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das Großkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland in besonderer Ausführung im Schloss Bellevue verliehen.
Die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bekommt von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das Großkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland in besonderer Ausführung im Schloss Bellevue verliehen. (picture alliance / dpa / Michael Kappeler)
Die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG erläutert: "Angela Merkel bekommt einen Orden, und angesichts der Reaktionen könnte man meinen, der Bundespräsident habe ihr gleichzeitig Schloss Bellevue überschrieben. Dabei gibt es viele gute Gründe, der Bundeskanzlerin a.D. diese Ehre zuteilwerden zu lassen. Merkel hat entscheidenden Anteil daran, dass Deutschland in den 16 Jahren ihrer Amtszeit ein wichtiger, respektierter internationaler Partner war. Sie hat Deutschland in der Flüchtlingskrise ein freundliches Gesicht verliehen und durch viele Krisen navigiert. Am Ende ihrer Amtszeit steht kein perfektes, aber ein starkes Land. Das anzuerkennen bedeutet nicht, mit ihrem Kurs, ihren Entscheidungen unkritisch umzugehen. Aber so zu tun, als hätte sie Nord Stream alleine gebaut, wird der Historie nicht gerecht. Wie werden dieselben Kritiker, die nun ex post alles besser gewusst haben wollen, in zehn Jahren mit der Chinapolitik von Olaf Scholz ins Gericht gehen?", fragt die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG.
Der TAGESSPIEGEL beleuchtet die Beziehung zwischen der Altkanzlerin und dem Bundespräsidenten: "Merkel und Frank-Walter Steinmeier - das war doch immer ein Gespann, Steinmeier für sie der politisch wichtigste Partner in ihren 16 Jahren im Amt. Steinmeier war Merkels Außenminister, bis sie ihn, mangels Alternative, ins Schloss Bellevue ziehen ließ. Ihren Wahlsieg 2009 hat Merkel auch dem blassen Herausforderer Steinmeier zu verdanken. Eine vierjährige zahnlose Opposition, formal angeführt von Steinmeier, gab es gratis obendrauf. Vor allem aber hat Steinmeier es Merkel ermöglicht, sich zu lange als Präsidial-Kanzlerin inszenieren zu können. Flapsig ausgedrückt: Eigentlich müsste Steinmeier von Merkel Dank und Orden empfangen", findet der TAGESSPIEGEL.
Der KÖLNER STADT-ANZEIGER vertritt diese Ansicht: "Durch Kontinuität, Verlässlichkeit, Geduld, Uneitelkeit, eiserne Härte gegen sich selbst, aber immer auch mit Neugier und Lust auf Macht hat Merkel Deutschland über vier Legislaturperioden in relativer Ruhe regiert und als internationale Führungsmacht ausgebaut. Nun bekommt sie dafür das Großkreuz des Verdienstordens in besonderer Ausfertigung. Wer, wenn nicht sie?", fragt der KÖLNER STADT-ANZEIGER.
Die Zeitung WELT analysiert in ihrer Online-Ausgabe: "Die Bundesrepublik ist eine Betreuungsrepublik. Angela Merkel gelang es, sich zur obersten Betreuerin aufzuschwingen. Eine Mehrheit der Deutschen liebte sie gerade deswegen dafür – trotz der mitunter verhängnisvollen Fehler, die ihr unterliefen, von der Flüchtlings- über die Energie- bis hin zur Russlandpolitik. Zumindest bei ihrem Kurs gegenüber Moskau sollte man aber nicht vergessen: Hätte sich Merkel für einen Konfrontationskurs gegenüber dem Kreml entschieden, wäre sie von den Wählern abgestraft worden. Als Sinnbild der Zeit wusste Merkel genau, was für sie schicklich war. Ob mit oder ohne Großkreuz des Verdienstordens – heute ist Merkel zum politischen Anachronismus geworden, ein Sinnbild der Vergänglichkeit, das Symbol einer versunkenen Ära", urteilt die WELT.
Die ALLGEMEINE ZEITUNG aus Mainz gibt zu bedenken: "Noch vor 18 Monaten erschien vielen eine Bundesrepublik ohne Merkel gar nicht möglich. Weit über die Grenzen Deutschlands hinaus war ihr Ruf als Krisenmanagerin legendär. Und nicht von ungefähr zählte sie viele Jahre zu den einflussreichsten Politikern der Welt. Das alles hat sie sich hart erarbeitet, und das darf man auch nicht geringschätzen. Es ist aber halt nun mal auch richtig, dass sich diese Welt seit dem Ende ihrer Kanzlerschaft radikal verändert hat", notiert die ALLGEMEINE ZEITUNG.
Themenwechsel. Die RHEINISCHE POST aus Düsseldorf äußert sich zum Gerichtsurteil gegen den russischen Oppositionspolitiker Kara-Mursa: "Volle 25 Jahre Haft für einen Mann, der nichts als die Wahrheit gesagt hat. Kara-Mursa selbst überlebte zwei Giftanschläge – und hörte dennoch nicht auf, den Kremlchef zu kritisieren. Dafür schicken Putins willfährige Richter den 41-Jährigen nun ins Lager. Überraschen kann der Urteilsspruch niemanden mehr. Denn Putin und seine Schergen haben spätestens mit dem Angriff auf die Ukraine alle Masken fallen lassen. Russland ist eine lupenreine Diktatur. Deshalb ist es auch nicht übertrieben, Kara-Mursa und den ebenfalls weggesperrten Alexej Nawalny in einem Atemzug mit dem Sowjetdissidenten Andrej Sacharow zu nennen. Ihr Mut verdient Bewunderung. Ob es Putin noch um Abschreckung geht oder um schnöde Rache, ist schwer zu sagen. Wahrscheinlich geht es um beides", vermutet die RHEINISCHE POST.
Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG stellt fest: "Zum ersten Mal seit dem Zerfall der Sowjetunion wurde ein Oppositioneller wegen Hochverrats verurteilt. Der Prozess gegen Kara-Mursa zeigt die Eiseskälte, mit der das Regime Kritiker aus dem Weg schafft. Hinzu kommt, dass der Oppositionelle an den Folgen zweier Vergiftungen leidet, die er vor Jahren knapp überlebte. Russische Haftbedingungen bergen für ihn ein besonderes Gesundheitsrisiko. In einem Land, in dem westliche Journalisten als Spione verhaftet werden, Verteidiger noch während des Prozesses fliehen müssen, Menschenrechtsorganisationen aufgelöst und Kinder ihren kriegskritischen Eltern weggenommen werden, ist das Urteil gegen Kara-Mursa mehr als eine weitere Zäsur. Es zeigt: Je länger Putins Krieg gegen die Ukraine dauert, desto hoffnungsloser wird in Russland die Lage für alle, die dagegen sind", schreibt die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG.
In der TAGESZEITUNG ist zu lesen: "Es ist so erschütternd wie wahr: Russland ist nicht nur im Krieg gegen die Ukraine und den 'kollektiven Westen', sondern auch gegen sein eigenes Volk. Das sagt einiges über den Zustand dieses Landes aus, das sich schon längst aus dem Kreis zivilisierter Staaten verabschiedet hat. Das System hat abgewirtschaftet und ist moralisch verrottet. Dessen Fortbestand allein mit der Person Wladimir Putins zuverbinden, wäre aber reichlich naiv. Der Tag werde kommen, an dem die Dunkelheit, die Russland überziehe, sich lichten werde, hatte Kara-Mursa in seinem Schlusswort gesagt. Bis dahin ist es wohl noch ein weiter Weg, aber der Ukrainekrieg könnte der Anfang vom Ende sein." So weit die taz und so viel zu diesem Thema.
Nun noch Stimmen zum Rücktritt von Brandenburgs Bildungministerin Ernst. Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG erläutert: "Als Ernst 200 Lehrerstellen, die sie wegen fehlender Bewerber nicht besetzen konnte, an Schulsozialarbeiter vergeben wollte, damit wenigstens sie die Schulen unterstützen sollten, lief die sozialdemokratische Landtagsfraktion Sturm gegen die Pläne. Während die Koalitionspartner CDU und Grüne Verständnis für die Notlage zeigten, setzten die Genossen ihre eigene Ministerin unter Druck. Nun hat Ernst, die vor knapp sechs Jahren nach Potsdam kam und keine Machtbasis in der Partei hatte, die Konsequenz gezogen. Mit der Ehefrau des Bundeskanzlers Olaf Scholz hatte sich die Brandenburger SPD gern geschmückt. Als es aber darauf ankam, hielt sich Ministerpräsident Dietmar Woidke aus dem Machtkampf in den eigenen Reihen heraus und ließ seine Ministerin im Regen stehen", stellt die F.A.Z. heraus.
Die MÄRKISCHE ODERZEITUNG aus Frankfurt/Oder erwartet: "Der Nachfolger wird auch keine zusätzlichen Lehrer aus dem Hut zaubern oder das Abschneiden bei Vergleichsarbeiten bis zum nächsten Test verbessern können. Er kann jedoch auf Kommunen, Träger, Eltern und Lehrer zugehen. Das wäre schon mal ein Gewinn. Zurück bleibt ein Regierungschef Woidke der nach dem Motto 'Augen zu und durch' versucht, sich aus der Misere zu winden. Dabei müsste er spätestens jetzt zeigen, dass Bildungspolitik eine Aufgabe seiner gesamten Koalition ist und in der Staatskanzlei auch oberste Priorität genießt", verlangt die MÄRKISCHE ODERZEITUNG.