22. September 2023
Die Presseschau aus deutschen Zeitungen

Themen sind der Konflikt um die Südkaukasus-Region Berg-Karabach sowie eine Studie, wonach jeder Zwölfte in Deutschland ein rechtsextremes Weltbild hat. Zunächst aber Stimmen zu Polens Ministerpräsident Morawiecki, der angekündigt hat, Waffenlieferungen an die Ukraine auf bereits abgeschlossene Verträge zu beschränken.

Morawiecki steht an einem Rednerpult vor polnischen und europäischen Fahnen.
Mateusz Morawiecki, Ministerpräsident von Polen (Archivbild). (PAP / dpa / Mateusz Marek)
Die RHEINISCHE POST aus Düsseldorf erläutert: "Fast jede Kiew-Solidaritätsreise startet im polnisch-ukrainischen Grenzgebiet. Deshalb ist es Anlass zur Sorge, wenn ausgerechnet Polen mit der Ukraine in eine Streit-Eskalation eingetreten ist. Zuerst verbietet Polen ukrainisches Getreide, dann verklagt die Ukraine Polen deswegen, nun stoppt Polen weitere Waffen für das unter russischem Bombardement stehende Nachbarland. Das sollte Anlass für intensivste europäische Krisendiplomatie und nachhaltige internationale Vermittlung sein. Natürlich hat der ausufernde Streit auch mit den bevorstehenden Wahlen in Polen zu tun. Doch das polnisch-ukrainische Zerwürfnis wirft auch ein bezeichnendes Licht auf die mögliche Zukunft der EU", meint die RHEINISCHE POST.
Die VOLKSSTIMME aus Magdeburg sieht in Äußerungen des ukrainischen Präsidenten eine Ursache für die Eskalation des Streits: "Selenskyj ist für seinen forschen Umgangston gegenüber jedermann - Verbündete eingeschlossen - bekannt. Bei seiner UNO-Rede hat er allerdings den Bogen überspannt: Der Vorwurf an diverse EU-Nachbarn, Solidarität mit der Ukraine nur vorzugaukeln und aus dem Getreidestreit einen Thriller zu machen, hat insbesondere Polen schwer beleidigt. Die Polen waren die Ersthelfer nach dem russischen Überfall, nahmen Millionen Flüchtlinge auf und lieferten zuverlässig Waffen. Nun nicht mehr", notiert die VOLKSSTIMME.
Der Berliner TAGESSPIEGEL beobachtet mit Blick auf Polen: "Die nationalpopulistische PiS-Regierung irritiert ihre Partner häufig mit der dreisten Diskrepanz zwischen Selbstdarstellung und Handeln. Kurz vor der Wahl am 15. Oktober ist ihre Devise nationaler Egoismus, auch wenn er die Ukraine-Koalition spaltet. Sie erklärt Polen gerne zum verlässlichsten Unterstützer Kiews und wirft Deutschland vor, zu zögern. Nun hat die PiS aber einen Skandal am Hals. Gegen Schmiergeld haben polnische Konsulate in Afrika offenbar Hunderttausenden Menschen aus muslimischen Ländern illegale Visa erteilt, mit denen sie in die EU kommen. Statt den Skandal aufzuklären, mauert die PiS", unterstreicht der TAGESSPIEGEL.
Die Zeitung DIE WELT hat den Eindruck, Polens Regierung mangele es "an Standhaftigkeit, längere Konflikte auszuhalten. Schlimmer noch: Warschau fehlt das Vermögen, Außenpolitik als geostrategische Aufgabe zu betrachten. Man sieht es an der Tatsache, dass Polen für den schnellen Beitritt der Ukraine in die EU eintritt, aber in seiner ideologischen Verblendung nicht begreift, dass Voraussetzung dafür eine reformierte EU ist. Man kann nur hoffen, dass der polnische Wähler sein Kreuz an der richtigen Stelle setzt," vermerkt die WELT.
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG findet: "Es ist berechtigt, dass der deutsche Verteidigungsminister über diese Sache mit seinem polnischen Amtskollegen reden will. Zu oft macht man in Berlin gute Miene zum bösen Spiel in Warschau. Polen ist ein schwieriger Partner in EU und NATO. Wenn das Land nun auch unzuverlässig wird, dann kommt noch mehr Verantwortung auf Berlin zu." So weit die F.A.Z. und so viel zu diesem Thema.
Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG äußert sich zum Konflikt in der Südkaukasus-Region und stellt fest: "Es sind die Verteidiger von Bergkarabach und nicht die armenische Armee, die sich Aserbaidschan ergeben haben. Ein wichtiger Unterschied. Denn Armenien hält sich militärisch bisher zurück, um einen größeren Krieg zu vermeiden. Premierminister Nikol Paschinjan konnte über Monate nur zusehen, wie die Menschen in der abgeschnittenen Region hungerten und bombardiert wurden. Für Paschinjan ist der Verlust der Region nach drei Jahrzehnten eine Niederlage, die seine Machtlosigkeit zeigt. Doch Aserbaidschan ist auch Armenien militärisch weit überlegen. Er wollte keinen Angriff auf armenisches Staatsgebiet riskieren", vermutet die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG.
Die ALLGEMEINE ZEITUNG aus Mainz gibt zu bedenken: "Zwischen Armenien und Aserbaidschan sind Grenzstreitigkeiten selten unblutig geblieben. Und Armenien befindet sich - eingekesselt zwischen seinen Erzfeinden Aserbaidschan und Türkei - in einer Zwickmühle. Mit Hilfe von NATO oder EU ist kaum zu rechnen. Zumal die Türkei selbst NATO-Mitglied ist. Blieben noch die alte armenische Schutzmacht Russland und ihre postsowjetische Militärallianz OVKS. Doch die haben bereits mit einer Art Schulterzucken reagiert im Sinne von: 'Klärt Eure Probleme alleine'", hebt die ALLGEMEINE ZEITUNG hervor.
Die FRANKFURTER RUNDSCHAU erwartet: "Mit dem Fall Karabachs verabschiedet sich Russland, so scheint es, als Ordnungsmacht aus dem Südkaukasus. Zwar ist Aserbaidschan noch Mitglied der von Russland kontrollierten GUS, aber der türkische Präsident Recep Erdogan hat das öl- und gasreiche Land mit Zugang zum Kaspischen Meer faktisch aus Russlands Einflusssphäre herausgebrochen. Aserbaidschan ist der erste große Erfolg seines Projekts eines panturkischen Reichs", folgert die FRANKFURTER RUNDSCHAU.
Nun noch Stimmen zu einer Studie der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung, wonach jeder zwölfte Erwachsene in Deutschland ein rechtsextremes Weltbild hat. Die FREIE PRESSE führt aus: "Das ist der höchste Wert, der ermittelt wurde, seitdem die Studie erscheint. Das ist beunruhigend. Und es wirft die Frage auf: Wie kommt das? Eine Antwort darauf ist natürlich komplex, es dürfte viele Ursachen geben, nicht nur eine. Über einige wird oft diskutiert: die Inflation, die Zuwanderung, die Rechtsextremen und -populisten in den Parlamenten. Daneben gibt es aber einen weiteren Grund, der zuletzt oft unterging: Die Demokratie leidet noch immer an den Nachwirkungen der Coronapandemie. Dafür spricht, dass der Wert gerade jetzt so sprunghaft angestiegen ist. Bisher lag der Anteil der Befragten, bei denen sich ein rechtsextremes Weltbild zeigte, bei nie mehr als 2,9 Prozent – auch nicht in den Jahren nach 2015 und 2016, die von der Migrationskrise geprägt waren", schreibt die FREIE PRESSE aus Chemnitz.
Die Studie sei in der Vergangenheit wegen ihrer Methodik kritisiert worden, betont ZEIT ONLINE: "In diesem Jahr aber ist der Rechtsextremismus-Befund eindeutig und methodisch nachvollziehbar. Wer beispielsweise in 'wertvolles' und 'unwertes' Leben unterscheidet, wer sich einen Führer 'mit starker Hand' wünscht und findet, Juden 'passen nicht so recht zu uns' – der oder die muss tatsächlich als rechtsextrem gelten. Worin die Gründe für den Rechtsruck liegen, das geben die Daten nicht eindeutig her. Auch die besten sozialwissenschaftlichen Methoden können sich der Wahrheit nur annähern. Aber: Man sollte nicht glauben, dass rechtsextreme Einstellungen einfach passieren. Sie werden auch gemacht", argumentiert ZEIT ONLINE.
Nach Einschätzung der MEDIENGRUPPE BAYERN, zu der unter anderem die PASSAUER NEUE PRESSE gehört, bestätigt die Untersuchung einen gefährlichen Trend: "Dass sich die Menschen von der Demokratie entfernen, sich nicht mehr repräsentiert fühlen und das Vertrauen in die Institutionen verloren haben. Die Corona-Pandemie sowie der russische Angriffskrieg mit der anschließenden Energieunsicherheit und Preisteuerung dürften einen großen Anteil an der Entwicklung haben, aber auch die ewig streitende Ampel muss sich überlegen, was sie zu diesem Trend beigetragen hat – und auch inhaltlich umsteuern", empfiehlt die PASSAUER NEUE PRESSE.
Die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG vertritt diese Ansicht: "Der Umfrageerfolg der AfD normalisiert menschenfeindliches Gedankengut in der Gesellschaft. Helfen würde eine ehrliche Kommunikation, etwa in der Migrationspolitik. Und die Zivilbevölkerung? Hier geht es zunächst um Zivilcourage. Egal ob im Büro, am Stammtisch oder in den Medien, die sich sozial nennen: Diskriminierende und zu Gewalt aufrufende Aussagen sollten nie unwidersprochen bleiben." Das war zum Ende der Presseschau die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG.