07. Oktober 2023
Die Presseschau aus deutschen Zeitungen

Kommentiert werden unter anderem die bevorstehenden Landtagswahlen in Hessen und Bayern. Außerdem wird nach dem EU-Gipfel in Granada über eine Aufnahme der Ukraine diskutiert. Zunächst aber zur Verleihung des Friedensnobelpreises an die iranische Menschenrechtsaktivistin Narges Mohammadi:

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder schaut mit kritischem Blick auf seinen Vize Hubert Aiwanger herunter.
Am 8. Oktober ist Landtagswahl in Bayern. (picture alliance / Sven Simon / Frank Hörmann)
"Absolut richtig" nennt die HEILBRONNER STIMME die Entscheidung des Nobelkomitees: "Seit vielen Jahren kämpft die 51-Jährige leidenschaftlich für die Rechte der Frauen in ihrem Land - und lässt sich auch von Peitschenhieben und 31 Jahren Gefängnis nicht einschüchtern. Mit dem Friedensnobelpreis für Narges Mohammadi sollte die gesamte Protestbewegung im Iran neuen Auftrieb erhalten. Dieses antiquierte Regime wird früher oder später zusammenbrechen - seit gestern lebt die Hoffnung wieder, dass das schneller passieren wird", heißt es in der HEILBRONNER STIMME.
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG lobt insbesondere den Zeitpunkt der Auszeichnung: "Zum Jahrestag der Unruhen schien auch die internationale Solidarität mit der immer noch lebendigen Protestbewegung erlahmt zu sein. Umso wichtiger als Signal auch an das iranische Volk ist nun die Entscheidung aus Oslo. Die inhaftierte Menschen- und Frauenrechtlerin steht für das unbeugsame Eintreten für Freiheit. Den politischen, wirtschaftlichen und diplomatischen Druck auf das Regime zu verstärken wäre ein weiteres Signal, das auch Berlin setzen könnte. Auch wenn es dafür keinen Preis gibt", bemerkt die FAZ.
Auch die GLOCKE aus Oelde sieht die Vergabe des Preises als Auftrag an Deutschland: "Die Bundesregierung hat sich einer feministischen Außenpolitik verpflichtet. Will sie diesem Anspruch gerecht werden, muss sie die zivilgesellschaftlichen Reform-Kräfte im Iran stärker unterstützen und mehr Druck auf das Regime in Teheran ausüben."
"Die internationale Diplomatie ist zu einem Umgang mit dem Regime zurückgekehrt,den es vor der 'Frau, Leben, Freiheit'-Bewegung pflegte", empört sich die TAZ: "Die UN-Generalversammlung im September war eine Zusammenkunft der Schande. Westliche Politiker*innen, die so gern von Menschenrechten sprechen, ließen sich Hände schüttelnd mit den Schlächtern aus Teheran abbilden, was voniranischen Staatsmedien genüsslich propagandistisch genutzt wurde. DerNobelpreis sollte auch ein Signal an westliche Politiker*innen sein: Ihrsteht auf der falschen Seite", urteilt die TAZ.
Die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG nennt Narges Mohammadi zwar eine gute Wahl, führt aber aus: "Beeindrucken wird das die Mullahs leider nicht. Denn das rein willkürliche und brutale Vorgehen der iranischen Herrscher gegen die Frauen im Lande geht weiter, jede Lockerung ist reine Taktik. Insofern ist bei der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock eher der Wunsch der Vater des Gedankens, wenn sie zur Preisverleihung sagt: 'Mohammadis furchtlose Stimme lässt sich nicht wegsperren.' Doch, sie ist weggesperrt", stellt die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG fest.
Der TAGESSPIEGEL stellt die Frage nach der Bedeutung der Nobelpreise: "In der Praxis sind sie eher Zusammentreffen von kleinen skandinavisch geprägten Jury-Clustern mit dem diversen Rest der Welt. Und so entsprechen die Gewinner oft dem Blick, dem Denken, den Traditionen des globalen Nordens. Wie der globale Süden Fragen nach Friedensaktivisten beurteilen würde, ist vergleichsweise unklar. Das war lange Zeit zumindest im Norden auch kaum von Interesse, weil sich alle Welt in die Verteilung von Macht und Einfluss gefügt zu haben schien. Aber das ist offenkundig vorbei – und so kann durchaus die Frage gestellt werden, wie zeitgemäß die Art und Weise der Nobelpreisvergaben noch ist", betont der TAGESSPIEGEL aus Berlin.
Im CICERO ist zu lesen: "Das Komitee hat sich seit den 1960er Jahren immer öfter die Freiheit genommen, Nobels Stiftungszweck weg vom konkreten Friedensziel hin zur Auszeichnung des Einsatzes für Menschenrechte oder andere politische Ziele zu interpretieren. Dies mit dem Zweck des Friedens in einen großen Topf zu werfen, führt letztlich dazu, dass die Signalwirkung des Preises und seine politische Bedeutung entwertet werden.“
Zum nächsten Thema: Morgen werden in Bayern und Hessen neue Landtage gewählt. Die FRANKFURTER RUNDSCHAU hält es für möglich, dass die AfD in Hessen zweitstärkste Kraft wird: "Und das, obwohl sie im Landtag außer Krawall nichts zustande bekommt und sich intern so zerfetzt hat, dass vier Abgeordnete die Fraktion im Streit verlassen haben. Viele ihrer Wähler:innen scheint das wenig zu stören. Umso wichtiger ist es, dass viele Leute wählen gehen. Auch als Mittel gegen die AfD ist es wichtig, dass die Beteiligung an dieser Wahl breit ausfällt."
Das gilt auch für Bayern - glaubt das STRAUBINGER TAGBLATT und kommentiert: "Wer mit dem Argument, dass die Politiker allesamt 'auf der Brennsuppn dahergeschwumma' seien, aus Überzeugung nicht wählt, begeht einen Fehler. Eine Stimme, die nicht abgegeben wird, ist eine Stimme für die AfD! Es ist eine Stimme für die Höckes oder Weidels dieses Landes, die so unerträglich gegen alles hetzen, was unsere politische Kultur ausmacht."
Der MÜNCHNER MERKUR beschäftigt sich ebenfalls mit der AfD und blickt auf den Vorfall mit Parteichef Chrupalla in Ingolstadt zurück: "Der Tusch zum Finale: ein Angriff auf die AfD, den aber nur die AfD bemerkt haben will. Ohne Opfer-Mythos scheint es nicht zu gehen im Freistaat des wandelbaren Herrschers Markus Söder. Dessen CSU kommt kaum noch hinterher, den Wählern das Mitleid mit den tatsächlichen oder vermeintlichen Angriffsopfern auszureden. Bei aller Vorsicht: Die Angaben von Polizei und Ärzten sprechen eher dafür, dass die AfD kurz vor der Wahl noch einen Aiwanger-Moment zu inszenieren versucht, mit sich selbst als Märtyrer und Profiteur", schreibt der MÜNCHNER MERKUR.
Zur Frage, mit wem die CSU nach dem erwarteten Wahlsieg koalieren könnte, meint die NÜRNBERGER ZEITUNG: "Es ist unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen, dass die Koalitionsverhandlungen wegen Unbescheidenheit der Freien Wähler platzen. Eine Koalition mit den Grünen hat Söder so oft und entschieden ausgeschlossen, dass er aus dieser Nummer nicht herauskommt. Aber es gibt noch eine Alternative im Landtag. Nicht die angebliche für Deutschland, sondern die SPD. Deren Landesvorsitzender Florian von Brunn ließ wissen: Die CSU sollte es nach der Wahl einmal mit der sozialdemokratischen Telefonnummer versuchen", erinnert die NÜRNBERGER ZEITUNG.
"Landtagswahlen sind niemals nur Landtagswahlen", konstatiert abschließend der WIESBADENER KURIER. "Die Bürger nutzen sie dazu, der Bundesregierung ein Zwischenzeugnis auszustellen. Und wenn die Umfragen nicht ein vollkommen falsches Bild zeichnen, wird dem Bundeskanzler und seiner Ampel-Koalition wohl ein desaströses Zwischenzeugnis zugestellt werden - Versetzung gefährdet."
Zum Abschluss der Presseschau noch zwei Stimmen zum EU-Gipfel in Granada und zu einer möglichen Aufnahme der Ukraine in die Europäische Union. Die VOLKSSTIMME aus Magdeburg bilanziert: "Die Dynamik der Prozesse in der Ukraine hat die Erweiterungs-Strategen der EU kalt erwischt. Während ein optimistischer EU-Ratspräsident Michel die Ukrainer schon 2030 in der Gemeinschaft sieht, schlagen andere, wie Parlamentspräsidentin Metsola oder Bundeskanzler Scholz, berechtigt die Hände über dem Kopf zusammen: Wenn Aufnahme, dann ohne Zeitansage und mit Reformen nicht nur in der korrupten Ukraine, sondern auch in der EU", verlangt die VOLKSSTIMME aus Magdeburg.
Reformen fordert auch die STUTTGARTER ZEITUNG: "So ist die Erosion des Rechtsstaates vor allem in einigen osteuropäischen Staaten ein wachsendes Problem. Überarbeitet werden muss auch das Einstimmigkeitsprinzip, denn Staaten wie Ungarn nutzen das darin liegende Erpressungspotenzial immer wieder, um ihre eigenen Interessen rücksichtslos durchzudrücken. In diesem Umbau liegt auch eine große Chance, denn eine reformierte Union wird auch eine bessere EU sein", hofft die STUTTGARTER ZEITUNG. Und mit dieser Stimme endet die Presseschau.