Sonntag, 19. Mai 2024

27. September 2023
Die Presseschau aus deutschen Zeitungen

Kommentiert wird unter anderem die Situation in der Krisenregion Berg-Karabach. Doch zunächst Stimmen zur Kehrtwende der Bundesregierung im Streit um stationäre Grenzkontrollen.

27.09.2023
Bundesministerin Nancy Faeser, blonde Haare, schwarzer Blazer, schaut konzentriert.
Bundesministerin Faeser (SPD) hat angekündigt, stationäre Kontrollen an den Grenzen zu Polen und Tschechien einzuführen. Das ist ein Thema in den Kommentaren. (picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka)
Die TAGESZEITUNG führt aus: "Nach der großen Aufregung über die vielen ankommenden Flüchtlingsboote auf Lampedusa und dem anschließenden Abschottungschor von allen Seiten lässt SPD-Innenministerin Nancy Faeser nun auch an den deutschen Grenzübergängen zu Polen und Tschechien Beamte stationieren, um die Einreise von MigrantInnen nach Deutschland zu überwachen. So, wie es die Union schon lange fordert. Faeser sieht sich zum Handeln gezwungen, weil nach den großen, erschreckenden Worten aus den eigenen Ampelreihen von der 'Belastungsgrenze' (Bundespräsident Steinmeier) bis zur 'Migration, die das Land überfordert' (FDP) Taten verlangt werden. Grenzkontrollen also! Das soll hart, entschlossen und abwehrbereit klingen. Ist es aber nicht automatisch. Es kommt darauf an, was an den Grenzen in der Praxis wirklich geschieht. Und das ist noch nicht klar, das hängt von den weiteren Entscheidungen der Regierung ab", notiert die TAZ.
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG stellt fest: "Die eindringlichen Bitten aus Brandenburg und Sachsen waren zu laut geworden, als dass sich die Bundesinnenministerin noch länger verweigern konnte. Warum sie wochenlang das Gegenteil dessen begründete, was sie jetzt plötzlich befürwortet, ist eine der vielen Kapriolen, die den Migrationsdiskurs in Deutschland bestimmen. Der Autoritätsverlust, den ihr Verhalten nach sich zieht, führt dazu, dass die Leute sich abwenden. Die deutsche Neigung, Radikalisierung mit moralischen Attacken zu bekämpfen, geht obendrein ins Leere. Das wird auch die Diskussion über die Genfer Flüchtlingskonvention zeigen", erwartet die F.A.Z.
Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG fragt mit Blick auf die Kontrollen: "Was bringt die Maßnahme? Vermutlich nur kurzfristige Erleichterung. Nach Faesers Plänen soll die Polizei nicht nur wie bisher in der Nähe der Grenze Autos stoppen können, sondern auch direkt am Grenzübergang. Hier aber gilt es genau hinzuschauen: Bei der Schleierfahndung wird jedes Asylbegehren aufgegriffener Migranten geprüft. Bei stationären Kontrollen wie zu Österreich, kann zurückgewiesen werden, ohne Prüfung. Das klingt effektiver, als es ist. Auch die Polizei warnt vor der Illusion, dass feste Kontrollen die Flüchtlingszahlen einbrechen lassen. Denn Schleuser umfahren solche Kontrollen. Und Fluchtwege verlagern sich", gibt die SÜDDEUTSCHE zu bedenken.
Die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG hebt hervor, gegen Schleuserkriminalität an den Binnengrenzen vorzugehen sei ein "Kampf gegen Windmühlen, wenn es an den EU-Außengrenzen Hunderttausende unerlaubte Einreisen pro Jahr gibt und Deutschland gar nicht über genug Polizisten dafür verfügt. Und dass Kontrollen Menschen abhalten, ist ebenfalls unrealistisch. Die stationären Kontrollen in Bayern haben gezeigt, dass nicht weniger Menschen kommen, sondern dass sie über andere Wege einreisen. Die bittere Erkenntnis ist, dass Deutschland die Migration aktuell kaum steuern kann und es nicht mal eine Rolle spielt, ob Polizisten an der Grenze stehen oder nicht", unterstreicht die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG.
Die LAUSITZER RUNDSCHAU aus Cottbus äußert sich zu einer Razzia der Polizei in fünf Bundesländern gegen die organisierte Schleuserkriminalität und bilanziert: "Tatsächlich klingt es nicht besonders beeindruckend, wenn lediglich fünf Schleuser - alle Syrer und ebenfalls Asylbewerber - festgenommen werden konnten. Die wahre Zahl der hierzulande operierenden Schleuser liegt deutlich höher. Es bleibt noch enorm viel zu tun. Trotzdem war diese Aktion der Polizei wichtig und sie war richtig. Der Staat hat damit ein Zeichen gegen das Geschäft mit Flüchtlingen gesetzt. Er signalisiert die Bereitschaft, gegen die Drahtzieher vorzugehen. Das bedeutet enorm viel in einer Situation, in der allerorten von Kontrollverlust und Staatsversagen die Rede ist", meint die LAUSITZER RUNDSCHAU.
Auch wenn das punktuelle Ergebnis überzeuge, müsse an der Wirkung derartiger Polizeiaktionen gezweifelt werden, schreibt die ALLGEMEINE ZEITUNG aus Mainz: "Zu lukrativ scheint das Geschäft für die Schleuser, zu oft wurden schon diese Durchsuchungen durchgeführt, ohne das Geschäft grundsätzlich zu destabilisieren. Es wird weiter Ermittlungen und Aktionen gegen die Schleuserbanden geben und immer wieder werden sich neue Menschen finden, die die Not anderer Menschen zu ihrem Gewinn machen. Und dennoch ist jeder Schlag gegen diese Kriminellen richtig und wichtig. Nur so zeigt ein Staat, dass er handlungsfähig ist und sich nicht vorführen lässt. Unsere Demokratie wird dadurch gestärkt, wenn der Rechtsstaat handelt", urteilt die ALLGEMEINE ZEITUNG.
Nun noch Stimmen zur Lage in der Konfliktregion Berg-Karabach: Die VOLKSSTIMME aus Magdeburg mahnt: "Wenn die Aserbaidschaner komplett über den Landstrich herrschen werden, haben die Armenier nichts Gutes zu erwarten. Zu oft wurden sie im 20. Jahrhundert Opfer von Vertreibung, Tod und Pogromen. Nun hat der Exodus aus den Bergen, die hunderte Jahre die Heimat waren, begonnen. Sicher, in der Republik Armenien werden die Leute aus den Bergen provisorisch unterkommen. Doch der Zusammenhalt des armenischen Volkes ist schon jetzt auf eine harte Probe gestellt", vermerkt die VOLKSSTIMME.
Die FRANKFURTER RUNDSCHAU bemerkt mit Blick auf die Flucht der ethnischen Armenier aus der Region: "Halb Karabach, so scheint es, steht im Stau vor dem Grenzübergang, um aus der von Aserbaidschan unterworfenen Heimat herauszukommen. Im Mutterland Armenien wird schon spekuliert, ob man am Ende fast alle 100.000 bis 120.000 Karabach-Armenierinnen und -Armenier aufnehmen muss. Das ist für die kleine Kaukasusrepublik mit ihren knapp drei Millionen Einwohner:innen eine prekäre Dimension. Der Westen wäre gefordert, um mit robustem Auftreten gegenüber Aserbaidschan und der Türkei möglichst viel Sicherheit und Rechte für die armenische Restminderheit im Karabach zu retten, aber auch Sicherheit und Stabilität für die Republik Armenien", empfiehlt die FRANKFURTER RUNDSCHAU.
Das STRAUBINGER TAGBLATT kritisiert die Haltung Berlins: "Die Konfliktparteien sollten an den Verhandlungstisch zurückkehren, hat Bundesaußenministerin Annalena Baerbock vor einigen Tagen im Weltsicherheitsrat gefordert. Viel mehr ist dem offiziellen Deutschland seither nicht zum Einmarsch der aserbaidschanischen Armee in Berg-Karabach eingefallen und zu der Angst der dortigen Armenier vor einem Genozid. Vor Monaten schon nicht, als Aserbaidschans autokratischer Herrscher Ilham Alijew den Latschin-Korridor blockieren ließ, um die armenische Bevölkerung von Lebensmittel-, Medikamenten- und Treibstofflieferungen abzuschneiden. Das laute Schweigen Berlins passt nicht zu der wertegeleiteten Außenpolitik, die sich die Ampel auf ihre Fahnen geschrieben hat", findet das STRAUBINGER TAGBLATT.
Die MITTELDEUTSCHE ZEITUNG aus Halle verlangt: "Damit der Konflikt nicht auf weitere Jahrzehnte verlängert wird, muss Aserbaidschan sich mit Armenien am Verhandlungstisch einigen. Aber Präsident Alijew kann sich gestärkt fühlen. Russland hat sich als Alliierter Armeniens selbst aus dem Spiel genommen, weil es seine Kräfte nun in dem Krieg gegen die Ukraine braucht. Fakten schaffen durch die Macht des Stärkeren - die EU kann dies in Berg-Karabach genauso wenig hinnehmen wie in der Ukraine", folgert die MITTELDEUTSCHE ZEITUNG.
Die FRANKENPOST auf Hof sieht die Europäische Union in der Zwickmühle: "Hat doch die Kommissionspräsidentin genau wie Bundeskanzler Olaf Scholz gerade noch das neue EU-Gas-Lieferabkommen mit 'dem zuverlässigen Partner' Aserbaidschan gefeiert. Nun hat die EU den Salat. Soll die Gemeinschaft raus aus diesem Liefervertrag, wenn sie nicht völlig ihr moralisches Gewissen verleugnen will? Ein konsequentes Vorgehen wie mit Russland traut man sich (noch?) nicht zu, doch viele Optionen gibt es nicht." Das war zum Ende der Presseschau ein Kommentar der FRANKENPOST.