Dienstag, 07. Mai 2024

01. Juni 2023
Die Presseschau aus deutschen Zeitungen

Mit Stimmen zum Ende der Corona-Warn-App und zum Tarifstreit bei der Bahn. Zunächst aber geht es um die Verurteilung einer Linksextremistin in Dresden zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe. Am Abend wurde sie vom Richter unter Auflagen auf freien Fuß gesetzt, bis das Urteil rechtskräftig ist. Auf diesen Aspekt konnten die Zeitungen nicht mehr eingehen.

01.06.2023
Die Angeklagte Lina E. steht bei der Fortsetzung des Prozesses im Oberlandesgericht (OLG) Dresden im Verhandlungssaal und hält einen Aktenordner vor ihr Gesicht.
Die Verurteilung der Linksextremistin Lina E. ist Thema in den Zeitungen. (picture alliance / dpa / Sebastian Kahnert)
Die LAUSITZER RUNDSCHAU aus Cottbus kommentiert: "Falls es stimmt, dass Lina E. durch die Aufdeckung der NSU-Mordserie politisiert wurde, kann man ihren Antifaschismus verstehen. Antifaschismus ist ehrenwert und eigentlich Bürgerpflicht. Aber die Rechtsextremisten teilweise mit Hammer und Schlagstock brutal zu überfallen und zusammenzuschlagen, ist eine schwere Straftat. Es ist auch unmenschlich. Daran ändert nichts, dass die Opfer oft selbst menschenverachtende Täter sind. Niemand hat das Recht, sich über das Recht zu stellen. Das Urteil gegen Lina E. und die anderen linksextremen Schläger ist ein gutes Urteil", ist in der LAUSITZER RUNDSCHAU zu lesen.
Die FREIE PRESSE aus Chemnitz findet: "Der Prozess gegen Lina E. ist ein Novum und setzt Standards für die künftige Strafverfolgung linksextremistischer Taten, die sich wie ihre rechtsextremistischen Pendants nicht nur gegen den politischen Gegner, sondern gegen die Demokratie des Grundgesetzes als solches richten. Die Dimension dieses Prozesses, die Sicherheitsvorkehrungen im Oberlandesgericht erinnern nicht zufällig an die Prozesse gegen die Rechtsterroristen von 'Revolution Chemnitz' und der 'Gruppe Freital'. Auch deren Protagonisten erhielten zu Recht hohe Haftstrafen. Das jetzt gesprochene Urteil ist ein starkes Signal an Extremisten jeglicher Couleur, die Gewalt gegen Sachen und jede Art von Körperverletzung als politische Handlungsoption akzeptieren und einsetzen. Für den Rechtsstaat darf es keinen Unterschied machen, aus welcher politischen Richtung Straftaten begangen werden", stellt die FREIE PRESSE fest.
Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG schreibt von einer demonstrativen Verurteilung, die anderen Militanten eine Warnung sein solle. "Es gibt keine 'gute' Selbstjustiz. Das Gewaltmonopol hat der Staat - und wie er keine Körperstrafen verhängen und vollstrecken darf, so dürfen das erst recht und selbstverständlich keine Privatleute. Wenn dennoch gemischte Gefühle zurückbleiben nach dem mit gigantischem Aufwand betriebenen Strafprozess gegen die Leipzigerin Lina E. und drei weitere junge Autonome, die mit ihr eine 'kriminelle Vereinigung' gebildet haben sollen, dann liegt das an der Selektivität, mit der der Rechtsstaat hier vorgegangen ist. Schon wieder, muss man hinzufügen. Übeltaten, die aus der linken Szene kommen, nach allen Regeln der Kunst auszuleuchten und rasch und strikt vor Gericht zu bringen, das ist ein Lieblingsprojekt einer sächsischen Landespolitik gewesen, die währenddessen gegen rechte Hetzer und Gewalttäter noch immer oft eher lasch vorgeht", meint die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG.
DIE TAGESZEITUNG argumentiert: "Der Rechtsstaat muss Maß wahren, und hier nährte der Prozess Zweifel. Bis zum Schluss konnte kein Opfer und kein Zeuge die vermummten Angreifer identifizieren. Bis auf den Eisenacher Angriff gab es viele mehrdeutige Indizien und Fragezeichen. So funktioniert ein Rechtsstaat nicht. Wo Zweifel sind, müssen sie für die Angeklagten sprechen - nicht umgekehrt. Das Vorgehen der Bundesanwaltschaft unterstreicht, wie dringlich der Wille war, endlich eine spürbare Verurteilung gegen die militante autonome Szene voranzutreiben. Das Vorgehen reiht sich ein in eine Strafverfolgungswelle, die auf öffentlichen Druck reagiert und selbst der bürgerlichen Letzten Generation Präventivhaft und den Vorwurf einer kriminellen Vereinigung einbrachte. Ein Vorwurf, der Behörden einen großen Koffer an Ermittlungsmaßnahmen eröffnet. Und der längst zum Alltagsinstrument verkommt, was dringend revidiert gehört", fordert die TAZ.
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG meint: "Für diese 'Autonomen', die anders als die von ihnen zusammengeschlagenen Rechtsextremisten einen eher bürgerlichen Hintergrund haben und bei ihren Taten kaum Spuren hinterlassen, sind die Richter 'Faschofreunde'. Aber eine 'Klassenjustiz', wie im Verfahren skandiert wurde, gibt es im heutigen Deutschland dann doch nicht."
DIE GLOCKE aus Oelde befasst sich mit dem Tarifstreit bei der Bahn. "Die Gewerkschaft EVG scheint den Sinn für die Realität verloren zu haben. Sie fordert zu viel von einem maroden Konzern, der sich momentan im Umbau befindet. Schreibt der Konzern auch in Zukunft rote Zahlen, drohen womöglich reduzierte Investitionen in die Modernisierung der Infrastruktur. Das wäre fatal, ist doch der Schienenverkehr ein wichtiger Faktor bei der Verkehrswende", warnt DIE GLOCKE.
FREIES WORT aus Suhl mahnt: "Es steht viel mehr auf dem Spiel als die Frage, wer am Ende der Tarifauseinandersetzung mehr von seinen Vorstellungen hat durchsetzen können. Nach der neusten Entwicklung aber haben sich die Kontrahenten eher in ihren Stellungen verschanzt, als sich aufeinander zuzubewegen. Die Geduld derer, die das System finanzieren, ist endlich."
Die VOLKSSTIMME aus Magdeburg befürchtet: "Es spricht einiges dafür, dass sich derzeit der perfekte Streik-Sturm zusammenbraut. Denn das 'Nein' der EVG zum durchaus ansehnlichen DB-Angebot kommt nur wenige Tage bevor die als noch schärfer geltende Konkurrenzgewerkschaft GDL ihre Tarifforderungen stellt. Im erbitterten Kampf um zahlende Mitglieder wollen sich ihre Verhandler als die jeweils durchsetzungsstärkeren beweisen."
Die MITTELDEUTSCHE ZEITUNG aus Halle gibt zu Bedenken: "Die dauerhafte Lösung der großen Probleme wird Jahrzehnte brauchen. Ein Beispiel dafür ist der Tarifkonflikt, bei dem es nicht nur um mehr Geld geht, sondern auch um die Frage, wie attraktiv das Berufsbild des Bahnbeschäftigten sein muss. Die Bahn hat es schwer, Arbeitskräfte zu finden. Das liegt am geringen Gehalt in unteren Lohngruppen, aber auch an den in vielen Bereichen schwierigen Arbeitsbedingungen. Die Verkäufe des Deutschlandtickets haben gezeigt, dass die Menschen den Nah- und Regionalverkehr nutzen wollen. Doch es ist nicht gesichert, ob aus der Bahn tatsächlich ein Konzern wird, der die Verkehrswende befördern kann. Sicher ist nur, dass noch lange Ungemach auf die Fahrgäste zukommt", so die MITTELDEUTSCHE ZEITUNG.
Die Corona-Warn-App wird eingestellt. AUGSBURGER ALLGEMEINE bilanziert: "Die Corona-Warn-App ist eine Lektion für die deutsche Politik: Auf der einen Seite erfüllte sie die hochtrabende Hoffnung allzu fortschrittsgläubiger Politiktreibender nicht, dass mit ein bisschen Digitalisierung alle Probleme gelöst seien. Auf der anderen Seite luden immerhin neun Millionen Infizierte verantwortungsvoll ihre positiven Ergebnisse hoch oder stimmten dem zu. Vor allem gelang es der Politik endlich einmal, das elende Geschwür zu durchschlagen, das aus über-perfektionierten Sonderwegen, Entscheidungsschwäche und Datenschutzhörigkeit die Digitalisierung im Gesundheitswesen seit Jahrzehnten verhindert", unterstreicht die AUGSBURGER ALLGEMEINE.
und die BERLINER MORGENPOST hält fest: "Die Corona-Pandemie war eine Ausnahme-Situation, in der vieles ausprobiert und sicher nicht alles richtig gemacht wurde. Auch die Corona-Warn-App war dabei nicht die Lösung für alles, aber eben ein Teil einer ganzen Reihe von Maßnahmen, die gemeinsam zur Bewältigung der Corona-Krise beigetragen haben. Und auch wenn nicht klar gemessen werden kann, wie viele Infektionen die App tatsächlich verhindert hat, zeigen die bisherigen Auswertungen doch, dass sie in jedem Fall gewirkt hat. Hinzu kommt, auch wenn daran aktuell lieber niemand denken möchte: Es ist gut zu wissen, dass solche Programme funktionieren und einsatzbereit sind - denn die Wahrscheinlichkeit, dass wir sie in den kommenden Jahren, ob für Corona oder eine andere Krankheit, noch einmal brauchen werden, ist leider hoch."