28. September 2023
Die Presseschau aus deutschen Zeitungen

Mit Kommentaren zur Kindergrundsicherung und dem Verbot der rechtsextremistischen Vereinigung "Artgemeinschaft". Vor allem aber geht es um die Asyl-Krisenverordnung der EU und das Machtwort von Bundeskanzler Scholz.

Bundeskanzler Scholz blickt zur Seite.
Bundeskanzler Scholz will die geplante EU-Asyl-Reform unterstützen. (AFP / JOHN MACDOUGALL)
Die Zeitungen der MEDIENGRUPPE BAYERN, zu der unter anderem die PASSAUER NEUE PRESSE gehört, kommentieren: "Na also! Es geht doch – zumindest wenn der Druck übermächtig wird und auch noch die Zeit davonzulaufen droht: Kanzler Scholz, der sich bisher in der Migrationskrise eher durch Wortkargheit auszeichnet, hat gestern ein weiteres Machtwort gesprochen und die Grünen, namentlich Außenministerin Baerbock, dazu verdonnert, die sogenannte Krisenverordnung und damit den geplanten EU-Asyl-Pakt insgesamt nicht länger zu blockieren. Ohne Zweifel ist klar, dass es einfache Lösungen nicht gibt. Aber die geplante EU-Asylreform ist zumindest ein wichtiger Baustein, um die zunehmend entgleisende irreguläre Migration, in Europa bevorzugt Richtung Deutschland, wieder besser in Griff zu kriegen und praktikabler zu gestalten", heißt es in den Zeitungen der MEDIENGRUPPE BAYERN.
"Angesichts einer enormen Zunahme an Asylbewerbern in Deutschland und Europa ist eine Einigung dringender denn je", meint der Berliner TAGESSPIEGEL. "Nun mögen manche den Sinn der Krisenverordnung bezweifeln. Jenen Kritikern aber sei ein Rendezvous mit der Realität empfohlen: Deutschland steht mit seiner Asylpolitik in der EU fast allein da. Selbst das liberal regierte Luxemburg und das von Sozialisten geführte Portugal stimmten zu, als es schon im Juli darum ging, die Position des Rates festzulegen. Es ist gut, dass der Kanzler die Blockade der im (innerparteilichen) Wahlkampf steckenden Grünen auflöst", befindet der TAGESSPIEGEL.
Das HAMBURGER ABENDBLATT notiert: "Viele Bürger werden rufen: endlich. Und anders als das Machtwörtchen im Streit um den Weiterbetrieb der Atomkraftwerke, das nur dreieinhalb Monate wirkte, dürfte dieses Machtwort nachhaltige Wirkung entfalten. Deutschland macht den Weg frei für eine Verschärfung des europäischen Asyl-Rechts – gegen den Widerstand der Grünen. Ihr hartnäckiges Nein speist sich aus hehren Motiven, wird aber immer mehr zu einer Belastung für die Republik, den gesellschaftlichen Zusammenhalt und damit gar für die Demokratie. Der Aufstieg der AfD ist untrennbar verbunden mit dem Anstieg der Migration und dem diffusen Gefühl, dass der Staat versagt. Darauf sollte verantwortungsvolle Politik nicht nur reagieren, darauf muss sie reagieren", unterstreicht das HAMBURGER ABENDBLATT.
"Es ist verdienstvoll, dass die Grünen humanitäre Standards hochhalten, die in anderen Ländern Europas unter die Räder geraten sind", findet die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG. "Aber als deutsche Regierungspartei stehen sie in der Pflicht, europäische Migrationspolitik federführend zu gestalten. Sich durchzumogeln, funktioniert auf Dauer nicht. Das Machtwort des Kanzlers zwingt sie, Positionen zu räumen, die ohnehin nicht mehr lange zu halten gewesen wären."
Die irreguläre Migration sei eine der größten und dauerhaftesten Krisen in der EU, schreibt die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG. "Sie verursacht seit vielen Jahren hohe politische, finanzielle und humanitäre Kosten in praktisch allen Mitgliedstaaten. Es ist ein Armutszeugnis, dass ein Staatenbund, der eine Finanzkrise und eine Pandemie in den Griff bekam und einem Angriffskrieg in seiner Nachbarschaft entschlossen entgegentritt, wieder und wieder daran scheitert, Ordnung auf einem Feld zu schaffen, das seine Gesellschaften fordert und spaltet wie kaum ein anderes. Dass die Sache nun offenbar ein Machtwort des Kanzlers erforderlich gemacht hat, ist bitter. Hoffentlich zeigt es Wirkung. Von der Leyen hat recht: Die EU muss die Asylreform schnell hinbekommen, es naht die Europawahl. Wenn jetzt nichts geschieht, wird das Straßburger Parlament nicht das einzige sein, in dem Rechtspopulisten von der Selbstlähmung der EU profitieren", befürchtet die F.A.Z.
Die SÜDWEST PRESSE aus Ulm überlegt: "Wie auch schon bei der Atom-Intervention drängt sich der Verdacht auf, es handele sich um ein bestelltes Eingreifen. Sowohl Außenministerin Annalena Baerbock als auch Vizekanzler Robert Habeck hatten sich nämlich lange Zeit gar nicht so heftig gegen die härteren Regeln gewehrt, die Grünen-Basis aber schon. Dass nun die Entscheidung durch den Kanzler getroffen wurde, könnte Baerbock und Habeck aus der innerparteilichen Schusslinie nehmen", argumentiert die SÜDWEST PRESSE.
Das Bundeskabinett hat die Kindergrundsicherung auf den Weg gebracht. Die RHEINISCHE POST aus Düsseldorf stellt fest: "Was lange währt, wird nicht automatisch gut. Von Seiten der Bundesagentur für Arbeit als auch von den Städten und Kommunen kommt harsche Kritik. Denn die Sorge, dass ein neues Bürokratiemonster geschaffen wird, ist nicht unbegründet. Von Entlastung der Jobcenter und Kommunen kann bisher keine Rede sein, ihnen wird die Schaffung dieser Stellen plus Digitalisierung vielmehr aufgebürdet. Ob bedürftigen Kindern wirklich mit einer Finanzspritze nachhaltig geholfen wird, steht ebenfalls in den Sternen", betont die RHEINISCHE POST.
"Das bedeutendste sozialpolitische Projekt der Ampel, zumindest aus Sicht der Grünen, ist zu einem Kompromiss zusammengeschnurrt, der seinen Wert erst noch zeigen muss", notiert die FRANKFURTER RUNDSCHAU. "Das Wichtigste für die Betroffenen vorab: Mehr Geld wird es nicht geben. Denn die Leistungen sollen nur gebündelt und keineswegs erhöht werden. Die Kinderarmut in Deutschland wird das Gesetz so ganz sicher nicht beenden. Stattdessen wird es ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für die Bürokratie. Die Kindergrundsicherung wird nämlich von einer eigenen Behörde verwaltet. Geschaffen wird ein neuer Familienservice, an den sich alle Familien wenden können und sollen und das dann irgendwann sogar online. Wann das klappt, ist derzeit noch unklar, aber eines steht schon fest: Das Ganze bringt 2000 neue Stellen in der Verwaltung und Mehrkosten von 400 bis 500 Millionen Euro mit sich. Und da fragt man sich dann doch: Muss das alles sein?", kritisiert die FRANKFURTER RUNDSCHAU.
Die NÜRNBERGER NACHRICHTEN halten fest: "Es ist vernünftig, dass der Bezug nicht mehr davon abhängen soll, ob jemand besonders gut darin ist, Anträge zu stellen. Die Behörden weisen Berechtigte darauf hin, wenn diese einen Anspruch haben. Der Entwurf der Ampel-Regierung hat ohnehin noch einen harten Weg vor sich. Der Bundesrat muss zustimmen und damit auch Länder, in denen die Union regiert. Das ist ja dann nochmal eine gute Gelegenheit, sich auf einen gesellschaftlich tragfähigen Kompromiss zu einigen", meinen die NÜRNBERGER NACHRICHTEN.
Bundesinnenministerin Faeser hat die rechtsextremistische Vereinigung "Artgemeinschaft" verboten. Das sei die richtige Entscheidung, betont die LEIPZIGER VOLKSZEITUNG. "Diverse Vorgänger Faesers müssen sich fragen lassen, warum sie nicht schon längst gehandelt haben. Es spricht für Faeser, dass sie jetzt Konsequenzen zog. Zumindest einen Beigeschmack hat es aber, dass die Verbote so kurz vor der hessischen Landtagswahl erfolgen, in der Faeser als SPD-Spitzenkandidatin antritt. So richtig gut sind ihre Aussichten nicht, der Kampf gegen Rechtsextremismus gilt bei den Sozialdemokraten als Mobilisierungsthema", gibt die LEIPZIGER VOLKSZEITUNG zu bedenken.
Die TAGESZEITUNG erinnert: "Lange Zeit wurde das rechtsextreme Siedlungsmilieu, von den Artamanen bis zur Anastasia-Bewegung, als esoterisch naturverbunden oder absonderlich belächelt – auch von den Sicherheitsbehörden. Aber nicht nur die Artgemeinschaft legt offen, welcher Geist dahintersteckt: Am Ende läuft es auf die Ideologie von Blut und Boden hinaus, mit der Rechtsextreme unter sich bleiben und Raumhoheiten gewinnen wollen. Völlig richtig, dass Faeser nun einschreitet. Der Szene muss der Boden für neuen Hass genommen werden. Leicht wird das nicht: Die verschworene Gemeinschaft wird ihre Ideologie nicht einfach ablegen, andere Gruppen sind weiter aktiv. Faeser darf nun nicht nachlassen", mahnt die TAGESZEITUNG.