01. August 2023
Die Presseschau aus deutschen Zeitungen

Heute mit Stimmen zum sozialen Wohnungsbau und zu einem Vorhaben von Bundesverkehrsminister Wissing, der mögliche Schadenersatzforderungen gegen seinen Vorgänger Scheuer wegen der geplatzten Pkw-Maut prüfen lassen will.

Volker Wissing (FDP), Bundesminister für Verkehr und Digitales, stellt bei einer Pressekonferenz die neue Verkehrsprognose bis 2051 vor.
Volker Wissing (FDP), Bundesminister für Verkehr und Digitales. (picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka)
Das scheint eine gute Idee zu sein, heißt es in der VOLKSSTIMME aus Magdeburg: "Den Steuerzahlern könnte auf diese Weise vorgeführt werden, dass ein Ministeramt nicht vor Strafe schützt, wenn durch Unfähigkeit ein Riesenschaden entsteht. Scheuer hat die Verträge unterschrieben, bevor der EuGH ihre Rechtmäßigkeit bestätigt hatte. Nun wird es aber spitzfindig, sprich: Wie weit darf ein Minister belangt werden? Muss Scheuer zahlen, wäre demnächst ein Verteidigungsminister dran, wenn er die falschen Panzer einkauft. Schon wegen dieser für die Politik bedrohlichen Signalwirkung muss sich Scheuer nicht fürchten", meint die VOLKSSTIMME.
Auch die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG ist sich sicher, große Sorgen müsse sich Scheuer nicht machen: "Natürlich hat er die Sache mit der Maut mit Ansage vor die Wand gefahren. Und natürlich muss er bei seiner voreiligen Unterschrift unter die Verträge gewusst haben, dass die Gebühr für ausländische Autofahrer nicht kommen konnte, da sie nicht vereinbar war mit EU-Recht. Ebenso klar war Scheuer freilich auch, dass er persönlich mit keinem Cent würde haften müssen. Musste sein inzwischen verstorbener Amtsvorgänger Manfred Stolpe vor 20 Jahren auch nicht, als der sich bei der Einführung der Lkw-Maut von Toll Collect über den Tisch hatte ziehen lassen, mit einem Verlust von 160 Millionen Euro für den Bund – allerdings pro Monat". Das war die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG.
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG hebt hervor: "Unternehmensvorstände sind den Eigentümern Rechenschaft schuldig, Politiker dem Volk. Unter diesem Aspekt dürfte dem FDP-Politiker Wissing schon jetzt ein kleiner Coup gelungen sein. Denn gut zwei Monate vor der Landtagswahl in Bayern lenkt er den Blick nicht nur auf den finanziellen Schaden, den der CSU-Mann Andreas Scheuer mit dem Mautprojekt angerichtet hat. Überdies hat Wissing von der CSU zwei weitere heikle Dossiers geerbt: Seit 2009 trugen Ramsauer, Dobrindt und Co. die politische Verantwortung für die Deutsche Bahn, seit 2013 auch noch für die digitale Infrastruktur. Die volkswirtschaftlichen Schäden, die durch die Vernachlässigung dieser Aufgaben entstanden sind und entstehen, dürften die 243 Millionen Euro Schadenersatz als die sprichwörtlichen Peanuts erscheinen lassen", notiert die F.A.Z.
Die RHEINISCHE POST aus Düsseldorf erwartet: "Das Gutachten zu möglichen Regressforderungen könnte erneut Fahrt in die Debatte darüber bringen, inwieweit es eigentlich gesetzliche Neuregelungen geben muss, damit politische Mandatsträger für schwerwiegende Fehlentscheidungen haftbar gemacht werden können. Dass die Betroffenen daran kein Interesse haben, liegt auf der Hand. Diese Diskussion muss aber erneut geführt werden. Bisher müssen sie weitgehend 'nur' den Zorn der Wähler fürchten. Die ganze Angelegenheit hat aber noch eine andere Dimension. Man kann von Andreas Scheuer und seinen Leistungen als Verkehrsminister aus gutem Grund nicht viel halten, ihn aber jetzt ausschließlich für das Desaster verantwortlich zu machen, ist billig. Und falsch. Es gab einen Bundestagsbeschluss, und es gab die Daumenschrauben seiner Partei, der CSU, die ihm angelegt worden waren", vermerkt die RHEINISCHE POST.
Das STRAUBINGER TAGBLATT argumentiert: "Es würde vielen Bürgern sicher eine gewisse Genugtuung verschaffen, wenn ein ehemaliger Minister, der so fahrlässig mit dem Geld der Steuerzahler umgeht, persönlich haften müsste. Doch man muss kein Hellseher sein, um zu ahnen, dass Scheuer ungeschoren davonkommen wird. Das weiß auch der Jurist Wissing. Ihm geht es vor allem um sein eigenes Image: Er will sich nicht nachsagen lassen, nicht alles getan zu haben, um Schaden vom Staat abzuwenden. Die Rechtslage gibt es jedoch derzeit nicht her, Bundesminister in Regress zu nehmen. Das müsste mit einem Gesetz geregelt werden", unterstreicht das STRAUBINGER TAGBLATT.
Die ALLGEMEINE ZEITUNG aus Mainz hält eine gesetzliche Regelung für eher unwahrscheinlich, regt aber an: "Die Debatte wäre wichtig, um die Sinne zu schärfen. Warum zum Beispiel nicht zumindest für die Haftung das in der Amtszeit verdiente Gehalt in Betracht ziehen? Wichtig wäre unterdessen auch, nicht allein Scheuer als Sündenbock abzustempeln: Die CSU hatte seinerzeit massiv Druck aufgebaut, Scheuer war letztlich 'nur' der handelnde Minister. Auch die Bundes-CDU und Koalitionspartner SPD hatten das Vorhaben unterstützt. Der Fall könnte also noch weite Kreise ziehen", vermutet die ALLGEMEINE ZEITUNG.
Der NORDBAYERISCHE KURIER aus Bayreuth vertritt diese Ansicht: "Wenn der Kern des Problems politisch und nicht juristisch ist - das ist eindeutig so -, lässt es sich auch nur politisch lösen - also dadurch, dass Parteien und Regierungen gründlicher und auf die Sache bezogen handeln. Dazu zählt auch, was Scheuer und anderen völlig fremd ist: Demut, wenn etwas misslingt."
Themenwechsel. Die STUTTGARTER ZEITUNG äußert sich zum sozialen Wohnungsbau: "Der Bund hatte sich vorgenommen, jährlich 100.000 neue Sozialwohnungen zu schaffen, tatsächlich hat der komplette Fundus an Wohnungen mit reduzierter Miete aber um 14.000 abgenommen. In Zeugnisnoten ausgedrückt, ist die Politik auf diesem Feld also ungenügend. Was den sozialen Wohnungsbau hemmt, sind einerseits die nicht ausreichenden Zuschüsse, andererseits immer neue Auflagen, welche die Kosten in die Höhe treiben. Eine Alternative wäre, Wohneigentum mehr zu fördern, womit der Mietmarkt entlastet würde. Oder mehr Menschen höheres Wohngeld zu bezahlen. In dieser Hinsicht hat der Bund immerhin bereits einen großen Schritt unternommen", unterstreicht die STUTTGARTER ZEITUNG.
Die BADISCHE ZEITUNG aus Freiburg äußert sich zur Bedeutung des sozialen Wohnungsbaus: "Gerade in Zeiten, in denen der Neubau zurückgeht, das Wohnungsangebot allenfalls stagniert und die Mieten steigen, kommt ihm eine besondere Bedeutung zu. Deshalb ist es in der Tat alarmierend, wenn sich der Bestand an Sozialwohnungen auf Bundesebene verringert, obwohl das Gegenteil gewünscht ist. Jedoch wird diese Form der Förderung nicht allein die Schieflage am Wohnungsmarkt beheben. Zum einen ist sie teuer, zum anderen bleibt Bauen schwierig. Bürokratie, knappe Flächen, sowie hohe Material- und Finanzierungskosten hemmen. Wer etwas zum Guten verändern will, muss an mehreren Schrauben drehen und sich vor Versprechen hüten, die man nicht einhalten kann", empfiehlt die BADISCHE ZEITUNG.
Die Entwicklung betreffe alle Akteure auf dem Wohnungsmarkt, hebt die BERLINER MORGENPOST hervor: "Je weniger Sozialwohnungen es gibt, desto stärker lässt deren dämpfende Wirkung auf den Mietspiegel nach. Künftige Mietpreiserhöhungen könnten dann kräftiger ausfallen. Immerhin: Wer keine Sozialwohnung findet und eine teure Miete zahlen muss, kann mit dem Wohngeld einen staatlichen Zuschuss erhalten. So richtig dieser Zuschuss ist: Letztlich wird mit Steuergeld ein Symptom bekämpft, ohne die Ursache wirkungsvoll anzugehen. Das alles ist sicher nicht die alleinige Schuld der Ampelkoalition. Zum einen dauern Bauprojekte Jahre, zum anderen ist Wohnungsbau Sache der Länder. Aber SPD, Grüne und FDP haben in ihrem Koalitionsvertrag versprochen, die Ursache zu bekämpfen," gibt die BERLINER MORGENPOST zu bedenken.
Der REUTLINGER GENERAL-ANZEIGER mahnt: "Leere Versprechungen kann man sich im Angesicht der dramatischen Lage auf dem Wohnungsmarkt nicht mehr leisten. Nun braucht es endlich konkrete Maßnahmen, die das Bauen von günstigem Wohnraum attraktiver machen. Es sollte dabei auch darüber nachgedacht werden, ob teure Auflagen für den Klimaschutz im Bereich der Sozialwohnungen entschärft werden können. Denn das Problem wird immer drängender, je mehr alte Sozialwohnungen aus der Preisbindung fallen."