01. Juli 2023
Die Presseschau aus deutschen Zeitungen

Heute mit Kommentaren zu den gewaltsamen Ausschreitungen in Frankreich und dem geplanten Deutschlandbesuch von Präsident Macron. Weiteres Thema ist das Sofortprogramm der Union. Doch zunächst geht es um den EU-Gipfel in Brüssel, der ohne gemeinsame Erklärung zur Migrationspolitik zu Ende gegangen ist.

Männer in Anzügen stehen in einem Raum zusammen und unterhalten sich.
Ungarns Ministerpräsident Orbán (2. v.r.) spricht mit dem polnischen Ministerpräsidenten Morawiecki beim EU-Gipfel. (picture alliance / AA / Dursun Aydemir)
Die LEIPZIGER VOLKSZEITUNG führt aus: "Wie Geiselnehmer im Flugzeug erhoben sich zwei Regierungschefs mit düsterem Blick und stellten Forderungen, die die 25 anderen sofort erfüllen sollten - sonst laufe hier jetzt gar nichts mehr. Die Premiers von Ungarn und Polen, Viktor Orban und Mateusz Morawiecki, verlangten, die Anfang Juni erreichte Asyl-Einigung der EU-Innenministerinnen und Innenminister in zwei zentralen Punkten wieder zu kippen. Ungarn und Polen wollen erstens nicht verpflichtet werden, irgendjemanden aufzunehmen. Und sie wollen zweitens auch nicht die für Nichtaufnahmen geplante Ausgleichszahlung leisten. Doch wer in der Gemeinschaft der 440 Millionen EU-Europäer immer wieder schon stilistisch Aversionen auslöst, erreicht auf Dauer auch politisch nichts", notiert die LEIPZIGER VOLKSZEITUNG.
Die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG gibt zu bedenken: "Ungarn und Polen haben nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie den Asylkompromiss der EU-Innenminister nicht mittragen. Weder wollen die beiden Länder Flüchtlinge aus anderen Kulturkreisen aufnehmen - auch dafür sind die jeweiligen Regierungen schließlich gewählt worden - , noch wollen sie als Ersatzleistung Geld an EU-Mitgliedstaaten zahlen, die ihren rechtlichen und humanitären Verpflichtungen nachkommen. Das haben beide Länder immer so kommuniziert. Insofern ist es Realitätsverweigerung, wenn nun manche sagen, die Weigerung der osteuropäischen Staaten sei nicht so wild. Es kommt sehr wohl darauf an, dass Polen und Ungarn mitwirken. Sie für eine mögliche Weigerung rechtlich zu sanktionieren würde Jahre dauern. Die Probleme aber müssen schnell gelöst werden", unterstreicht die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG.
Die MEDIENGRUPPE BAYERN, zu der unter anderem die PASSAUER NEUE PRESSE gehört, stellt fest: "Die Brüsseler Konsensmaschine stößt an ihre Grenzen. Gut, Ungarn und Polen allein können die geplante Asyl-Reform nicht verhindern, von der ohnehin nicht klar ist, ob sie sich in der Praxis bewährt, zumal die dafür unverzichtbaren Rücknahmeabkommen zum Beispiel mit Tunesien, aber auch vielen anderen Transitländern, noch nicht einmal in Sicht sind. Aber unabhängig davon vertiefen sich die Gräben in der EU vor allem in der Migrations- und Asyl-Politik. Die Hoffnung, die regelmäßigen Blockierer Ungarn und Polen irgendwie einbinden zu können, lösen sich langsam, aber sicher, in Luft auf. Neuer Unfriede ist gesät: Orban droht schon damit, weitere EU-Militärhilfen für die Ukraine zu blockieren. Einfach schäbig!", kritisiert die PASSAUER NEUE PRESSE.
Die FRANKFURTER RUNDSCHAU erinnert: "Es gab einmal Hoffnung auf eine gemeinsame, an den Menschenrechten orientierte Asyl- und Migrationspolitik der Europäischen Union. Nach fast 25 Jahren muss heute festgestellt werden: Nie waren die Staaten weiter davon entfernt. Die Europäische Union lässt sich von Ungarns Ministerpräsidenten Viktor Orban vorführen, der mit seinem Gerede von einem 'Migrationskrieg' die Menschen auf dem Kontinent gegen Schutzsuchende aufstachelt. Es ist ein Armutszeugnis für die Wertegemeinschaft EU", urteilt die FRANKFURTER RUNDSCHAU.
Die Zeitung DIE GLOCKE aus Oelde findet, die anderen EU-Mitglieder sollten Polen und Ungarn klar machen, dass "getroffene Entscheidungen wie die der EU-Staaten über die Asylreform gelten. Verheerend wäre, wenn man dem Ansinnen der Querulanten nachgeben würde. Das würde die Legitimität künftiger EU-Entscheidungen in Frage stellen und wahrscheinlich zu weiteren Boykott-Aktionen von Polen und Ungarn führen", befürchtet DIE GLOCKE.
Themenwechsel. Die FREIE PRESSE aus Chemnitz geht ein auf das Zehn-Punkte-Programm der Unionsparteien: "Es ist kein Zufall, dass das Papierchen 'Agenda für Deutschland', das CSU-Chef Markus Söder und der CDU-Parteivorsitzende Friedrich Merz vorstellten, dieselben Initialen hat wie der Parteiname AfD. Es soll eine Art 'Alternative zur Alternative für Deutschland' sein. Protest gegen die Ampel, so lautet die Botschaft, ist besser bei der Union aufgehoben als bei den Rechtspopulisten. Es ist gut und richtig, wenn die Union stocknüchterne Sachpolitik präsentiert. Nur sind gehörige Zweifel angebracht, ob die Union in ihrem gegenwärtigen Zustand zu dieser Strategie wirklich in der Lage ist. Und der Inhalt? Der ist dünn. Die Agenda ist ein flink zusammengebasteltes Sammelsurium konservativer Ladenhüter – vom Kampf gegen Kriminalität bis zur Steuerentlastung", bilanziert die FREIE PRESSE.
Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG bemerkt zum CDU-Bundesvorsitzenden: "Man kann nicht sagen, dass Friedrich Merz nicht die Konsequenz aus der peinlichen Niederlage eines CDU-Kandidaten in Sonneberg gegen einen AfD-Mann gezogen hätte. Der CDU-Chef rief seine Partei zum Kampf auf. Zwar gilt dieser Kampf erklärtermaßen auch der AfD. Merz gab als 'Hauptgegner' innerhalb der Regierung allerdings die Grünen aus, was allgemeine Verwunderung auslöste. Die Grünen also, Partei der Denkverbote und volkserziehender Ideologen: Ernsthaft?", fragt die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG.
Die Online-Ausgabe der Zeitung WELT blickt voraus: "Im kommenden Jahr steht die Union in drei Landtagswahlen im Osten gegen die Rechtspopulisten und muss eine Europawahl bestehen, die traditionell für Protest genutzt wird. Die CDU wäre gut beraten, schon jetzt das Profil dafür zu schärfen und sich eine Strategie zu überlegen, zwischen Ampel und AfD zu bestehen. Und selbst wer stattdessen vor allem Merz loswerden möchte: Für Mobbing ist dann immer noch genug Zeit." So weit die WELT und so viel zu diesem Thema.
Die RHEIN-NECKAR-ZEITUNG aus Heidelberg äußert sich zu den gewaltsamen Ausschreitungen in Frankreich, die durch den Tod eines 17-Jährigen während einer Verkehrskontrolle ausgelöst wurden: "Wenn die französische Regierung jetzt abends keine Busse und Bahnen mehr fahren lässt, dann doktert sie an den Symptomen herum. Doch die eigentliche Krankheit ist eine gespaltene Gesellschaft, die migrantische Parallelwelten ebenso duldet, wie eine offen ausländerfeindliche Partei. Das vulgäre Vorurteil gegenüber dem Fremden ist jenseits des Rheins salonfähig geworden. Und so gesehen hat dann ein Polizist auf jemanden geschossen, der sich eben verdächtig machte. So nötig es ist, die Einsatzrichtlinien französischer Polizisten zu überarbeiten, so nötiger ist es, Diskriminierung zu tabuisieren. Die Alternative dazu sind bürgerkriegsähnliche Zustände", schreibt die RHEIN-NECKAR-ZEITUNG.
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG betont, der für Sonntag geplante Deutschlandbesuch von Präsident Macron stehe auf der Kippe: "Denn durch die sozialen Unruhen in zahlreichen Vororten droht Frankreich nach den Rentenstreiks schon zum zweiten Mal in diesem Jahr in eine innenpolitische Krise zu schlittern, die die Aufmerksamkeit des Präsidenten erfordert. Dem zuletzt selten spannungsfreien Verhältnis zwischen Berlin und Paris täte es indes gut, wenn Macrons Staatsbesuch - der erste eines französischen Präsidenten in Deutschland seit 23 Jahren - stattfände, selbst wenn nicht harte Inhalte im Vordergrund stehen. Obwohl auf diversen Kanälen im ständigen Austausch, verlieren sich beide Staaten immer wieder in Detailfragen. Das lähmt Europa", hebt die die F.A.Z. hervor.
Ein Grund für die zuletzt belasteten Beziehungen zwischen Paris und Berlin sei der Ukraine-Krieg, heißt es in der LAUSITZER RUNDSCHAU aus Cottbus: "Denn der Krieg richtete den Fokus auf zwei Themenfelder, auf denen die Kooperation traditionell schwierig ist: Energie und Verteidigung. Auch persönlich steht es zwischen Macron und Scholz nicht zum Allerbesten. Zu unterschiedlich sind die Temperamente und zu ähnlich ist das jeweilige Selbstbewusstsein." Das war zum Ende der Presseschau ein Auszug aus der LAUSITZER RUNDSCHAU.