12. August 2023
Die Presseschau aus deutschen Zeitungen

Die Kommentare befassen sich mit dem Deutschlandticket und dem Politikstil von Bundeskanzler Scholz. Aber zunächst zur Debatte über die Lieferung deutscher Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine.

Ein Tornado mit einem davor liegenden Luft-Boden-Marschflugkörper "Taurus" bei der Internationalen Luft- und Raumfahrtausstellung auf dem Flughafen Berlin-Schönefeld im Jahr 2012.
Bislang gibt es keine Zusage für eine deutsche "Taurus"-Lieferung an die Ukraine: Mit den Marschflugkörpern könnten theoretisch auch Ziele tief auf russischem Gebiet angegriffen werden. (picture alliance / dpa / Jörg Carstensen)
Der SÜDKURIER aus Konstanz kritisiert die zögerliche Haltung der Bundesregierung. "Es ist das altbekannte Hickhack. Wenn es um die Abgabe deutscher Waffensysteme geht, dreht sich die Bundesregierung wochenlang im Kreis, bevor sie dann doch liefert. Jetzt macht Kanzler Olaf Scholz alles noch komplizierter, indem er sein Ja daran bindet, dass die Reichweite der Taurus-Marschflugkörper verkürzt wird. Russisches Territorium – obwohl mit bereits gelieferter deutscher Artillerie leicht erreichbar – soll tabu sein. Der Eindruck: Scholz mangelt es an Vertrauen zu Wolodymyr Selenskyj. Dabei ist er bei britischen und französischen Flugkörpern verlässlich und schont Russland. Die Ukraine braucht deutsche Technik für die Abschnürung des russischen Nachschubs. Rollt dieser mit Masse an die Front, wird Kiew nicht nur mit seiner Offensive scheitern, sondern den Krieg womöglich verlieren", urteilt der SÜDKURIER.
Die NÜRNBERGER NACHRICHTEN erläutern: "Die meisten deutschen Verteidigungsexpert(inn)en tendieren dazu, die Lieferung des Waffensystems zu befürworten. Sie haben nachvollziehbare Argumente. Bisher hat sich die Ukraine an die Vereinbarungen mit dem Westen gehalten, wie und innerhalb welches Radius sie bestimmte Waffen einsetzen darf. Wolodymyr Selenskyj und seine Regierung wissen genau, dass sie den Nachschub und damit die Existenz ihres Landes bedrohen würden, wenn sie die Absprachen verletzen", unterstreichen die NÜRNBERGER NACHRICHTEN.
"Ein gewisses Maß an Vorsicht ist richtig und wichtig", bemerkt die MITTELDEUTSCHE ZEITUNG aus Halle. "Bisher hat Russlands Präsident Wladimir Putin, der den Krieg begonnen hat, die Total-Eskalation vermieden. Das heißt nicht, dass er sie nicht noch auf dem Zettel hat. Richtig ist auch, dass es der Ukraine in ihrem Abwehrkampf helfen dürfte, wenn sie russische Stellungen weit hinter der Front zerstören kann. Es kann sein, dass die russische Kampfkraft auf diese Weise geschwächt und das Kräftegleichgewicht verschoben wird. Nichts ist sicher in diesem Krieg. Aber wenn es diese Möglichkeit gibt, sollten auch diese Waffen geliefert werden", fasst die MITTELDEUTSCHE ZEITUNG zusammen.
Die BADISCHE ZEITUNG aus Freiburg blickt voraus: "Gewiss, Überraschungen sind möglich, vielleicht gelingt den Ukrainern noch ein entscheidender Schlag. Doch die Chancen auf ein rasches Kriegsende zu Bedingungen, die akzeptabel wären, stehen schlecht. Erst recht nicht absehbar ist ein Kriegsende, das die geschundene Ukraine als gerecht empfinden könnte. Dort stellt man sich längst auf einen langen, opferreichen Kampf ein. Das tut auch der Kreml, der jüngst erneut seinen Anspruch auf alle völkerrechtswidrig annektierten Gebiete bekräftigt hat, die er teils noch erobern müsste. Und wir? Es kommt jetzt nicht mehr auf die Lieferung eines einzelnen Waffensystems an, das kaum einen Unterschied macht. Der Westen hat ein militärisches Patt geschaffen. Bleibt es dabei, ist ein Ausgang aus dem Labyrinth des Krieges nicht in Sicht", bemängelt die BADISCHE ZEITUNG.
Der REUTLINGER GENERAL-ANZEIGER befürchtet eine weitere Eskalation des Krieges. "Dabei ist klar: Am Ende, wenn genügend Menschen gestorben und die Armeen ausgeblutet sind, wird ein Verhandlungsfrieden stehen. Denn, dass die ukrainische Armee Moskau einnimmt, erscheint eher unwahrscheinlich. Daran werden auch neue Waffensysteme, wie Taurus-Marschflugkörper, kaum etwas ändern. Auch Angriffe mit Marschflugkörpern werden nicht kriegsentscheidend sein, sondern allenfalls die Verhandlungsposition der Ukraine stärken, um territoriale Zugeständnisse von Moskau zu erreichen. Die Frage ist dabei, wie viele Menschenleben ein paar Quadratkilometer im Donbass wert sind", mahnt der REUTLINGER GENERAL-ANZEIGER.
Themenwechsel. Die Bundesländer stellen die Zukunft des Deutschlandtickets infrage wegen fehlender Finanzierungszusagen des Bundes. Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG ist erstaunt: "Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Die Länder sind für den Nahverkehr zuständig - und haben versagt. Über Jahrzehnte schufen sie einen für Kunden abschreckenden Tarifdschungel. Tarifgrenzen, Kleinstaaterei, Reformunfähigkeit und Papiertickets statt Digitalisierung waren der Alltag im ÖPNV. Der Bund hat diesen Dschungel gelichtet und mit dem 9-Euro-Ticket und später dem 49-Euro-Ticket eine der wenigen echten Innovationen im Verkehrsbereich geschaffen. Er hat zudem schon jetzt zugesagt, sich auch im kommenden Jahr zur Hälfte an Kosten in Höhe von 3 Milliarden Euro zu beteiligen. Doch die Länder wollen noch mehr - und sitzen am längeren Hebel. Denn sie wissen, dass der Verkehrsminister es sich nicht leisten kann, das populäre und auch für den Klimaschutz wichtige Projekt sterben zu lassen", ist sich die FAZ sicher.
Neben der Finanzierung sieht der TAGESSPIEGEL aus Berlin weitere Probleme beim Deutschlandticket: "Die Umstellung bei Schüler- und Studententickets gestaltet sich schwierig. Und bis heute gelten in den Bundesländern unterschiedliche Regelungen, was beispielsweise die Kosten für die Mitnahme von Fahrrädern betrifft. Hinzu kommt: Der erhoffte Effekt für das Klima durch das Deutschlandticket ist gering. Deutlich weniger als eine Millionen Tonnen CO₂ im Jahr dürften durch das Ticket jährlich eingespart werden, vermuten Experten. Ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen würde mit Einsparungen von schätzungsweise mindestens zwei Millionen Tonnen CO₂ im Jahr deutlich mehr bringen", rechnet der TAGESSPIEGEL vor.
Die LAUSITZER RUNDSCHAU aus Cottbus schaut auf einen weiteren Aspekt der Mobilitätswende - den Ausbau der Ladesäulen-Infrastruktur. "Die EU-Kommission hat dem Bund erlaubt, 350 Millionen Euro an Fördergeld in fast 1.000 Schnellladepunkte für Elektroautos an Autobahnen zu stecken. Das ist gut so. Denn wenn Menschen von der Elektromobilität überzeugt werden sollen, müssen auch längere Strecken zu bewältigen sein. Dass es tatsächlich staatlicher Ankurbelung bedarf, hat gerade das Beratungsunternehmen Roland Berger gezeigt: Deutschland hinke mit 26 E-Autos pro öffentlichem Ladepunkt im Vergleich zum weltweiten Mittel von 16 nach wie vor hinterher. Dabei geben aber 90 Prozent der E-Auto-Besitzer an, auf öffentliche Stationen angewiesen zu sein. Denn die Werbung vieler Hersteller mit Einfamilienhäusern mit Garage, wo man das Auto leicht laden kann, hat mit der Lebensrealität vieler Menschen wenig zu tun", bilanziert die LAUSITZER RUNDSCHAU.
Nach der Sommerpause hat sich Bundeskanzler Scholz einem Bürgerdialog gestellt. Der KÖLNER STADT-ANZEIGER schreibt dazu: "Scholz muss nun einen klaren Kurs aus der Krise sichtbar machen und seine Ampel zum Zusammenhalt aufrütteln. Seine Beruhigungspille, die bundesweiten AfD-Werte über 20 Prozent würden sich wieder halbieren, wirkt nicht. Bei einem Gespräch mit Bürgerinnen und Bürgern in Erfurt hat Scholz etwas Wichtiges gesagt: 'Wir leben in einer Zeit großer Umbrüche. Wir können aber nicht alles so lassen, wie es ist.' Das macht vielen Menschen Angst. Und das ist eine normale Reaktion. Aber fürchten muss man sich vor Politikern und Politikerinnen, die behaupten, es könne alles bleiben, wie es ist. Denn wer stehen bleibt, wird abgehängt", befürchtet der KÖLNER STADT-ANZEIGER.
Die LUDWIGSBURGER KREISZEITUNG argumentiert: "Bisher hat der Kanzler die Dinge gerne laufenlassen, sodass sich die Ampel im Streit verlieren konnte. Doch die Zurückhaltung des Regierungschefs hat den Vertrauensverlust in die Koalition verschärft, und das vorsommerliche Chaos rund ums Heizungsgesetz den rechten Rand mobilisiert. Inzwischen ist die innenpolitische und die wirtschaftliche Lage mit einem nachweislich ökonomischen Einbruch zu prekär, als dass das bisherige Prinzip Scholz noch adäquat wäre. Er muss jetzt die Linien klarer vorgeben, auch mal gegen Lindner."