
Der Grünen-Politiker Philipp Nimmermann wird neuer Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium und damit Nachfolger von Patrick Graichen. Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG schreibt: "Vom Ideologen zum Pragmatiker: Viel größer könnte der Wechsel im Amt des Energiestaatssekretärs im Bundeswirtschaftsministerium nicht sein. Auf Graichen, einen Strippenzieher mit oft brachialer Agenda, folgt Nimmermann, ein kühler Ökonom und integrativer Verwaltungschef aus Hessen, der mit Klima- und Energiefragen bisher nichts am Hut hatte. In der Berliner 'Umweltblase' kennt ihn kaum jemand, und genau das ist beabsichtigt: Wirtschaftsminister Habeck will sich nicht wieder dem Vorwurf aussetzen, auf die alten Ökonetzwerke zu setzen, in denen jeder jedem hilft, mitunter eng befreundet oder sogar verwandt ist. Für Habeck ist Nimmermanns Ernennung ein Befreiungsschlag und auch ein Angebot an die Koalitionspartner", meint die F.A.Z.
Auch die MEDIENGRUPPE BAYERN, zu der unter anderem die PASSAUER NEUE PRESSE gehört, unterstreicht: "Als Ideologe in Energie- oder Klimafragen ist Nimmermann durch seinen Hintergrund als Ökonom und Finanzfachmann bisher unverdächtig. Mit ihm holt Habeck also einen, den er kennt, der nicht angelernt werden muss, der Erfahrung in Verwaltungsfragen und als Staatssekretär mitbringt. Vor allem besetzt Habeck die Stelle schnell. Er signalisiert damit, dass er bereit ist, die Debatte über das Heizgesetz zu entideologisieren, aber nicht bereit, Zeit zu schinden oder der FDP Zeitschinderei durchgehen zu lassen", erklärt die MEDIENGRUPPE BAYERN.
"Die FDP will das Heizungsgesetz neu schnüren, weil Wirtschafts-Staatssekretär Patrick Graichen weg ist", erinnert die AUGSBURGER ALLGEMEINE. "Der habe, so die Liberalen, das Gesetz verantwortet, und nun sei eben alles anders. Das ist eine durchschaubare Erzählung, noch nie wurde ein Entwurf von einem einzelnen Staatssekretär erarbeitet. Statt Märchen zu verbreiten, könnten die Liberalen gute Argumente ins Feld führen. Vier Sitzungswochen, die laufende eingeschlossen, gibt es noch vor der Sommerpause. Ein geordnetes Verfahren mit Ausschusssitzungen und Anhörungen scheint da kaum möglich." So weit die AUGSBURGER ALLGEMEINE.
Die VOLKSSTIMME aus Magdeburg findet: "Es wird Zeit, dass bei der grünen Regierungsmannschaft mehr Realismus bei der Klimapolitik einzieht. Was geht, was geht nicht und was geht wann - das ist entscheidend. Und nicht ein Gebaren wie der politische Arm der Letzten Generation. Parteivorsitzende Ricarda Lang hat nach den berechtigten Vorwürfen über grünen Filz im Wirtschaftsministerium als Erste die Kurve bekommen und erkannt, dass den Grünen die Klimapolitik ohne ausreichende soziale Flankierung um die Ohren fliegen wird. Das dürfte zuerst für kommende Wahlen im Osten passieren", erwartet die VOLKSSTIMME.
Die SPD feiert heute ihr 160-jähriges Bestehen. Die FRANKFURTER RUNDSCHAU macht eine Bestandsaufnahme: "Es gibt fast täglich Gründe, sich über die SPD zu ärgern, an ihr zu zweifeln oder manchmal auch zu verzweifeln. Das fängt an bei der Russland-Politik der vergangenen Jahre und endet nicht bei der aktuellen Kehrtwende in der Flüchtlingspolitik. Aber man kann, man will sich Deutschland nicht ohne Sozialdemokratie vorstellen. Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität – die Grundwerte der SPD sind aktuell wie nie. Es ist gut, wenn sich die SPD auf dieses Erbe besinnt. Es fällt auf: Wenn innerhalb der Koalition gestritten wird, sind die Positionen von Grünen und FDP klar erkennbar. Die SPD als größte Koalitionspartnerin wird dabei am wenigsten sichtbar, als wolle sie sich aus allem heraushalten. Das hat eine Partei mit dieser Geschichte nicht nötig. Es ist genug zu tun für eine Partei, die sich für Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität einsetzt", ist in der FRANKFURTER RUNDSCHAU zu lesen.
"Vor dem Hintergrund dieser Tradition wirkt die Dauer-Regierungspartei SPD im Mai 2023 ausgeglichen, friedlich – und langweilig", notiert der TAGESSPIEGEL aus Berlin und fragt: "Wo bloß ist der utopische Überschuss geblieben? Wo sind die einst beliebten Ausflüge ins Reich der Träume? Angesichts eines Kanzlers, der mehr Staatsnotar als Führungsfigur ist, verkümmert die Programmpartei. Lange war die SPD vor allem eine streitende Partei. Mit Scholz, Saskia Esken und Lars Klingbeil ist die SPD pragmatisch geworden. Vielleicht zu pragmatisch? Mehr denn je braucht sie Konzepte, um Zuversicht für die Zukunft zu wecken, um sich selbst zu begeistern. Sie darf dafür auch über scheinbar verwegene Vorstellungen streiten und, ja, mehr Visionen wagen. Pragmatismus und Kanzleramt, das mag der CDU genügen. Für die SPD ist das eindeutig zu wenig", heißt es im TAGESSPIEGEL.
Die LEIPZIGER VOLKSZEITUNG bemerkt: "Zur Halbzeit der Ampelregierung von Kanzler Olaf Scholz drängt sich nun die Frage auf, ob die SPD Volkspartei bleiben wird. Dabei ist es nur ein Problem von vielen, dass sie schon deshalb kaum noch als Partei der Arbeiter durchgehen kann, weil der Anteil der Arbeiterinnen und Arbeiter an den Erwerbstätigen nur noch bei wenig über zehn Prozent liegt."
Nach Griechenland, wo die konservative Partei von Ministerpräsident Mitsotakis die Parlamentswahl klar gewonnen hat. Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG argumentiert: "Stabiles Wachstum, steigende Investitionen, sinkende Arbeitslosigkeit: Die Wirtschaftsdaten haben den Amtsinhaber getragen - auch wenn manche Entscheidungen für den Wiederaufstieg durchaus schon von der linken Vorgängerregierung getroffen wurden. Doch Alexis Tsipras und seine Syriza sind nun darin gescheitert, aus den Erfahrungen der Krise eine neue, nach vorne gerichtete Erzählung zu entwickeln. Ihr Versprechen, diesmal 'ohne Troika' und 'ohne Schäuble' zu regieren, hat nicht verfangen, im Gegenteil: Solche Schlagworte haben offenbar traumatische Flashbacks ausgelöst", kommentiert die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG.
Die Zeitungen der OM-MEDIEN, zu denen etwa die MÜNSTERLÄNDISCHE TAGESZEITUNG gehört, sehen es so: "Stabilität und Kontinuität - der Wunsch danach gab in der Abwägung der Wahlberechtigten wohl den Ausschlag für den einstweiligen deutlichen Wahlsieg von Mitsotakis. Gleichwohl: Mitsotakis hat ebenso von der Schwäche und den Fehlern der Opposition profitiert. Aber er muss viel mehr liefern als eine Fortsetzung des bisherigen Kurses. Er ist im Abhörskandal des Geheimdienstes, der ihm selbst unterstellt ist, wichtige Antworten schuldig. Hier muss er für stringente Aufklärung sorgen", mahnen die Zeitungen der OM-Medien.
Die BADISCHE ZEITUNG erläutert: "Griechenland hat die Pandemie und die wirtschaftlichen Turbulenzen infolge des Ukraine-Krieges besser weggesteckt als die meisten anderen EU-Staaten. Beim Wirtschaftswachstum liegt Griechenland in der Spitzengruppe der EU-Staaten. Kein anderes Land der Union hat seine Schuldenquote in den vergangenen zwei Jahren so schnell reduziert. Vor acht Jahren war Griechenland zahlungsunfähig, heute steht es kurz vor dem Aufstieg in die Liga der investitionswürdigen Schuldner. Voraussetzung dafür ist eine Fortsetzung der umsichtigen Haushaltspolitik und des Reformkurses", betont die BADISCHE ZEITUNG aus Freiburg.
Die TAGESZEITUNG bewertet das Wahlergebnis als "Triumph" für Mitsotakis und "Waterloo" für die Opposition: "Tsipras und seine Syriza haben längst ihren Zenit überschritten. Am Sonntag kam der Absturz. Weitere dramatische Einbußen für den einstigen Hoffnungsträger sind zu befürchten. Auch im Fall Tsipras dürften daher wohl die Mechanismen greifen, vor denen kein Politiker in einer Demokratie gefeit ist. Für Tsipras heißt das: Rücktritt von seinem Posten als Parteichef, um den Neuanfang von Syriza einzuleiten."