06. Juni 2023
Die Presseschau aus deutschen Zeitungen

Zu Beginn der Kommentare steht die Diskussion in der Bundespolitik angesichts der hohen Umfragewerte der AfD. Außerdem wird das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur umstrittenen Justizreform in Polen sowie die Brasilien-Reise von Bundesaußenministerin Baerbock und Arbeitsminister Heil kommentiert.

Von rechts nach links: Bundeskanzler Olaf Scholz, Wirtschaftsminister Robert Habeck und Finanzmnister Christian Lindner sitzen auf der Regierungsbank im Deutschen Bundestag
Die Mehrheit der Deutschen ist laut aktuellen Umfragen mit der Ampel-Regierung unzufrieden. (imago / photothek / Florian Gaertner)
"Der Ampel Leid ist der AfD Freud", notiert der REUTLINGER GENERAL-ANZEIGER. "Kanzler Scholz sieht den Grund in der Fülle von Krisen. Krieg, Corona, Klima: Alles gleichzeitig - das verunsichere die Menschen. Trotzdem fällt auf, dass das AfD-Hoch mit dem Ampel-Tief zusammenfällt. In dieses Horn bläst die Union. Sie gibt der Regierung die Schuld. Tatsächlich verfolgt die Koalition bei großen Themen wie Migration und Klima keine klare Linie. Auch die ewigen Streitereien zwischen Grünen und FDP nerven. Debatten zum Gendern oder zur rassismusfreien Sprache gehen an der Lebenswirklichkeit vieler Menschen vorbei. Hoffnung macht jedoch, dass laut Deutschlandtrend zwei Drittel aus Protest mit der AfD sympathisieren. Sie lassen sich durch eine lösungsorientierte, pragmatische und effektive Politik zurückgewinnen", glaubt der REUTLINGER GENERAL-ANZEIGER.
Die NÜRNBERGER ZEITUNG kritisiert: "CDU-Chef Merz sieht sich veranlasst zu betonen, dass es keinerlei Zusammenarbeit der Union mit der AfD gebe. Das hat zwar niemand, der in der Union Verantwortung trägt, auch nur ansatzweise ins Spiel gebracht, nun da die AfD in Umfragen gleichauf mit der Kanzlerpartei SPD rangiert. Doch anstatt diese Reaktion aus der Bürgerschaft zum Anlass zu nehmen, ihre sozialökologisch verbrämte, staatlich verordnete Umbaupolitik zu hinterfragen, verwischen Ampel-Politiker ihre Verantwortung dafür und zeigen auf die Union. Was bringt denn nun die Bürgerseele wirklich in Wallung und lässt Unternehmen an der Zukunftsfähigkeit des Standorts zweifeln – Regierungsarbeit, die breite Verunsicherung streut, oder oppositionelle Kritik daran?", fragt die NÜRNBERGER ZEITUNG.
Die MITTELDEUTSCHE ZEITUNG aus Halle findet, dass am Höhenflug der AfD Merz seinen gehörigen Anteil habe. "Er hat es zugelassen, dass die CDU einen populistischen Kurs verfolgt. Sie spielt mit Ängsten - ob vor Ausländern oder vor kalten Wintern. Sie macht aus Auseinandersetzungen über Sprachgebrauch, wie das Gendern, eine Staatsaffäre. Das garantiert Aufmerksamkeit, zumal im Geschrei-Modus der sozialen Medien. Aus kritisieren wird diskreditieren, in der Wortwahl verwischen die Grenzen zur AfD. Dass ihr das nicht nützt, hat die Union im Flüchtlingsstreit unter Merkel schon einmal erlebt. Nun wiederholt sie den Fehler", resümiert die MITTELDEUTSCHE ZEITUNG.
Polen hat im Streit mit der EU um die Unabhängigkeit und das Privatleben von Richtern vor dem Europäischen Gerichtshof eine Niederlage erlitten. Die BADISCHEN NEUESTEN NACHRICHTEN aus Karlsruhe konstatieren: "Seit Jahren arbeitet die national-konservative Regierung in Warschau daran, den Rechtsstaat auszuhöhlen. Nun hat der Europäische Gerichtshof erneut den nicht hinnehmbaren Umbau des Justizsystems gerügt. Zu erwarten ist allerdings, dass sich die Regierung herzlich wenig um den Richterspruch scheren wird. Warschau weigert sich schon geraume Zeit, bereits gefällte Urteile des Gerichtshofes umzusetzen."
Die FRANKFURTER RUNDSCHAU prognostiziert, dass die PiS-Regierung nach dem Urteil weitere Konsequenzen spüren könnte. "Die EU sollte nicht nur die Strafe für den Abbau der Unabhängigkeit von Richtern einfordern, sondern auch weiter die Milliarden der Corona-Hilfen einbehalten. Warschau scheint nur diese Sprache zu verstehen und muss dann auf diesem Wege lernen, dass die EU nicht nur ein Geldgeber ist. Die PiS-Regierung könnte aber auch einlenken. Dann sollte die EU Polen entgegenkommen und den Druck in dem Maße senken, wie die PiS-Regierung Demokratie und Rechtsstaatlichkeit wiederaufbaut. Viel eher ist allerdings zu erwarten, dass Warschau weiter den falschen Weg verfolgt", heißt es in der FRANKFURTER RUNDSCHAU.
Die RHEINPFALZ aus Ludwigshafen geht auf die wütende Reaktion des polnischen Justizministers auf das Urteil aus Luxemburg ein, das zu erwarten gewesen sei. "Und doch scheint sich der Wind langsam zu drehen. Denn auf den Straßen im Land braut sich etwas zusammen: Hunderttausende Menschen demonstrierten am Sonntag gegen ihre Regierung. Die Organisatoren sprachen von der größten Demonstration seit dem Sturz des Kommunismus im Jahr 1989. Und das EuGH-Urteil hat das Zeug dazu, den Sturm weiter anzupeitschen. Denn jetzt geht es Polen an den Geldbeutel."
Der TAGESSPIEGEL bezeichnet die Demonstration in Warschau als Paukenschlag wenige Monate vor der Parlamentswahl. "Es gibt also noch eine mächtige Opposition. Die Mobilisierung ist weit höher als bei den größten Kundgebungen der deutschen Nachkriegsgeschichte. Auch da versammelten sich an die 500.000 Menschen. Polen hat aber nur halb so viele Einwohner. Oppositionsführer Tusk hat ein symbolträchtiges Datum gewählt: Der 4. Juni 1989 markierte die erste halbwegs freie Wahl in Osteuropa nach Jahrzehnten der Diktatur. Die hatte die Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc erzwungen. Fünf Monate später fiel die Berliner Mauer. Auch jetzt geht es um Freiheit und den Protest gegen eine missliebige Regierung, die Demokratie, Rechtsstaat und Medienvielfalt untergräbt. Doch reicht die Kraft dieser Opposition, um die nationalpopulistische PiS zu besiegen? Die machtvolle Demonstration hat den Machtwechsel ein Stück wahrscheinlicher werden lassen", meint der TAGESSPIEGEL.
Bundesaußenministerin Baerbock und Arbeitsminister Heil haben zum Beginn einer gemeinsamen Brasilien-Reise um Fachkräfte aus Südamerika für den deutschen Markt geworben. Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG analysiert: "Die Versorgung mit Pflegeleistungen in Deutschland stößt wegen Personalnot der Krankenhäuser, Pflegeheime und -dienste immer öfter an Grenzen. Es gibt dort schon 1,7 Millionen Arbeitskräfte, was fünf Prozent aller sozialbeitragspflichtig Beschäftigten entspricht. Trotzdem sind es zu wenige, um steigende gesetzliche Leistungsansprüche und Qualitätsstandards für immer mehr Pflegebedürftige zu erfüllen - was eben jene Ansprüche und Standards über kurz oder lang ad absurdum zu führen droht. Schadet es da, dass Außenministerin Baerbock und Arbeitsminister Heil in Brasilien um Pflegekräfte werben? Das wohl nicht. Laut Stiftung Patientenschutz sind im vergangenen Jahr 34 professionelle Pflegekräfte aus Brasilien hierhergekommen. Vielleicht werden es bald einige Dutzend mehr", hofft die F.A.Z.
Der MÜNCHNER MERKUR blickt zurück auf eine Reise des ehemaligen Gesundheitsministers Spahn in Mexiko. Der CDU-Politiker warb dort 2019 um Pflegekräfte. "Nur gebracht hat es eben nicht ganz so viel. Im Jahr 2022 wurden ganze 656 ausländische Pflegekräfte außerhalb der EU für Deutschland gewonnen. Die Gründe dafür sind vielfältig. Die langwierigen Verfahren zur Anerkennung von Berufsabschlüssen spielen eine Rolle. Aber auch die schwierige deutsche Sprache und die vergleichsweise hohe Abgabenlast dürften dazu beitragen, dass Deutschland weltweit für Arbeitsmigranten oft nicht die erste Wahl ist."
Die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG betont, dass die Integration der Mitarbeiter in die Gesellschaft wichtig sei. "Es versteht sich von selbst, dass angeworbene Kräfte eine langfristige Perspektive brauchen. Menschen, die in Deutschland arbeiten, möchten hier nicht nur ihr Karrierepotenzial ausschöpfen, sondern vielleicht auch eine Familie gründen. Die immer noch weit verbreitete Ansicht, wonach ausländische Arbeiter nur Gast sein sollten, passt nicht mehr in die Zeit; als besonders fremdenfreundlich gilt Deutschland nicht. Mindestens so wichtig wie ministerielle Rekrutierungsreisen zur Aufpolierung des Rufs und politische Initiativen für die vereinfachte bürokratische Weichenstellung ist also ein gesellschaftliches Klima, das fremder Hände Arbeit wertschätzt." Mit diesem Kommentar aus der NEUEN OSNABRÜCKER ZEITUNG endet die Presseschau.