15. Juli 2023
Die Presseschau aus deutschen Zeitungen

Der Rat für deutsche Rechtschreibung hat zur geschlechtergerechten Sprache keine neue Empfehlung abgegeben. Ein weiteres Thema ist die traditionelle Sommerpressekonferenz des Bundeskanzlers. Die FRANKFURTER RUNDSCHAU kritisiert:

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) spricht auf der Sommer-Pressekonferenz im Haus der Bundespressekonferenz.
Bei seiner Sommer-Pressekonferenz wirbt Bundeskanzler Olaf Scholz für Kompromisse. (picture alliance / dpa / Michael Kappeler)
"Olaf Scholz zeichnet die Lage auf eine Art und Weise positiv, die mit der Stimmung im Land wenig zu tun hat. Das ist Teil seines Regierungsstils. Er möchte eine Politik machen, die die Menschen im Land positiv in die Zukunft blicken lässt, sagt er und wischt daher alles beiseite, was diesen Blick trüben könnte. Als Krisenmanager hat der Kanzler funktioniert. Die große Hypothek für die nächsten zwei Regierungsjahre liegt in den inneren Konflikten der Ampelregierung. Die Koalition steht desillusioniert, zerstritten und ratlos da. Fragen nach den inneren Konflikten dieses Bündnisses bügelt Scholz einfach glatt. Da macht er es sich zu einfach", moniert die FRANKFURTER RUNDSCHAU.
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG konstatiert: "Olaf Scholz ist kein Handaufleger, die Kunst und Macht der Rede nutzt er so gut wie gar nicht. Stattdessen behauptet er von sich, im Operativen gut bis hervorragend zu sein und ausschließlich mit den Ergebnissen seines Regierungshandelns überzeugen zu wollen. Für Scholz heißt das auch: Ruhe und Sicherheit auszustrahlen ist erste Kanzlerpflicht. Und auch wenn die Kanzlerruhe in einem immer offensichtlicheren Gegensatz zur Krisenstimmung vielerorts steht, sollte man fragen: Was wäre denn die Alternative? Mit einem Kanzler, der Panik verbreitet, ist niemandem geholfen. Aber trotzdem muss sich Scholz eben daran messen lassen, ob er gut regiert. Und da kommt man zu einem gemischten Fazit. Nicht jeden Streit und jeden schlechten Gesetzentwurf kann man freilich dem Regierungschef anlasten. Scholz wirbt für die Abwägung, den Kompromiss. Wo die Gesellschaft polarisierter wird, will er die Mitte sein. Reicht das, um einer erstarkenden AfD etwas entgegenzusetzen?", fragt die F.A.Z.
Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG bemerkt: "Den Erfolg der AfD in den Umfragen hält Olaf Scholz nicht für eine unmittelbare Folge der Koalitionsstreitigkeiten, sondern für das Resultat des über einen langen Zeitraum verloren gegangenen Zukunftsglaubens. Zugleich erklärt Scholz, die AfD werde bei der nächsten Bundestagswahl nicht besser abschneiden als bei der letzten. Mit anderen Worten: Olaf Scholz stellt sich vor, dass die Deutschen in gerade mal gut zwei Jahren den Glauben an die Zukunft zurückgewonnen haben. Niemand kann heute sagen, ob in dieser Zeit ein Sieg der Ukraine gegen die russischen Okkupanten gelingt. Ungewiss ist der Ausgang der Wahl in den USA, und ob der Welt der Albtraum einer Rückkehr von Donald Trump ins Weiße Haus erspart bleibt. Endlich chaosfreies, kompromissfähiges Regieren, wie Scholz es verspricht, wäre da schon hilfreich. Aber selbst das genügt nicht. Es reicht nicht, wenn Scholz Zuversicht einfordert. Er muss sie schon auch verkörpern", findet die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG.
Die ALLGEMEINE ZEITUNG mahnt mehr Ehrlichkeit in der politischen Debatte an: "Nach der Corona-Zeit wird es mit Militärausgaben, Unterstützung bei Mehrbelastungen im Energiesektor und Inflation so einfach nicht sein. Scholz will keine Spaltung der Gesellschaft. Da hilft allerdings nur Klartext und nicht ein einfaches Statement, die AfD halbiere sich im Zuspruch der Wähler selbst. SPD, Grüne und FDP müssen den Sommer nutzen, intern zu diskutieren und nicht weiter auf offener Bühne zu streiten", rät die ALLGEMEINE ZEITUNG aus Mainz.
Das STRAUBINGER TAGBLATT stellt klar: "Es gibt Grund zur Klage über die Koalition, keine Frage. Das Heizungsgesetz ist ein fast schon groteskes Beispiel dafür, was eine Regierung alles falsch machen kann. Eine miserable Kommunikation und viele inhaltliche Fehler schürten den Frust in der Bevölkerung. Anderseits kommt die Ampel mit dem Gebäudeenergiegesetz dem Wählerauftrag nach, etwas für den Klimaschutz zu tun. Wenn sich die Hoffnung bewahrheitet, dass in Deutschland ab Mitte dieses Jahrhunderts CO2-neutral geheizt wird, dann ist die ganze Aufregung nur noch eine Anekdote." Das war das STRAUBINGER TAGBLATT.
Die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG zieht eine gemischte Bilanz: "Nüchtern betrachtet, steht es nach zwei Jahren Scholz nicht so schlecht um das Land. Der Kanzler hat es geschafft, den Großteil der Bevölkerung hinter der massiven Militärhilfe für die Ukraine zu versammeln. Seine Bemühungen um internationale Geschlossenheit sind enorm und nicht vergebens. Das Deutschland-Tempo zur Bewältigung der Energiekrise samt russischem Gas-Stopp hat gravierenden Schaden von Wirtschaft und Gesellschaft abgewendet. Mit der europäischen Einigung auf Asylzentren an den Außengrenzen sind SPD und Grüne über ihren Schatten gesprungen, um die Migrationskrise zu entschärfen. Verheerend war der Streit über das Heizungsgesetz. Den ließ Scholz zu lange laufen. Die Angst vor unbezahlbarem Klimaschutz beim Wohnen hat viele Menschen verunsichert und der AfD Zulauf gebracht. Die Botschaft hat Scholz angenommen. Künftige Klima-Gesetze will er so gestalten, dass sie in einer Volksabstimmung eine Mehrheit bekämen. Überzeugende Sachpolitik und maximale Nüchternheit, das ist das Scholz-Rezept gegen die Rechtspopulisten. Und es spricht viel dafür, dass es das richtige ist", resümiert die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG.
Nun zur Debatte über geschlechtergerechte Sprache. Genderstern und Unterstrich sind auch künftig keine regulären Sprachzeichen im Deutschen, entschied der Rat für deutsche Rechtschreibung. Die MÄRKISCHE ODERZEITUNG vertritt diese Meinung: "Auch das Gendersternchen stellt - so gut das Ziel der Gleichstellung gemeint ist - ein Instrument der Manipulation dar. In der breiten Bevölkerung, die ausweislich mehrerer Umfragen seine Anwendung ablehnt, wird es nur noch als Mittel einer Elite zur Erziehung der vermeintlich ignoranten Mehrheit über den Umweg von Universitäten, öffentlich-rechtlichem Rundfunk und Behörden wahrgenommen. Wenn der Rat für deutsche Rechtschreibung nun zunächst mögliche Folgeprobleme des Gendersterns klären will, tut er gut daran. So wie regionale Sprachvarianten auch könnte der Stern eines Tages durchaus im Duden auftauchen. Als Sonderform einer kleinen Gruppe von Sprechern. Eine Allgemeinverbindlichkeit darf damit nicht verbunden sein" fordert die MÄRKISCHE ODERZEITUNG aus Frankfurt/Oder.
Die VOLKSSTIMME bewertet die Debatte anders: "Der viel verteufelte, in der Realität aber oft gar nicht vollzogene Zwang zur geschlechtergerechten Sprache bleibt auch weiterhin ein Hirngespinst ideenloser Politiker, die mal wieder nach einem Wahlkampf-Thema suchen. Die Experten haben keine neue Empfehlung ausgesprochen - eine mutlose Entscheidung. Der aufgenommene Ergänzungspassus deutet auf eine aufgeweichte Fortsetzung des Kurses von 2021 hin, als die Experten empfahlen, Sternchen, Doppelpunkt und Co. nicht ins Regelwerk aufzunehmen. Auch das war nur eine Empfehlung. Von Gender-Zwang ist und war also nie die Rede. Wohl aber darf es nicht zu viel verlangt sein, Sprache als das zu sehen, was sie ist - ein Spiegelbild gesellschaftlicher Veränderungen. Und die Gesellschaft - Gott sei Dank! - bewegt sich in eine Richtung, in der die Stimme der Frauen ebenso laut ist wie die der Männer. Diese sind übrigens - das hat ihnen Sprache (!) vermittelt - mit der Gewissheit aufgewachsen, stets und ständig gemeint zu sein. Da kann es doch wirklich nicht zu viel verlangt sein, mal darüber nachzudenken, an dieser Stelle etwas ändern zu wollen", kommentiert die VOLKSSTIMME aus Magdeburg.
Die BERLINER MORGENPOST plädiert für Vielfalt: "Was die öffentliche Debatte übers Gendern betrifft, so täte vielen Protagonisten mehr Gelassenheit gut. Es gibt Politiker, die kein anderes Thema zu haben scheinen. Sie sollten sich ernsthaft fragen, ob sie ihren Beruf verfehlt haben. Jeder soll so reden, wie er mag - ob privat, öffentlich oder in Rundfunk und Fernsehen. Die freie Gesellschaft hält das aus. Für Kampagnen und Kulturkämpfe eignet sich das Thema nicht."