23. Januar 2024
Die Presseschau aus deutschen Zeitungen

Mittelpunkt der Kommentare ist der angekündigte 6-Tage-Streik der Lokführergewerkschaft GDL. Außerdem werden die Demonstrationen gegen den Rechtsextremismus und die AfD sowie der Vorwahlkampf in den USA kommentiert.

"Zug fällt aus" ist auf einer Anzeige im Hauptbahnhof Hannover am frühen Morgen mehrfach zu lesen.
Lokführer wollen von kommenden Mittwoch an sechs Tage lang die Arbeit niederlegen. (picture alliance / dpa / Moritz Frankenberg)
"In diesem Tarifkonflikt mit der Bahn hat die Gewerkschaft GDL jedes Maß verloren", moniert der SÜDKURIER aus Konstanz: "Das aktuelle Angebot des Schienen-Konzerns sieht ein Wahlrecht der Mitarbeiter zwischen mehr Freizeit bei vollem Lohnausgleich und mehr Geld vor. Je nach Wahloption läuft das für Lokführer und Zugbegleiter ab Anfang 2026 auf bis zu 13 Prozent mehr Gehalt im Vergleich zu heute hinaus. Was soll die hoch verschuldete Bahn ihren Mitarbeitern noch anbieten? Angesichts dessen gleicht es einem Affront, dass GDL-Chef Weselsky eine Rückkehr an den Verhandlungstisch brüsk ablehnt und jetzt zum längsten Streik der Geschichte aufruft", kritisiert der SÜDKURIER.
Die AUGSBURGER ALLGEMEINE bezeichnet den GDL-Streik als eine "Zumutung für alle Bahnreisenden": "Mit seinem Krawallkurs beginnt Weselsky auch der Wirtschaft zu schaden. In einer arbeitsteiligen Ökonomie sind sechs Tage ohne Güterverkehr ein nicht zu unterschätzendes Produktionsrisiko. Unternehmen, die Rohstoffe, Autos oder chemische Erzeugnisse mit der Bahn transportieren, wird der Stillstand teuer zu stehen kommen."
Der REUTLINGER GENERAL-ANZEIGER konstatiert: "Natürlich muss man der Lokführergewerkschaft zugutehalten, dass ein Arbeitskampf nur dann erfolgreich sein kann, wenn er viele Menschen trifft. Nur so entsteht neben dem finanziellen Druck auf die Arbeitgeber auch ein gesellschaftlicher, sich endlich zu einigen. Das sind die üblichen Spielregeln einer Tarifauseinandersetzung. Doch der Bahnstreik entfernt sich immer weiter von diesen eingeübten Ritualen", beobachtet der REUTLINGER GENERAL-ANZEIGER.
"Die Bahn sei nicht verhandlungsbereit, der Ausstand daher rechtmäßig, verhältnismäßig und zulässig", zitieren die WESTFÄLISCHEN NACHRICHTEN aus Münster GDL-Chef Weselsky und führen weiter aus: "Ja, der Streik ist zulässig. Ja, er ist wohl rechtmäßig. Aber: Nein, es ist nicht verhältnismäßig, wegen der wenigen Fragen, die unter den Tarifpartnern noch strittig sind, den Alltag von Millionen Bahnkunden sechs Tage lang durcheinanderzuwirbeln. Zur Erinnerung: Es ist der vierte Streik in dieser Tarifrunde."
"Das übliche Elend der Bahn nimmt so eine kurze Auszeit", schreibt die VOLKSSTIMME aus Magdeburg: "Das desolate Schienennetz, die grauenhafte Pünktlichkeitsrate, das fehlende Personal. Das passiert, weil die Bahner Macht und Möglichkeit haben, in ihrem Tarifstreit aufs Ganze zu gehen. Hauptstreitpunkt im Bahn-Tarifkosmos ist eine Arbeitszeitverkürzung auf 35 Wochenstunden bei vollem Lohnausgleich. In Ostdeutschland arbeiten zwei Drittel aller Beschäftigten ohne Tarifverträge. Auf sie muss dieser Arbeitskampf wirken wie aus einer anderen Welt", meint die VOLKSSTIMME.
Die MITTELDEUTSCHE ZEITUNG aus Halle notiert: "Der GDL-Chef nimmt unzählige Menschen in Mithaftung, die mit seiner Branche gar nichts zu tun haben. Und wenn das Unternehmen seine Wünsche weitgehend erfüllen sollte, macht sie seinen Nachfolger schon jetzt größer. Denn er wird aus dem Schatten des GDL-Chefs heraustreten wollen. Weselsky vergisst: Arbeitgeber sind grundsätzlich keine Feinde. Nicht nur bei der Bahn werden Arbeitskräfte gesucht. Eine 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich passt schwer in eine Zeit, die angesichts eines massiven Reformstaus nach neuem Aufbruch schreit. Auch darüber sollte sich die GDL einmal Gedanken machen", findet die MITTELDEUTSCHE ZEITUNG.
Themenwechsel. Seit Tagen zieht es in ganz Deutschland zigtausende Menschen auf die Straßen, um gegen Rechtsextremismus und gegen die AfD zu demonstrieren. Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG analysiert: "In den Augen der AfD werden die Proteste gegen sie getragen von Vereinen und Verbänden, die von der Regierung finanziert werden. Es seien bestellte Proteste, in der AfD raunen sie von Berufsdemonstranten. Solche absurden Behauptungen zeigen, wie schwierig es für die AfD ist, die Massenproteste wegzudeuten. Und sie zeigen, wie weit sich die braune Blase in der AfD bereits entfernt hat von der Realität, von weiten Teilen des Volkes, die die Partei angeblich als einzige vertritt. Aus den Demonstrationen der Hunderttausenden, die man am Wochenende sah, muss kein festes Bündnis entstehen. Dazu sind die Teilnehmer zu unterschiedlich. Man konnte als Anhänger eines Flüchtlingsrates mitlaufen. Ebenso guten Gewissens aber auch als jemand, der eine strengere Asylpolitik will, aber keinesfalls Massenausweisungen von Zuwanderern, wie sie die AfD plant", stellt die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG fest.
Der KÖLNER STADT-ANZEIGER fordert Konsequenzen aus den Protesten: "Nun ist vor allem die Politik gefragt, und zwar auf allen Ebenen. Politik braucht Klarheit. Jede Entscheidung, die wieder einmal vertagt wird oder im Parteienstreit untergeht, sorgt bei inzwischen allzu vielen für ein Gefühl der Ohnmacht. Dass daran ein ganzes Land erinnert wurde – auch das ist das Verdienst aller, die an diesem Wochenende demonstriert haben."
In den USA hat der Gouverneur von Florida, DeSantis, seine Bewerbung um die Präsidentschaftskandidatur für die Republikanische Partei zurückgezogen. Die SÜDWEST PRESSE aus Ulm glaubt nicht, dass die einzig verbliebene Mitbewerberin Haley den früheren Präsidenten Trump schlagen könnte: "Die USA stehen vor einer Neuaufführung des Zweikampfes Trump gegen Biden, obwohl die meisten Amerikaner es noch gar nicht so richtig glauben können. Die Demokraten setzen auf ein Erwachen. Womöglich kommt es zu spät."
"Darauf hatte Haley schon lange gehofft", vermutet hingegen der TAGESSPIEGEL: "Es ist ihre einzige Chance gegen Trump. Die Stimmen der Wähler, die nach einer Alternative zum polternden Ex-Präsidenten suchen, dürfen sich nicht auf mehrere Bewerber verteilen. Sie muss sie auf sich vereinen. Donald Trump bleibt der haushohe Favorit. Er dominiert die Republikanische Partei. In Iowa gewann er 51 Prozent – mehr als alle Konkurrenten zusammen. In den nun folgenden Vorwahlen in New Hampshire, Nevada und Haleys Heimatstaat South Carolina, wo sie eine erfolgreiche Gouverneurin war, liegt er im Schnitt der Umfragen vorn", unterstreicht der TAGESSPIEGEL.
Die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG bemängelt: "Für die politische Klasse in den USA ist es ein Armutszeugnis, dass weder die Republikaner noch die Demokraten in der Lage sind, ihr politisches Spitzenpersonal zu verjüngen, dass sie nicht mehr aufzubieten haben als einen notorischen Wahrheitsverdreher und einen Greis, an dessen Zugkraft sogar viele seiner Anhänger verzweifeln. Vieles deutet also darauf hin, dass die Amtszeit von Trump kein einmaliger Betriebsunfall der US-amerikanischen Demokratie war. Für Deutschland und Europa wird es Zeit, sich auf eine zweite Präsidentschaft des ungeliebten politischen Untoten vorzubereiten. Frühzeitig erste Kontakte in das Trump-Lager zu knüpfen, dürfte nicht verkehrt sein", empfiehlt die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG.
"Für Trump ist diese frühe Entscheidung Fluch und Segen zugleich", resümiert die Tageszeitung – TAZ – und führt weiter aus: "Ein Problem ist, dass die Vorwahlen, die keine mehr sind, auch keine kostenlose Medienöffentlichkeit mehr ziehen. Andererseits kann er viel Geld aus der Wahlkampfkasse bei Auftritten in Bundesstaaten sparen, die bei der Wahl im November unbedeutend sind. Es liegt jetzt an den Demokraten, Trumps zunehmend irre Rhetorik in Stimmen umzumünzen. Wenn die Kongresswahlen 2022 ein Indikator sind, gibt es gute Chancen, eine republikanische Partei, die von ihrem sektenhaften Trump-Kult nicht wegkommt, zu schlagen. Aber ein Selbstläufer ist das nicht." Mit diesem Kommentar aus der TAZ endet die Presseschau.