29. November 2023
Die Presseschau aus deutschen Zeitungen

Themen sind das Treffen der NATO-Außenminister in Brüssel und das Verleumdungsverfahren gegen den jüdischen Musiker Gil Ofarim. Im Mittelpunkt der Kommentare steht aber die Regierungserklärung von Kanzler Scholz im Bundestag zur Haushaltslage:

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bei seiner Regierungserklärung zur Haushaltslage Ende November 2023
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bei seiner Regierungserklärung zur Haushaltslage. (picture alliance / dpa / Michael Kappeler)
Die WESTDEUTSCHE ZEITUNG führt aus: "Es mag hanseatische Mentalität sein, dass Menschen wie Olaf Scholz nicht aus sich herausgehen können. Und auch ein Staat wie die Bundesrepublik Deutschland braucht an seiner Spitze natürlich keine Führungskraft, deren erste Kompetenz es ist, Zwerchfelle und Tränendrüsen bedienen zu können. Aber in Zeiten wie diesen darf es gern schon etwas mehr Gefühl sein, mehr Entschlossenheit, mehr Anzeichen von Tatkraft, auch mehr Selbsterkenntnis. Diese Chance hat Bundeskanzler Olaf Scholz mit seiner Regierungserklärung verpasst. Wieder einmal. Dabei wäre es diesmal womöglich wichtiger denn je gewesen, den Menschen zu vermitteln, dass die Schwierigkeiten tatsächlich erkannt sind, und dass aus dieser Erkenntnis ein Plan entwickelt wurde, der das Zeug hat, Zuversicht zu entfachen. Doch dafür gab es keine Anzeichen. Scholz hat vielmehr den Versuch unternommen, die Republik mit Beruhigungsformeln zu sedieren", urteilt die WESTDEUTSCHE ZEITUNG.
Die TAGESZEITUNG beobachtet: "Oppositionschef Friedrich Merz nannte Scholz einen 'Klempner der Macht'. Das trifft nicht ganz zu. Klempner sind sehr gefragt, Scholz eher nicht, seine Umfragewerte sind auf einem Tiefpunkt. Der Kanzler verpasste die Gelegenheit, den Trend umzukehren. Ein 'Sorry, ich habe die Lage falsch eingeschätzt' hätte ihm geholfen", meint die TAZ.
Der Berliner TAGESSPIEGEL fragt: "Was muss geschehen, damit Olaf Scholz sich als der zeigt, der er sein soll: der Bundeskanzler? Von ihm eine Vision zu erwarten, wird endgültig zur Illusion. Aber auch seine Regierungserklärung zur Lage im Staat war keine. Er hätte sie sich sparen können. Flagge zu zeigen, vor allem vor den eigenen Leuten. Darum ging es wohl besonders, damit der Unwille am Ende nicht auch noch in der Regierungsfraktion grassiert. Obwohl: Gestellt hat Scholz sich nicht. Nicht wirklich. Er war da, in Person, als leibhaftige Autorität gewissermaßen. Und hat das gesagt, was er in den Tagen seit dem verheerenden Verfassungsgerichtsurteil zu den Bundesfinanzen immer gesagt hat – und das erneut nicht einmal mitreißend", urteilt der TAGESSPIEGEL.
Die WIRTSCHAFTSWOCHE findet, Scholz habe über weite Strecken wie ein Protokollant bekannte Versprechen abgelesen: "Der Staat hält seine Zusagen ein. Im Alltag ändert sich nichts. Ahnt er wenigstens, dass viele Wählerinnen und Wähler diese demonstrative Unerschütterlichkeit mittlerweile als das erkennen, was sie ist: bröckelnde Fassade? Etwas mehr als lose Hinweise zur Lösung der fiskalischen Zwänge wären dringend notwendig. Nicht nur Investoren zweifeln, ob das noch ihr Deutschland ist. In der Vergangenheit hat der Sozialdemokrat noch jede Herausforderung, jede Krise mit einem Reflex gelöst: mehr Geld. Auf Corona folgte die Bazooka, auf den Krieg der Zeitenwende-Fonds, auf die Energiekrise der Doppel-Wumms. Dies ist tatsächlich die erste Krise, die Scholz mit weniger Geld lösen muss", vermerkt die WIRTSCHAFTSWOCHE.
Die FREIE PRESSE aus Chemnitz verlangt, es seien nun: "Antworten fällig, auf die SPD, Grüne und FDP das Land nicht mehr lange warten lassen können. Will die Ampel die Schuldenbremse 2024 noch einmal aussetzen oder nicht? Wo wollen die Parteien sparen? Welche Ausgaben können sie als verzichtbar benennen? An welchen Stellen werden Einschnitte vorgenommen, auch wenn sie schmerzhaft sind? Diese Fragen gewissenhaft zu beantworten, ist der Job der Regierung. Scholz muss die Koalition jetzt zusammenführen und führen, wie er es bislang zu wenig getan hat. Die Ampel muss in der Haushaltskrise endlich als Team zusammenfinden. Das Land braucht einen soliden Haushalt." So weit die FREIE PRESSE und so viel zu diesem Thema.
Die FRANKFURTER RUNDSCHAU geht ein auf das Treffen der Außenminister in Brüssel, bei dem NATO-Generalsekretär Stoltenberg an die Verbündeten appelliert hat, die Ukraine über den Nahost-Krieg nicht zu vernachlässigen: "Immerhin spricht Stoltenberg das Problem an, wenn er sagt, es sei unsere Pflicht, dafür zu sorgen, dass wir die Ukraine mit den Waffen versorgen, die sie braucht. Leider hat er nicht gesagt, für welches Ziel das Verteidigungsbündnis Waffen liefert. Derzeit reichen die westlichen Hilfen lediglich dazu, die russische Armee aufzuhalten, aber nicht dazu, die Invasoren aus dem Land zu treiben. Ganz zu schweigen davon, die völkerrechtswidrig annektierte Krim zurückzuerobern, wie Kiew es will. Die Verbündeten des überfallenen Landes sollten noch einmal darüber reden, was sie erreichen wollen", empfiehlt die FRANKFURTER RUNDSCHAU.
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG stellt fest, zwischen der ukrainischen und der russischen Armee gebe es ein weitgehendes Patt an der Front: "Entsprechend schraubt die NATO ihre Ziele herunter. 'Halten ist Gewinnen', lautet nun die Parole, und das ist deutlich weniger ambitioniert als das, was der Westen sich von der jüngsten ukrainischen Offensive erhofft hatte: dass Kiew nämlich mit westlichen Waffen einen Durchbruch erkämpfen kann, der Putin dann an den Verhandlungstisch zwingt. Das wird auf absehbare Zeit nicht geschehen. Hinzu kommt die veränderte Weltlage. Der Krieg in Nahost hat nicht nur die westliche Aufmerksamkeit auf einen anderen großen Schauplatz gelenkt. Vor allem hat er der westlichen Führungsmacht gezeigt, dass ihre Kräfte nicht unendlich sind: materiell nicht, wenn etwa Israel und die Ukraine die gleiche Munition benötigen, und auch politisch nicht, wenn in Washington Parteienstreit herrscht. Selbst wenn sich der Kongress demnächst doch noch auf neues Geld für die Ukraine verständigen sollte, muss man auf mittlere Sicht ein Fragezeichen hinter Amerikas Unterstützung machen", vermutet die F.A.Z.
Die MITTELDEUTSCHE ZEITUNG aus Halle ist sich sicher, dass die Waffenlieferungen des Westens bislang Kiews Niederlage verhindert haben: "Sie sind aber nicht ausreichend für einen Sieg. Die Zurückhaltung ist unter anderem der Angst geschuldet, dass Kremlchef Wladimir Putin mit dem Einsatz von Atomwaffen reagieren könnte, wenn er in die Ecke gedrängt würde. Der Westen kann sich aber nicht erlauben, seine Handlungen an Putins Drohungen auszurichten. Die europäischen Verbündeten der Ukraine und die USA müssen ihr Handeln und damit auch ihre Waffenlieferungen daher endlich klar an einem Ziel ausrichten: Dass die Ukraine diesen Krieg gewinnen muss, und zwar schnell", betont die MITTELDEUTSCHE ZEITUNG.
Nun noch Stimmen zum Verleumdungsverfahren gegen den jüdischen Musiker Gil Ofarim. Die SÄCHSISCHE ZEITUNG aus Dresden erläutert: "Gil Ofarim hat gelogen. Die Behauptung, er sei in Sachsen in einem Hotel antisemitisch beleidigt worden, war frei erfunden. Zwei Jahre lang hat er gebraucht, um die Verleumdung zu gestehen und sich bei seinem Opfer zu entschuldigen. Es spricht einiges dafür, dass er bei seiner Lüge geblieben wäre, wenn die Beweislage nicht so eindeutig gegen ihn gesprochen hätte. Eine Verurteilung war anders als durch ein Geständnis nicht mehr abzuwenden. Mit einer Geldauflage und Schmerzensgeld für den verleumdeten Hotelmitarbeiter ist der Fall juristisch abgeschlossen worden. Eine Strafe sei nicht mehr erforderlich, meint der Richter, und auch die Staatsanwaltschaft, die akribisch die Aufklärung vorangetrieben hat, stimmte der Einstellung zu. Gemessen an dem Schaden, den der Sänger angerichtet hat, ist diese Großzügigkeit nicht nachvollziehbar", kritisiert die SÄCHSICHE ZEITUNG.
Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG bilanziert: "Zwei verletzte Menschen bleiben zurück: Der eine ist der Hotelmitarbeiter, dessen Seelenfriede mutwillig zerstört wurde. Der andere ist Ofarim selbst: Er hat sich unglaubwürdig gemacht und seiner Sache geschadet. Denn er hat jenen Argumente geliefert, die immer schnell sagen: Alles aufgebauscht, alles nicht so schlimm. Diesmal haben sie recht behalten." Das war zum Ende der Presseschau die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG.