18. November 2023
Die Presseschau aus deutschen Zeitungen

Mit Kommentaren zur Haushaltspolitik der Bundesregierung und zum Elterngeld. Außerdem geht es um den Besuch des türkischen Präsidenten Erdogan in Berlin.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) empfängt Recep Tayyip Erdogan, Präsident der Türkei, zu einem Gespräch und Abendessen im Bundeskanzleramt.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) empfängt Recep Tayyip Erdogan, Präsident der Türkei, zu einem Gespräch und Abendessen im Bundeskanzleramt. (Michael Kappeler / dpa )
ZEIT ONLINE schreibt dazu: "Nun konnte Erdogan im Bundeskanzleramt unwidersprochen behaupten, Israel habe Gaza dem Erdboden gleich gemacht, Tausende Kinder getötet, Moscheen und Kirchen zerbombt; unwidersprochen erklären, Israel und die Hamas könne man nicht vergleichen – nicht, weil Israel ein Rechtsstaat sei, der sich verteidigt, die Hamas aber eine Terrortruppe, sondern weil Israel eine Atommacht sei; unwidersprochen behaupten, es gebe zwar an die 200 israelische Geiseln der Hamas, dafür aber ein Vielfaches an palästinensischen Geiseln in Israel – gemeint sind verurteilte Terroristen; unwidersprochen andeuten, Deutschland unterstütze Israel nur wegen seiner historischen Schuld – 'aber wir haben keine Schuld'. Es war eine bizarre Veranstaltung und, weil völlig unnötig, für den Gastgeber zutiefst beschämend", urteilt ZEIT ONLINE.
Die RHEIN-NECKAR-ZEITUNG aus Heidelberg betont: "Europa will Flüchtlinge abhalten und Schweden in der NATO, Erdogan will Eurofighter und viel Geld. Beide Seiten sind - das zeigt der Besuch in Berlin - bereit, zu verhandeln. Die Bittermienen von Steinmeier und Scholz können deshalb nicht darüber hinwegtäuschen, dass an Erdogan derzeit kein Weg vorbeiführt. Ist nicht schön und schlecht für die Sonntagsreden, aber besser als eine weitere Verwerfung. Davon hätte niemand etwas", meint die RHEIN-NECKAR-ZEITUNG.
"Es gehört in der Politik dazu, auch mit unbequemen Menschen zu reden", unterstreicht die RHEIN-ZEITUNG aus Koblenz. "Angesichts der vielen Beziehungen zwischen der Türkei und Deutschland kann man diplomatische Kanäle nicht einfach abbrechen. Hört man sich unter Diplomaten in Berlin um, so wird deutlich: Jenseits Erdogans Getöse gibt es zur türkischen Regierung noch Drähte, die belastbar sind. Die Türkei bemüht sich um eine Annäherung an die EU. Schon allein, um die wirtschaftlichen Beziehungen nicht zu gefährden. Und noch immer geht es um die Befreiung von Geiseln, die sich seit dem Überfall der Hamas auf Israel in den Händen der Terrororganisation befinden. Erdogan kann, da sind sich Berliner Diplomaten sicher, beschwichtigend einwirken und sich für die Befreiung einsetzen", führt die RHEIN-ZEITUNG an.
Zahlreiche Zeitungen kommentieren die Haushaltspolitik der Bundesregierung nach dem jüngsten Urteil des Verfassungsgerichts. Die Ampel-Koalition habe eine Abfuhr erhalten, wie sie selten zu erleben sei, vermerkt der Berliner TAGESSPIEGEL: "Sie braucht nicht nach Schuldigen außerhalb ihrer Reihen zu suchen. Der Hauptverantwortliche steht zudem an der Spitze der Regierung. Die in Karlsruhe krachend gescheiterte Etatpolitik wurde parallel zu den Koalitionsverhandlungen im Herbst 2021 im damals von Olaf Scholz geleiteten Bundesfinanzministerium konzipiert. Dass der Kanzler nach dem Urteil schmallippig und konsterniert wirkte, hatte schon seinen Grund. Er hatte wohl geglaubt, man käme mit der Zaubernummer in Karlsruhe einigermaßen durch. Er hat sich getäuscht", notiert der TAGESSPIEGEL.
Der SPIEGEL geht auf die Reaktion der Opposition ein und überlegt: "Die Frage ist, ob mit dem Urteil jetzt alles gut ist – und wird. Wie Oppositionschef und De-facto-Mitkläger Friedrich Merz frohlockt. Zweifelhaft. Denn erstens droht die Umsetzung des von Merz gefeierten Urteils für Deutschland jetzt eine gefährliche wirtschaftliche Krise mit sich zu bringen – so eine Art Merzession. Und zweitens wird immer offenbarer, dass an der Schuldenbremse etwas nicht stimmt – wenn Regierungen selbst in düstersten Zeiten tricksen müssen, um das nötige Geld zur Abwehr von Krisen zu mobilisieren, die bei Nichtabwehr für Staat und künftige Generationen sehr viel teurer würden", schreibt der SPIEGEL.
"Der grenzenlose Jubel von CDU und CSU darüber, das Hammer-Urteil aus Karlsruhe erwirkt zu haben, wird von kurzer Dauer sein", vermutet auch die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG. "Die Zeitenwende ist ja keine Erfindung von Kanzler Olaf Scholz. Sie ist real und muss gestaltet werden. Wer dabei auf die Schuldenbremse setzt, hat die Herausforderung offenbar nicht ganz verstanden. Das alles ist keine Entschuldigung dafür, dass Kanzler Scholz und Finanzminister Christian Lindner der illegalen Haushaltstricks überführt sind. Aber das alles wirft die Frage auf, wie der Staat aus dem Desaster wieder rauskommt. Nach Lage der Dinge muss jetzt die Schuldenbremse auf den Prüfstand. Wenn nicht genug investiert werden kann, wird die schwarze Null zum Strick, mit dem sich Deutschland stranguliert", warnt die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG.
Die LAUSITZER RUNDSCHAU aus Cottbus meint hingegen: "Es wäre töricht und verantwortungslos, das Instrument ausgerechnet dann abzuschaffen, wenn es zum ersten Mal scharfgestellt worden ist. Man sendete ein Signal an Bürger und Finanzmärkte, dass die Bundesrepublik es nicht mehr ernst nähme mit ihrer finanzpolitischen Tugend. Es wäre verheerend und kostspielig, weil die Anleger misstrauisch würden und höhere Zinsen verlangten, um den deutschen Staat zu finanzieren. Durch ihre verantwortungslose Trickserei haben Kanzler Olaf Scholz und Finanzminister Christian Lindner sogar die Kritiker der Schuldenbremse dazu gebracht, für die Schuldenbremse plädieren zu müssen", argumentiert die LAUSITZER RUNDSCHAU.
Die Ampel-Koalition hat sich auf eine Kürzung des Elterngelds geeinigt. Dazu schreibt die BADISCHE ZEITUNG aus Freiburg: "Elterngeld, war da was? Die Ampelregierung streitet über so vieles, dass man fast den Überblick verlieren könnte. Und seit dem Urteil des Verfassungsgerichts vom 15. November ist klar, dass die größten Konflikte der Bundesregierung womöglich noch bevorstehen. Zumindest ein Problem scheint nun gelöst zu sein. Die Einkommensgrenze für das Elterngeld soll schrittweise abgesenkt werden, ab April 2025 dann bei 175.000 Euro liegen. Das ist keine perfekte Lösung. Aber ein fairer Kompromiss. Die neuen Regeln treffen vor allem reiche Familien. Angesichts der knappen Haushaltslage muss man priorisieren. Es ist richtig, an denen zu sparen, die es am wenigsten schmerzt", findet die BADISCHE ZEITUNG.
Die SÜDWEST PRESSE aus Ulm analysiert: "Paare dürfen 2024 bis zu 200 000 Euro im Jahr verdienen und bekommen nach vorläufigen Beschluss der Ampel (und vor allem auf Drängen der FDP) trotzdem die staatliche Leistung. Wenn das nicht großzügig ist. Dabei steht der Effekt des Elterngelds infrage. Es ist dafür gedacht, Einkommensverluste von Müttern und Vätern während der ersten Monate nach der Geburt eines Kindes zu begrenzen. Doch gerade Gutverdienende dürften sich nach anderen Kriterien für oder gegen ein Kind entscheiden. Da geht es um Fragen wie: Bekomme ich einen Kita-Platz – möglichst in der Nähe und mit guten Öffnungszeiten? Bis hin zu: Welche Zukunft erwartet mein Kind in einer Welt, in der gerade eine Katastrophe die nächste jagt? In guten wirtschaftlichen Zeiten mag es in Ordnung sein, das Füllhorn auch über Eltern auszuschütten, die sich keine finanziellen Sorgen machen müssen. Jetzt ist nicht der richtige Moment dafür", unterstreicht die SÜDWEST PRESSE aus Ulm.
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG kritisiert: "Die Milliardenbeträge, die die beliebte Transferleistung jedes Jahr verschlingt, stehen in keinem Verhältnis zu dem politisch erwünschten Ertrag partnerschaftlicher Aufgabenteilung im Berufs- und Familienleben. Anders als Familienministerin Paus behauptet, wirkt das Elterngeld eben nicht zielgenau. Schlimmer noch: In dem Bemühen, dies zu ändern, hat die Politik nicht nur die Kosten hochgetrieben, sondern auch den Bürokratieaufwand. Notwendig wäre eine grundlegende Bestandsaufnahme. Stattdessen wird das Elterngeld nun für Bezieher hoher Einkommen etappenweise gekürzt und am Ende auch nicht so stark wie zunächst geplant. Familien sollen sich so besser auf die Änderungen einstellen können. Die Ampel packt ihre eigene Reformunfähigkeit in Watte. Das ist schmerzlich", urteilt die F.A.Z. zum Abschluss der Presseschau.