30. November 2023
Die Presseschau aus deutschen Zeitungen

Heute mit Stimmen zur Warnung des Verfassungsschutzes vor einer akuten Gefahr islamistischer Anschläge in Deutschland. Weiteres Thema ist die Insolvenz der Signa-Holding des österreichischen Unternehmers Benko. Doch zunächst kommentieren einige Zeitungen die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Wahlrechtsreform aus dem Jahr 2020.

Aussenaufnahme des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe. Ein grauer Betonbau, im Vordergrund ist eine Mauer auf der "Bundesverfassungsgericht" steht.
Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe (Archivbild). (picture alliance / dpa / Uli Deck)
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG führt aus: "Das Streben nach einem gerechten Verfahren im föderalen Staat, verbunden mit historischer Skepsis gegenüber einem direkten Volkswillen und dem Versuch des Ausgleichs widerstreitender Parteiinteressen, hat zu einem Wahlrecht geführt, das man teils als Satire lesen, aber auch beim besten Willen kaum verstehen kann. Macht nichts, sagt nun das Bundesverfassungsgericht mit knapper Mehrheit: Der Wähler muss es auch gar nicht kapieren. Denn das Wahlrecht richtet sich gar nicht an ihn. Der Bürger soll sich demnach beim Wahlleiter schlaumachen und durch Modellrechnungen klicken. Aber damit wird die Axt an das Königsrecht in der repräsentativen Demokratie gelegt. Man kann das im Ergebnis verstehen. Es gibt schon ein neues Wahlrecht, auch wenn das alte noch wirkt. Der Bürger muss wissen, woran er ist. Was nützt eine freie Wahl, wenn der Wähler die Folgen dieser Freiheit nicht verstehen kann? Im Grunde hat er dann keine Wahl mehr", urteilt die F.A.Z.
Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG verweist auf den Verfassungsrichter Peter Müller. Dieser hätte der Politik, der er einst angehörte, gerne eine "Nachhilfestunde in Paragrafenkunde erteilt: In einer Demokratie müssen Wählerinnen und Wähler die Vorschriften verstehen können, nach denen das Parlament zusammengesetzt wird, argumentiert er mit zwei weiteren Senatsmitgliedern. Doch die Mehrheit des Zweiten Senats sieht das anders. Dabei hat Müller recht, etwas zumindest. Die Normen des deutschen Wahlrechts sind in der Tat selbst für Juristen kaum lesbar und für Wählerinnen schon gar nicht. Es wäre eine demokratische Großtat, wenn es gelänge, hier für mehr Transparenz und Verständlichkeit zu sorgen. Insofern sollte sich der Gesetzgeber den Appell zu Herzen nehmen und das Unmögliche wagen – ein kompliziertes Wahlrecht in einfache Worte zu fassen", empfiehlt die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG.
Die kritische Haltung einiger Verfassungsrichter gebe zu denken, unterstreicht die MITTELDEUTSCHE ZEITUNG aus Halle: "Denn der Wunsch, dass alles gerecht sein soll, kommt ja oft auch aus Karlsruhe. Und nicht nur im Wahlrecht sind Gesetze kompliziert, auch im Steuerrecht, im Erbrecht oder im Polizeirecht. Soll das deshalb alles verfassungswidrig sein? Einfach ist, was simpel ist, ohne Verhältnismäßigkeit, ohne Einzelfallgerechtigkeit. Der Ruf nach einfachen Lösungen war bisher das Markenzeichen von Populisten. Gut, dass die Mehrheit des Bundesverfassungsgerichts sich dem nicht angeschlossen hat", notiert die MITTELDEUTSCHE ZEITUNG.
Der Berliner TAGESSPIEGEL spekuliert: "Vielleicht entfaltet das Votum der drei dissentierenden Richter ja eine subversive Wirkung. Es ist als Lektüre zu empfehlen. Auch der Regierungskoalition. Denn deren Reform ist auch kein Meisterwerk an Verständlichkeit und Nachvollziehbarkeit. Oder glaubt man in der Ampel wirklich, dass die mit großem Stolz auf die eigene Finesse vorgestellte Erfindung der 'Zweitstimmendeckung' den Wählerinnen und Wählern unmittelbar einleuchtet? Und sie erkennen, wie entscheidend der Kniff für die Wahl im Wahlkreis sein kann? Das Minderheitenvotum vom Mittwoch sollte angesichts der jahrelangen Murkserei bei der Reform des Wahlrechts niemand im Bundestag zustimmend zitieren, ohne rot zu werden", findet der TAGESSPIEGEL.
Die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG erkennt bei den jeweiligen Wahlrechtsreformen ein Muster: "Anfangs sind alle Parteien für eine Verkleinerung des Bundestages, die konkrete Reform wird dann aber nur mit den Stimmen der Regierungsparteien beschlossen. Die Opposition befürchtet Nachteile und zieht empört vors Bundesverfassungsgericht. Dieses Muster stellt der Leistungsfähigkeit der deutschen Politik kein gutes Zeugnis aus." Das war die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG.
Themenwechsel. Die WESTDEUTSCHE ZEITUNG geht ein auf die Warnung des Verfassungsschutzes vor einer akuten Gefahr islamistischer Anschläge in Deutschland: "Das Gemisch ist explosiv, leider im wahrsten Sinne des Wortes. Deutschland hat ein Problem mit einer unseligen Melange von extremistischem Gedankengut, das sich gegenseitig beschleunigt. Nichts anderes ist den Warnungen des Verfassungsschutzpräsidenten Thomas Haldenwang zu entnehmen. Islamisten, palästinensische Extremisten, türkische Rechtsextremisten, deutsche und türkische Linksextremisten bezeichnet der Verfassungsschutz im Angesicht des Nahostkonflikts als 'Scharfmacher', die Hass und Hetze leben und 'Fake News' befördern – wenn auch aus unterschiedlicher Motivation. Deutsche Rechtsextremisten nutzen derweil die Situation zur Agitation gegen Muslime und Migranten. Das ist ein Nährboden, der kaum mehr fassbar ist. Wer den Lagebericht des Verfassungsschutzes liest, bekommt ein Bild davon, wie unterschiedlich die Szenen den Nahostkonflikt analysieren. Die gemeinsame Schnittmenge sind Antisemitismus und Israel-Feindlichkeit. Klar ist: In der gegenseitigen Bestärkung liegt die Gefahr, dass Einzeltäter immer Unterstützung und Ermutigung empfinden", mahnt die WESTDEUTSCHE ZEITUNG.
Die LAUSITZER RUNDSCHAU aus Cottbus fragt: "Was fangen wir mit dieser Warnung an? Es ist die Aufgabe des Staates, uns vor Terror zu schützen. Jeder weiß jedoch, dass es keinen hundertprozentigen Schutz gibt. Sollen wir nicht mehr ins Konzert oder ins Kino gehen? Der Verfassungsschutz soll nicht Angst verbreiten, sondern Anschläge verhindern. So, wie es vermutlich gerade in Nordrhein-Westfalen und Brandenburg gelungen ist. Allgemeine Warnungen nützen niemandem", meint die LAUSITZER RUNDSCHAU.
Der KÖLNER STADT-ANZEIGER äußert sich zur Insolvenz der Signa-Holding des österreichischen Unternehmers Benko: "Ein gigantisches Konstrukt aus miteinander verflochtenen Firmen stürzt nun wie ein Kartenhaus zusammen. Die geradezu wundersame Leistung des 'Wunderwuzzi' bestand vor allem darin, dass es ihm gelang, erfolgreiche Unternehmer und seriöse Geldinstitute von seinem Geschäftsmodell zu überzeugen. Sie ließen sich von seinen Erfolgen blenden und haben irgendwann so genau nicht mehr hingeschaut und dabei übersehen, dass Benkos Geschäftsmodell auf einem wiederkehrenden Syndrom in der Immobilienbranche beruhte, das zumindest erfahrenen Bankern bekannt sein müsste: In Boomphasen mit niedrigen Zinsen steigen die Bewertungen von Immobilien sehr schnell. Das machte Benko/Signa immer reicher, und deshalb wurde es für ihn zunehmend einfacher, neue Kredite für neue Projekte zu bekommen. Doch solche Schneeball-Systeme kollabieren, wenn die Zinsen steigen, die Konjunktur lahmt und die Immobilienpreise sinken. Genau das hat zum Einstürzen des Kartenhauses geführt", analysiert der KÖLNER STADT-ANZEIGER.
Die BERLINER MORGENPOST befürchtet, Benko werde nicht nur sein Lebenswerk zerstören, sondern möglicherweise auch "betroffene Städte um Jahre zurückwerfen. Denn der schillernde Investor war in den letzten Jahren sowohl in Berlin, als auch in Hamburg, Düsseldorf oder Frankfurt am Main ein gern gesehener Gast. Den Metropolen machte der Hauch von Zwielicht, der Benko stets umwehte, offenbar wenig aus. Bereitwillig überließen sie ihm und seinem Konzern Filetstücke in den Innenstadtlagen. Vielleicht war Benko nicht immer die beste Alternative, doch er schaffte es, zu überzeugen und die Deals abzuschließen. Zu befürchten ist nun, dass die Entwicklungsprojekte, die eigentlich neue Leuchttürme werden sollten, Schaden nehmen werden", schätzt die BERLINER MORGENPOST.
Der NORDBAYERISCHE KURIER aus Bayreuth verlangt: "Die Wahrheit hinter diesem Märchenstück, das das Zeug zum Wirtschaftsskandal hat und noch ein Fall für die Justiz werden könnte, gehört ins Rampenlicht. In Österreich könnte es einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss geben; auch in Deutschland braucht es noch einigen politischen Druck zur Aufklärung", unterstreicht der NORDBAYERISCHE KURIER zum Ende der Presseschau.