15. September 2023
Die Presseschau aus deutschen Zeitungen

Heute mit Kommentaren zur jüngsten Zinsentscheidung der Europäischen Zentralbank. Zudem ist die Protestbewegung im Iran ein Thema. Doch zunächst geht es um den Thüringer Landtag, der mit den Stimmen von CDU, AfD und FDP gegen den Willen der rot-rot-grünen Minderheitsregierung eine Steuersenkung beschlossen hat.

Das Foto zeigt den runden Plenarsaal im Thüringer Landtag.
Der Thüringer Landtag (Archivbild). (dpa/Martin Schutt)
Der WESER-KURIER aus Bremen erläutert: "Seit der Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich zum Kurzzeit-Ministerpräsidenten mit den Stimmen von CDU und AfD weiß ganz Deutschland, dass die Christdemokraten in Thüringen nicht auf Bundeslinie sind, was ihr Verhältnis zu den Rechtsextremen angeht. Selbst Annegret Kramp-Karrenbauer konnte sie nicht zur Räson bringen und warf deswegen den Bundesvorsitz hin. Dreieinhalb Jahre danach haben die Thüringer - längst unter neuer Führung, aber mit altem Eigensinn - erstmals gemeinsam mit der AfD eine Gesetzesänderung durchgedrückt: mit Ansage und der erbärmlichen Begründung, sie könnten sich ihre Unterstützer ja nicht aussuchen", notiert der WESER-KURIER.
Die TAGESZEITUNG bemerkt zur Haltung der CDU in Thüringen: "Anstatt demokratische Kompromisse im Kampf gegen die AfD einzugehen, kündigt sie ein Jahr vor der Landtagswahl ein gesellschaftlich progressives Bündnis zugunsten einer teils rechtsextremen Mehrheit auf. Das angebliche Kooperationsverbot mit der AfD unter Friedrich Merz verkommt so zum Lippenbekenntnis. Denn natürlich ist es eine Zusammenarbeit, wenn man Anträge stellt, die auf die Stimmen der AfD angewiesen sind. So verfestigt sich der Eindruck, dass Teile der CDU die angebliche Brandmauer gar nicht wollen", findet die TAZ.
Natürliche habe es die CDU nicht in der Hand, welche Partei ihren Anträgen zustimme, schreibt die LEIPZIGER VOLKSZEITUNG: "Doch der gefährliche Eindruck, der bei den Menschen hängen bleibt, ist: Die Christdemokraten und die Liberalen, die den Entwurf ebenfalls unterstützt haben, beschließen mithilfe der AfD ein Gesetz, dann kann sie ja nicht so schlimm sein. Die Christdemokraten befinden sich in einer Zwickmühle. Die CDU Thüringen hätte ihren Antrag zurückziehen können, doch sie fordert seit Jahren eine Senkung der Grunderwerbsteuer. Andererseits kann die CDU nicht alle Ideen unter den Vorbehalt der AfD stellen - das würde die Rechtsextremen zu sehr überhöhen", folgert die LEIPZIGER VOLKSZEITUNG.
Die THÜRINGISCHE LANDESZEITUNG aus Erfurt hebt hervor: "Nun hofft die Thüringer CDU des Mario Voigt durchaus darauf, dass sich dieser billige Schachzug bezahlt macht. Jüngst hieß es, dass nun jeden Monat so ein 'Knaller', wie ein Parteifreund Voigts meinte, geplant sei. Natürlich sagt Voigt, er könne sich bei guten, wichtigen Entscheidungen für den Freistaat nicht von der AfD abhängig machen. Aber anders als er es zum Ausdruck bringt, passiert das ja gerade: Die CDU bringt etwas ein, was sie mit den anderen demokratischen Parteien - aus welchen Gründen auch immer - nicht mehrheitsfähig machen kann und dann sucht sie sich ihre Zustimmung halt, wie sie diese kriegen kann", analysiert die THÜRINGISCHE LANDESZEITUNG.
Die MEDIENGRUPPE BAYERN, zu der unter anderem die PASSAUER NEUE PRESSE gehört, fragt: "Soll die CDU auf eine politische Initiative verzichten, nur weil es sein könnte, dass sie von der falschen Partei unterstützt wird? Dann würde die CDU sich jeglicher politischen Gestaltungsmöglichkeit berauben, könnte gleich einpacken. Deshalb ist es stark übertrieben, wenn der Linke-Ministerpräsident Ramelow der CDU einen 'Pakt mit dem Teufel' vorwirft. Allerdings bleibt der Umgang namentlich der CDU mit der AfD im Osten ein Drahtseilakt, der sich in der praktischen Arbeit oft anders darstellt als von der Parteizentrale aus. Und: Die Debatten über die richtige Distanz zur AfD gehen erst los. Während bisher auf kommunaler Ebene noch weitgehend einleuchtend ist, dass man AfD-Bürgermeister oder -Landräte nicht dauerhaft isolieren oder ignorieren kann, weil das Leben vor Ort weitergehen muss, kommen die echten Nagelproben in der Abgrenzungsfrage zur AfD spätestens 2024, wenn die AfD bei den Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen gute Chancen hat, jeweils stärkste Partei zu werden." So weit die MEDIENGRUPPE BAYERN und so viel zu diesem Thema.
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG begrüßt die Entscheidung der Europäischen Zentralbank, den Leitzins abermals zu erhöhen und argumentiert: "Die Inflation ist zu hoch. Auch wenn sich die Teuerung in die richtige Richtung bewegt, so ist mit den erwarteten 3,2 Prozent für 2024 die Zielmarke von rund 2 Prozent nicht in greifbarer Nähe. Preisstabilität ist das Mandat und damit die oberste Priorität der EZB. Inflationsbekämpfung ist kein Selbstzweck: Eine sinkende Inflation wird sowohl die Wirtschaft als auch die Verbraucher entlasten. Eine Pause hätte die EZB auf diesem Weg Glaubwürdigkeit gekostet", vermutet die F.A.Z.
Die MITTELDEUTSCHE ZEITUNG aus Halle dagegen meint: "Für die Konjunktur wäre es gut, erst einmal die Wirkung der bisherigen Zinsschritte abzuwarten. Doch die jüngsten Daten haben gezeigt, dass die Teuerung hartnäckig ist - auch in den Köpfen: Die Inflationserwartungen sind wieder gestiegen, was die Teuerung wieder befeuern kann. Die Erwartungen in den Griff zu bekommen, ist deshalb die wichtigste Aufgabe bei der Inflationsbekämpfung. Das gelang der EZB bisher nur zum Teil - jahrelang stand sie für lockere Geldpolitik. Auch deswegen hat sie nun demonstrativ die Preisstabilität vorangestellt", urteilt die MITTELDEUTSCHE ZEITUNG.
Die NEUE PRESSE aus Coburg unterstreicht, dass... "...die höheren Leitzinsen erst mit deutlicher Verzögerung richtig auf die Wirtschaft durchschlagen. Dabei machen sie sich jetzt schon immer stärker negativ bemerkbar und belasten einige Wirtschaftszweige wie die Bau- und Immobilienbranche erheblich. Der jüngste Anstieg der Firmeninsolvenzen sollte den Notenbankern ein Warnsignal sein. Sollte die Eurowirtschaft in eine tiefere Rezession stürzen, so müsste sich die EZB einige sehr kritische Fragen gefallen lassen", schätzt die NEUE PRESSE.
Nun noch Stimmen zur Protestbewegung im Iran, die vor einem Jahr durch den Tod der 22-jährigen Mahsa Jina Amini in Polizeihaft ausgelöst wurden. Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG beobachtet: "Viele Frauen protestieren immer noch, indem sie kein Kopftuch tragen. Aber im Prinzip ist es den Mullahs gelungen, die Herausforderung umzudrehen: Nicht das Regime ist instabil oder muss sich gar rechtfertigen, seine Gegner müssen beweisen, dass sie es stürzen können. Nach dem Arabischen Frühling glaubten viele, dass jede Diktatur irgendwann fällt, fallen muss. Dass Regime, die nur auf Kontrolle und Überwachung basieren, zum Scheitern verurteilt sind. Die Mullahs in Teheran dagegen haben es geschafft, dass ihre Macht einen stabilen Eindruck macht. Die Protestbewegung muss erst wieder die Energie finden, die Furchtlosigkeit, den Glauben an sich. Die Mullahs überlebten die Proteste, indem sie, ganz klassisch, Angst erzeugten. Das Risiko jedes Iraners, der heute protestiert, reicht bis zur Hinrichtung", gibt die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG zu bedenken.
Die Zeitung WELT beschreibt die Reaktion des Westens: "Außenpolitiker, auch deutsche, waren in der Verurteilung des iranischen Regimes oft sehr deutlich in den vergangenen Monaten. Allein: Politisch folgte daraus zu wenig. Dabei wissen sie, was ungefähr jeder weiß, nicht erst in den vergangenen Monaten, aber spätestens seitdem: Die Frage, wie eine offene Gesellschaft mit einer totalitären umgeht, wird immer mehr zur Schlüsselfrage unserer Zeit. Und die Antwort wird berücksichtigen müssen, dass die Totalitären die Sprache der Diplomatie für ihre machtpolitischen Ziele ausnutzen. Deutschland war, wie viele Länder, nicht mutig genug, entschieden gegen den Iranvorzugehen. Die iranischen Frauen waren mutig, dabei hatten sie sehr viel mehr zu verlieren: ihr Leben. Es wäre falsch, zu sagen, sie hätten nichts erreicht. Sie haben den größten von Frauen angeführten Aufstand in einem muslimischen Land geschaffen. Und er ist nicht vorbei." Das war zum Ende der Presseschau ein Auszug aus der WELT.