10. Juli 2023
Die Presseschau aus deutschen Zeitungen

Die Kommentare der Zeitungen befassen sich mit dem Rücktritt der Regierung in den Niederlanden und den schlechten Umfragewerten der deutschen Bundesregierung. Aber zunächst zum morgen beginnenden NATO-Gipfel in Litauen.

Norwegen, Oslo: Jens Stoltenberg, Nato-Generalsekretär, spricht bei einer Pressekonferenz im Nationalmuseum nach einem informellen Nato-Außenministertreffen.
NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg (Stian Lysberg Solum/NTB/dpa)
Die FRANKENPOST aus Hof schreibt zur NATO-Beitrittsperspektive der Ukraine: "Ja, ein so tiefgehender Schritt ist vorzubereiten, muss diskutiert werden und braucht politische, diplomatische und wirtschaftliche Fundamente. Aber es wäre fatal, nicht endlich auch Nägel mit Köpfen zu machen und das Verteidigungsbündnis NATO nach Osten hin mit der Ukraine schnellstmöglich zu erweitern. Unser aller Sicherheit steht auf dem Spiel - denn ein Europa in Frieden und Sicherheit ist leider ganz offenbar nicht mehr so möglich, wie wir es 70 Jahre leben durften", mahnt die FRANKENPOST.
Der KÖLNER STADT-ANZEIGER kommt mit Blick auf die Ukraine zu dem Schluss: "Die Lage ist extrem kompliziert und hochgefährlich. Die NATO müht sich, nicht schon jetzt von Moskau als Kriegspartei verstanden zu werden. Deshalb liefert sie als Allianz keine Waffen an Kiew. Das machen die einzelnen Mitgliedstaaten. In Vilnius muss das Bündnis Kiew nun einen klaren Fahrplan für eine Mitgliedschaft schreiben, damit Putin schon jetzt erkennt, dass er die Ukraine niemals bekommen wird — ob NATO-Mitglied oder nicht; dass Russland sich im Nachbarland zu Tode kämpfen wird, weil die ukrainischen Soldaten immer das neueste Gerät haben, besser ausgebildet und auch moralisch stärker sein werden", fordert der KÖLNER STADT-ANZEIGER.
Die RHEINISCHE POST aus Düsseldorf kommentiert die Türkei-Reise des ukrainischen Präsidenten im Vorfeld des Gipfels: "Wer in die NATO will, braucht schon vorher Verbündete. Und er sollte den Weg über Ankara gehen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat die Zeichen der Zeit erkannt. Will er sein Land eines Tages tatsächlich in das nordatlantische Verteidigungsbündnis führen, darf er kein Veto riskieren. Im Bündnis gilt das Einstimmigkeitsprinzip. Ganz gezielt war Selenskyj vor dem wichtigen NATO-Gipfel in Vilnius noch beim türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, der ihn mit der Vergewisserung entließ, die Ukraine habe sich die Mitgliedschaft schon jetzt verdient. Nur wann wird die Ukraine NATO-Mitglied? Die Antwort muss lauten: nach Ende des Krieges", ist sich die RHEINISCHE POST sicher.
Für die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG steigt der Druck auf Bundeskanzler Scholz, der Ukraine eine Beitrittsperspektive zu bieten: "Die hinhaltende Position wird Scholz in Osteuropa, bei den Briten und natürlich in der Ukraine selbst als Ängstlichkeit angelastet. Sie hat in der Tat eine große Schwäche, weil sie Putin stärkt. Solange der den Krieg gegen die Ukraine führt, so lange bliebe die NATO-Tür für Kiew definitiv zu. Mit anderen Worten: Wenn Putin den Konflikt am Köcheln hält, kann er sich sicher sein, dass er der NATO nicht auf dem Schlachtfeld begegnen wird. Erst ein Friedensschluss würde die Ukraine der NATO näher bringen. Weil Putin das verhindern will, kann er wenig Interesse an Frieden haben. Der Druck auf Scholz, sich zu bewegen, wird steigen. Denn die Bremser in der Beitrittsfrage haben den Frieden keinen Zentimeter näher gebracht." Das war die Meinung der NEUEN OSNABRÜCKER ZEITUNG.
Der in Berlin erscheinende TAGESSPIEGEL sieht die NATO so stark, wie seit dem Kalten Krieg nicht mehr und meint: "Das hat sich Putin selbst zuzuschreiben. Seine imperialistische Unberechenbarkeit ist die größte Bedrohung für die NATO und zugleich ihr größter Einiger. Gegen die Bedrohung von außen scheint die NATO besser gewappnet als in den Vorjahren. Die Bedrohung von innen wird dagegen unterschätzt. Viele westliche Gesellschaften polarisieren sich immer stärker, es profitieren jene, denen an guter internationaler Kooperation wenig liegt. Muss man mehr sagen als Trump, Brexit und Viktor Orban? In Frankreich, im Vorjahr knapp dem Albtraum Marine Le Pen entgangen, gibt es Unruhen. Und im stets so stabilen Deutschland kann mit dem Höhenflug der AfD gerade auch niemand seine Hand dafür ins Feuer legen, dass die Stabilität ewig währt. Die jeweiligen innenpolitischen Konflikte werden von Putins Diensten und Trollfabriken befeuert. Zwietracht zu säen gehört zu Moskaus Agenda", lesen wir im TAGESSPIEGEL.
Und damit zum Rücktritt der Regierung in den Niederlanden, die am Streit um die Migrationspolitik zerbrochen ist. Dazu hält die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG fest: "Die Niederlande haben für ihre großzügige Regelung, die seit dem Jahr 2000 gilt, einen hohen Preis bezahlt: Der Zustrom von Migranten ist stark gestiegen. Sie wissen sehr genau, wie attraktiv welches Land in Europa ist, und nutzen das aus. Trotzdem war es nicht nur der Druck von außen, der die Regierung kollabieren ließ. Im Vergleich zu vor einem Jahr ist die Zahl der irregulären Einreisen stabil, die unhaltbaren Zustände bei der Erstaufnahme haben sich verbessert. Ministerpräsident Mark Rutte beendete mit seiner harten Haltung eine Koalition, deren Risse allzu offensichtlich waren und der es am vertrauensvollen Umgang mangelte. Das mag manchen an Berliner Verhältnisse erinnern - und zeigt, wie schnell die Macht schwinden kann", warnt die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG.
Die TAGESZEITUNG macht eine gewisse Erleichterung über den Rücktritt der Rutte-Regierung aus: "Das Gros der Bevölkerung hat das Kabinett Rutte IV, das nur antrat, weil es keine andere funktionierende Mehrheit gab, reichlich satt. Das Vertrauen in Politik, in Parteien und staatliche Instanzen ist fundamental angeschlagen: durch den beispiellosen Kindergeld-Skandal, nachlässigen Umgang mit den Menschen in Groningen, als dort wegen der Erdgasförderung die Erde bebte. Und durch Ruttes kreativen Umgang mit der Wahrheit. In welche Richtung das Land geht, ist freilich derzeit völlig unklar. Sicher ist im Augenblick nur: Die Niederlande stehen an einer Weggabelung", betont die TAZ.
Die FRANKFURTER RUNDSCHAU sieht ein "gefährliches Machtspiel" und führt aus: "Rutte spitzte die Asyldebatte gezielt zu. Neues Credo: harte Linie. Damit folgt Rutte einer gefährlichen liberal-konservativen Strategie: Die Krise erst eskalieren lassen, um dann den Retter zu geben. Das Schema ist bekannt: In Bayern bringt die CSU nach texanisch-republikanischem Vorbild das flache Land als Stabilitätsanker gegen das 'verrottete' Berlin in Stellung. FDP-Chef Christian Lindner macht auf libertären Widerstand gegen den Staat, zumindest wenn er zu viel Klimapolitik will. Die Linie ist immer gleich: Gegen staatliche Regelungen polemisieren, um sich als rechte Alternative zu stilisieren. Ein riskantes Manöver. In Umfragen liegen Ruttes Liberale nur knapp vor der Bauernpartei BBB, die gegen Klimaschutzpolitik polemisiert. Das können rechte Populistinnen und Populisten im Zweifel besser. Das macht die anstehende Neuwahl in Den Haag so spannend. Für die Niederlande. Und für Europa", befindet die FRANKFURTER RUNDSCHAU.
Themenwechsel. Die SCHWÄBISCHE ZEITUNG aus Ravensburg findet das Verhalten von Bundeskanzler Scholz angesichts der schlechten Umfragewerte für die Ampelkoalition "kühn" und unterstreicht: "Letztlich riskiert er den Bruch seiner Regierungskoalition, wenn er es nicht schafft, dass Grüne und FDP ihren Dauerstreit hinter sich lassen und zu einem konstruktiven Umgang zurückfinden. Darauf würden derzeit allerdings die wenigsten wetten. Denn die beiden Parteien sind entweder nicht gewillt oder nicht in der Lage, ihre eigenen Ziele zugunsten guten Regierungshandelns hintanzustellen. Wenn unter dem Ansehensverlust nur die Ampel-Parteien selbst zu leiden hätten, wäre der politische Schaden überschaubar. Aus den nächsten Wahlen gingen dann eben andere als Sieger hervor. Doch schlechte Regierungsarbeit schadet dem politischen System an sich. Ändert die Ampel daran nichts, ist es ein Einfallstor für jene, deren politisches Kalkül darin besteht, sich mit ihren Parolen volksnah zu geben – ohne volksnah zu sein."