18. Juli 2023
Die Presseschau aus deutschen Zeitungen

Mit Kommentaren zum Migrationsabkommen der EU mit Tunesien und zur Aufstellung der Linken bei der Europawahl im kommenden Jahr. Zunächst geht es aber um das Getreideabkommen zwischen der Ukraine und Russland, das gestern ausgelaufen ist.

Frisch geernteter Weizen wird in der Nähe von Shuriwka in der Ukraine in einen Getreidespeicher geladen.
Frisch geernteter Weizen wird in der Nähe von Shuriwka in der Ukraine in einen Getreidespeicher geladen. (imago-images / NurPhoto / Maxym Marusenko)
Die MITTELDEUTSCHE ZEITUNG aus Halle schreibt dazu: "Der Kremlchef weiß, dass der Stopp des Abkommens nicht nur der Ukraine schadet. Viele dürregeplagte Länder in Afrika sind auf ukrainischen Weizen angewiesen. Dass Kremlsprecher Dmitri Peskow anführt, der russische Präsident lasse das Abkommen auslaufen, weil Forderungen Moskaus nach Erleichterungen bei westlichen Sanktionen nicht erfüllt worden seien, ist ein Scheinargument. Die Sanktionen wurden verhängt, weil Putin einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg vom Zaun gebrochen hat – den er jederzeit beenden könnte. Dass Putin den Tod von Menschen in Kauf nimmt, um Ziele durchzusetzen, ist nichts Neues", konstatiert die MITTELDEUTSCHE ZEITUNG.
"Mit seinen massenhaften Verbrechen gegen die Menschlichkeit hat sich der russische Diktator eigentlich längst als Verhandlungspartner disqualifiziert", hält die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG fest und räumt ein: "Solange er aber noch an der Macht ist, muss der Westen dennoch mit ihm verhandeln. Aber wie? Auf seine Erpressungen eingehen, um denjenigen Ländern Getreide zu sichern, in denen sonst Menschen verhungern? Hart bleiben und die Sanktionen noch verschärfen, was aber auch zulasten der ukrainischen Exporte gehen würde? Man möchte derzeit wirklich nicht tauschen mit den verantwortlichen Politikern. Immerhin ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Putin doch noch einlenkt und das Getreideabkommen früher oder später verlängert. Denn zynischerweise ist Russland mit seinen Exporten auf Rekordniveau der wirtschaftliche Gewinner dieses Abkommens", unterstreicht die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG.
Auch die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG notiert: "Noch ist nicht ganz auszuschließen, dass es sich nur um einen vorübergehenden Ausstieg handelt, mit dem der Kreml eine Aufweichung westlicher Sanktionen erreichen will. Doch womöglich spielen in Wladimir Putins Kalkül ganz andere Überlegungen eine Rolle. Offenbar will er dem Westen die Schuld an steigenden Lebensmittelpreisen zuschieben. Das könnte eine Vorbereitung für den Russland-Afrika-Gipfel Ende Juli sein, auf dem er sich als Anführer der Entrechteten dieser Welt positionieren will. Vielleicht will Putin auch die Solidarität Europas mit der Ukraine auf die Probe stellen. In Moskau hat man sehr genau die Verwerfungen wahrgenommen, die der Export ukrainischer Agrarprodukte auf dem Landweg im Frühjahr in der EU verursacht hat, weil europäische Bauern sich einer neuen und sehr unerwünschten Konkurrenz ausgesetzt sahen", erinnert die FAZ.
Die TAGESZEITUNG stellt fest: "Es ist reine Erpressung. Bisher hat sie immer funktioniert. Sie darf nicht mehr funktionieren. Denn es geht Russland eigentlich überhaupt nichts an, ob jemand aus der Türkei Lebensmittel und Decken über die Grenze nach Nordwestsyrien fährt oder ob Frachtschiffe durch internationale Gewässer ukrainisches Getreide transportieren. Vielmehr muss Sicherheit anders hergestellt werden. Die Türkei schlug vorige Woche vor, Handelsschiffen im Schwarzen Meer Geleitschutz durch die eigene Marine anzubieten. Die Präsenz der türkischen Armee im syrischen Rebellengebiet dient dort bereits faktisch als Schutz vor Putin und Assad. Es ist bezeichnend, dass außer der Türkei, deren Präsident an erster Stelle egoistische Machtinteressen verfolgt, niemand den Mut aufbringt, aktiv zu werden, damit Russlands Erpressung scheitert", meint die TAZ.
"Theoretisch könnten die Lieferungen weiter gehen", schreibt die FRANKENPOST aus Hof: "Ob sich Russland traut Schiffe anzugreifen, die griechischen Reedern gehören und unter maltesischer Flagge fahren, bezweifeln viele. Aber kaum jemand wird den Praxistest machen. In den letzten Wochen ist der Weltmarktpreis für Weizen und Co gesunken. Jetzt wird er wieder steigen. Das merkt man überall auf der Welt, egal ob man Empfänger des ukrainischen Getreides ist oder nicht", warnt die FRANKENPOST.
Die EU und Tunesien haben eine Absichtserklärung zur Eindämmung der Migration unterzeichnet. Der Berliner TAGESSPIEGEL kommentiert: "Der Pakt mit Tunesiens Machthaber Kais Saied in der Flüchtlingsfrage kehrt die EU endgültig zu ihrem alten Paradigma zurück: Sie alimentiert einen Autokraten oder Diktator, damit er für Stabilität sorgt und Europa die Flüchtlinge vom Hals hält. Nach den Volksaufständen in der arabischen Welt, die 2011 in Tunis ihren Anfang genommen hatten, wollten die Europäer eigentlich umdenken. Aber aus Angst vor Rechtspopulisten und Rechtsextremen in Europa hat die EU jetzt um jeden Preis einen Deal mit Tunesien haben wollen. Dabei fließt Geld ohne politische oder wirtschaftspolitische Reformbedingungen. Hauptsache kein afrikanischer Flüchtling gelangt über das Mittelmeer", heißt es im TAGESSPIEGEL.
Die SÜDWEST PRESSE führt an: "Stellen wir uns vor, ein Diktator, der seine Kritiker, wann immer es ihm beliebt, einsperren lässt, hetzt gegen Ausländer, wiegelt die Bevölkerung so lange rassistisch auf, bis die Verfolgten in Boote steigen und ihr Leben auf dem Weg übers Mittelmeer riskieren. Wer das nicht schafft, wird von den Schergen des Diktators in die Wüste gejagt. Dann kommen die Vertreter der demokratischen EU, drücken dem Diktator fast eine Milliarde Euro in die Hand und sagen, er möge so weitermachen und den Kampf gegen Flüchtlinge perfektionieren.Nein, natürlich haben Ursula von der Leyen, die ultrarechte Giorgia Meloni und der an der Migrationsfrage gescheiterte Mark Rutte den tunesischen Präsidenten Kais Saied nicht für Menschenrechtsverletzungen gelobt. Aus dem deutschen Außenministerium hört man sogar, man sei besorgt. Immerhin ist unsere Außenpolitik wertegeleitet. Aber nur, wenn es passt. Jetzt passt es gerade nicht", argumentiert die SÜDWEST PRESSE.
"Damit das Sterben endlich aufhört, müssen die Europäer viel größer denken", fordert die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG. "Sie müssen die Länder einbeziehen, aus denen die Migranten ursprünglich kommen: die Länder in der Mitte Afrikas, zudem Syrien, Afghanistan, Pakistan. Die Menschen dort müssen eine Perspektive aufgezeigt bekommen, die sie von der halsbrecherischen Flucht abhält. Sie müssen wissen, dass sie eine echte Chance haben, legal nach Europa zu kommen. Keine Garantie, aber eine Chance. Nicht jeder und jede, aber manche und mancher. Wenn sie sich registrieren. Wenn sie zunächst in den Herkunftsländern bleiben. Wenn sie Voraussetzungen erfüllen, bei denen Europa kompetent Hilfe leisten kann: Schule, Beruf, Studium, soziale Absicherung. So ausgebildet, wären diese Migranten für Europa ein Gewinn– und hoffentlich später als Heimkehrer im eigenen Land", meint die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG.
Zum Schluss noch zwei Stimmen zur Partei "Die Linke", die mit Carola Rackete und Gerhard Trabert in die Europawahl im kommenden Jahr gehen will. Die FRANKFURTER RUNDSCHAU hält fest: "Die Ampel schwächelt, aber seltsamerweise wissen Linke und CDU das nicht für sich zu nutzen und überlassen der AfD das Feld. Die Linke wäre jetzt gefragt, wo die Ampel Soziales vernachlässigt und sich beim Asyl dem schärferen EU-Kurs anschließt. In den Ländern ist die Linke eine respektierte Regierungspartnerin, im Bund dagegen springt sie noch über jeden Stock, den Sahra Wagenknecht hinhält. Die Neuzugänge Rackete und Trabert könnten Symbol und Signal sein, dass die Zeit der Selbstbespiegelung vorbei ist und die der politischen Attacke beginnt", überlegt die FRANKFURTER RUNDSCHAU.
"Der große Test kommt im nächsten Jahr", meint die BADISCHE ZEITUNG: "Da werden vor allem die Landtagswahlen in Thüringen eine wichtige Wegscheide. Da muss die Linke zeigen, dass sie mit einem kreuzpragmatischen Ministerpräsidenten im Osten – Bodo Ramelow – noch immer Mehrheiten gewinnen kann. Und die demokratischen Mitbewerber müssen zeigen, wie ernst sie es mit der Ausgrenzung der AfD tatsächlich nehmen", schreibt zum Ende der Presseschau die BADISCHE ZEITUNG.