16. Mai 2023
Die Presseschau aus deutschen Zeitungen

Beherrschende Themen in den deutschen Zeitungen sind die Wahlen in der Türkei und in Bremen.

Unterstützer des Präsidenten Recep Tayyip Erdogan halten ein Transparent mit seinem Foto von ihm hoch und schwenken türkische Fahnen.
Türkei: Bis zur Stichwahl in zwei Wochen wird noch ein harter Wahlkampf erwartet. (IMAGO / Depo Photos / IMAGO)
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG blickt auf die Wahlen in der Türkei, bei der keiner der Kandidaten die erforderliche absolute Mehrheit erzielte: "Dieses Ergebnis hat im Westen manche überrascht. Erdogan hat dem Land zuletzt einigen Schaden zugefügt. Das ist aber offenbar nicht genug, um viele Wähler vergessen zu lassen, wofür Erdogan auch steht: für eine wirtschaftliche Modernisierung der Türkei und eine größere öffentliche Rolle des Islams. Sein oft provozierender Widerstand gegen den Westen, der vor allem die NATO-Partner ärgert, zeichnet ihn in den Augen nationalbewusster Türken gerade aus. Für Kilicdaroglu wird es nun schwer", notiert die FAZ.
Dem schließt sich die MITTELDEUTSCHE ZEITUNG mit Blick auf die Stichwahl am 28. Mai an: "Die Wahrscheinlichkeit, dass Erdogan gewinnt, ist leider hoch. Zu befürchten ist auch, dass der autokratische Präsident in den zwei Wochen seinen Staatsapparat nutzen wird, um seinen Wahlerfolg zu sichern. Man kann nur hoffen, dass sich Erdogan seiner Sache so sicher ist, dass er auf willkürliche politische Säuberungsaktionen verzichtet. In den kommenden Wochen besteht am Bosporus die Gefahr eines Bürgerkriegs", glaubt die MITTELDEUTSCHE ZEITUNG aus Halle.
Die NORDWEST-ZEITUNG aus Oldenburg wundert sich über die westlichen Reaktionen auf die Wahlen in der Türkei: "Die Reaktionen demonstrieren europäische Täuschungen über den Charakter der Türkei und ihre Zustände. Eine Mehrheit in der türkischen Bevölkerung fühlt und wählt stramm national oder stramm religiös. Dass AKP und Erdogan trotz katastrophaler politischer Bilanz so stark sind, spiegelt die Realität der türkischen Verhältnisse und den Willen der Wähler. Beides illustriert, dass die Türkei kein Teil Westeuropas ist und keinesfalls in die EU gehört", stellt die NORDWEST-ZEITUNG klar.
Die AUGSBURGER ALLGEMEINE weist auf auf einen anderen Aspekt hin: "Die Opposition trägt eine Mitschuld am Ergebnis. Sie war in ihrer Siegesgewissheit überzeugt, auf rechte Wähler verzichten zu können. Das rächte sich am Sonntag: Der Erdogan-kritische Rechtsnationalist Sinan Ogan erhielt rund fünf Prozent. Ogan will nun Erdogan und Kilicdaroglu vor der Stichwahl dazu bringen, seine Forderungen nach einer Ächtung aller Kurdenparteien und einer Rückführung der 3,6 Millionen syrischen Flüchtlinge zu übernehmen. Für Kilicdaroglu ist das unmöglich, weil er ohne die Stimmen der Kurden nicht gewinnen kann", analysiert die AUGSBURGER ALLGEMEINE.
In der BADISCHEN ZEITUNG heißt es: "Die vielzitierte Zeitenwende in der Türkei kommt, aber wohl ganz anders als von der Opposition erhofft. Gewinnt Staatschef Recep Tayyip Erdogan die Stichwahl in zwei Wochen, worauf nun vieles hindeutet, wird er seine Macht weiter zementieren. Ob es danach überhaupt noch freie Wahlen in der Türkei geben wird, ist ungewiss. Erdogan wurde im Laufe seiner fast 30-jährigen Karriere schon oft politisch totgesagt. Aus jeder dieser Krisen ging der ewige Gewinner gestärkt hervor. Die Krisen lieferten ihm den Vorwand, immer mehr Macht an sich zu ziehen und seine Gegner auszuschalten. Seine Anhänger sehen in Erdogan den starken Anführer. Wenn Erdogan gegen den Westen hetzt, stärkt er damit das angeschlagene Selbstwertgefühl vieler Menschen, die ihr Land gerne als Weltmacht sehen möchten. Dass er seine politischen Gegner zu Zehntausenden einsperrt, könnte man als ein Zeichen der Schwäche deuten. Aber seine autoritätsgläubigen Anhänger sehen es als Beweis der Stärke", hält die BADISCHE ZEITUNG aus Freiburg fest.
Die SÜDWEST PRESSE aus Ulm befürchtet: "Die Entfremdung von Europa wird größer. Sollte sich die ökonomische Talfahrt fortsetzen, drohen der Türkei Spannungen unbekannten Ausmaßes. Dass die Türkei Nato-Mitglied ist, gehört seit jeher zu Ankaras Erpressungspotenzial. Es ist geografisch zu wichtig und militärisch zu bedeutsam, als dass man in Brüssel und Washington ein vollständiges Zerwürfnis riskieren würde. Die syrischen Flüchtlinge sind ein weiterer Grund, warum Erdogan nicht befürchten muss, in eine Reihe mit Putin gestellt zu werden. Um es klar zu sagen: Dass Erdogan sich so lange an der Macht halten konnte, haben die EU- und Nato-Staaten mitzuverantworten", urteilt die SÜDWEST PRESSE.
Themenwechsel. Für die FRANKENPOST aus Hof sollte die Wahlschlappe in Bremen den Grünen zu denken geben: "Gerade in den ersten Monaten in der Ampelkoalition galten die Grünen - auch, aber nicht nur dank Robert Habeck - als diejenigen, die besonders authentisch kommunizierten und genau damit begeistern konnten. Habeck gab den Menschen das Gefühl, Veränderungen mit ihnen gemeinsam anzugehen - und nicht über sie hinweg. Dahin müssen die Grünen wieder zurückfinden. Sonst wird es zunehmend eng für die Partei", stellt die FRANKENPOST fest.
Die RHEIN-ZEITUNG aus Koblenz fordert ein Umdenken bei den Grünen: "Erneut haben es die grünen Wahlkämpfer geschafft, mit ideologischem Beharren ein Eigentor zu schießen. Was die autofreie Berliner Friedrichstraße im Wahlkampf der Hauptstadt war, war in Bremen die kostenfreie Karenzzeit für Kurzzeitparker, die so genannte 'Brötchentaste', die grüne Wahlkämpfer abschaffen wollten", vermerkt die RHEIN-ZEITUNG.
Der MÜNCHNER MERKUR erwartet weitere Konsequenzen aus der grünen Wahlniederlage in Bremen: "Die Grünen sparen selten mit Lektionen für die Bürger. In Bremen hat der Souverän den Spieß jetzt umgedreht. Die 'Verwandtenaffäre' in Robert Habecks Klimaministerium hat die Wähler irritiert, doch noch verheerender war der arrogante Umgang der Partei mit den Filzvorwürfen. Verfehlungen gibt es in allen Parteien. Doch dass ausgerechnet die Grünen, die die moralische Messlatte für andere gerne höher legen, in eigener Sache so nassforsch über Fehler hinweggehen zu können glauben, hat sie in den Augen vieler zu einer stinknormalen Partei gemacht, für die dieselben Gesetze der Schwerkraft gelten wie für alle anderen. Der quasi-religiöse Nimbus der Klimaretter ist dahin. Der nächste Fehler wäre jetzt zu glauben, dass es mit einem Bremer Bauernopfer getan wäre. Auch Habeck wird um Konsequenzen in seinem Ministerium nicht herumkommen", ist der MÜNCHNER MERKUR überzeugt.
Die NÜRNBERGER ZEITUNG wundert sich über den Wahlerfolg der SPD in Bremen: "Bremen und Bremerhaven, so heißt es, sind mit am besten durch die Corona-Krise gekommen. Das hat sicher dazu beigetragen, dass SPD-Bürgermeister Andreas Bovenschulte im Amt bleibt. Aber sonst? Miserable Ergebnisse bei Bildungsvergleichen, Integrationsdefizite und im Bundesvergleich eine hohe Kriminalitätsbelastung, die bundesweit höchste Arbeitslosenquote - das ist eigentlich kein Zeugnis, das einem Regierenden Bürgermeister gut ansteht. Und vor allem nicht einer Partei, die seit 77 Jahren den Bürgermeister stellt, in diesem Fall die SPD", bemängelt die NÜRNBERGER ZEITUNG.
Die PASSAUER NEUE PRESSE mutmaßt, dass die Wahlschlappe der Grünen an der Weser noch ganz andere Konsequenzen haben werde: "Die Grünen versuchen gerade eifrig, die Erzählung von ihrer Wahlpleite in Bremen zu relativieren. Sie sagen nun: Das Heizgesetz und Robert Habeck seien daran nicht schuld gewesen. Entscheidend für das, was in den nächsten Wochen passiert, ist erfahrungsgemäß nicht die politische Wahrheit, sondern die politische Interpretation, die sich durchsetzt. Und die lautet nach der Wahl einhellig bei den anderen Ampel-Partnern, der Opposition und auch in den Medien, dass die Grünen für ihre Politik mit der Brechstange abgestraft wurden. Wer nun hofft, dass dies zu einem besseren Heizgesetz führt, könnte sich täuschen. Die Grünen werden nervös. Die FDP und die SPD werden die Partner hingegen noch stärker unter Druck setzen, Änderungen hinzunehmen. Die Gefahr ist nun groß, dass dies die Zutaten für ein Pfusch-Gesetz sind, das am Ende niemanden zufriedenstellt", erwartet die PASSAUER NEUE PRESSE, mit der diese Presseschau endet.