27. Januar 2024
Die Presseschau aus deutschen Zeitungen

Themen sind die bundesweiten Demonstrationen gegen Rechtsextremismus sowie die Chancen der neuen Partei Bündnis Sahra Wagenknecht bei den Wahlen in diesem Jahr. Zunächst aber zum Krieg im Nahen Osten. Der Internationale Gerichtshof fordert Israel auf, mehr für den Schutz der Zivilbevölkerung zu tun, verlangt aber keinen sofortigen Stopp des Militäreinsatzes.

Israels Premier Benjamin Netanyahu (Mitte) hört Energieminister Israel Katz und Justizminister Yariv Levin (li.) zu. Mit in der Knesset auch der Nationale Sicherheitsberater Itamar Ben-Gvir.
Israels Premier Netanjahu habe einen Etappensieg erreicht, meint die Volksstimme aus Magdeburg. (picture alliance / ASSOCIATED PRESS / Maya Alleruzzo)
Die VOLKSSTIMME aus Magdeburg betont: "Die Hardliner in Jerusalem sind vorerst davongekommen. Der Etappensieg vor Gericht lässt dem israelischen Premier Benjamin Netanjahu freie Hand im Krieg gegen die Hamas in dem überbevölkerten Landstreifen. Seinen Gegnern im eigenen Land kann er den IGH-Spruch unter die Nase halten: Das wichtigste UNO-Justizorgan hat Israel nicht verurteilt!"
Die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG bemerkt: "Obwohl der Gerichtshof kein grundsätzliches Ende des israelischen Militäreinsatzes im Gazastreifen angeordnet hat, wächst mit der Entscheidung der Druck auf Tel Aviv, einen Exit-Plan zu entwickeln. Eine unmittelbare Wirkung dürfte der Richterspruch jedoch nicht entfalten."
Der REUTLINGER GENERAL-ANZEIGER kommentiert: "Israel muss die Zivilbevölkerung in Gaza besser schützen. Das ist die Botschaft der Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag. Die Richter urteilten über den Eilantrag Südafrikas, das von Israel gefordert hatte, die Kampfhandlungen sofort einzustellen. Das verlangt das UN-Gericht nicht. Dennoch ist das Urteil für Israel ein Schuss vor den Bug. Der IGH wird die Völkermordanklage gegen Israel weiter verfolgen. Auch deshalb sollte sich die Regierung in Tel Aviv eine neue, längerfristige Strategie für den Gazastreifen überlegen. Nicht nur, um einer möglichen Verurteilung zu entgehen, sondern auch, weil es mit Waffengewalt allein keinen Frieden in Israel geben kann", notiert der REUTLINGER GENERAL-ANZEIGER.
Die TAGESZEITUNG vermerkt: "Israels Premier Netanjahu hat schon vor dem Urteil erklärt, er werde sich nicht daran halten. Doch die USA, Deutschland und andere Verbündete müssen nun den Druck auf ihn erhöhen, dass er damit nicht durchkommt. Das ist auch im eigenen Interesse. Denn Joe Biden könnte die Wahl in den USA verlieren, wenn er nichts gegen das massenhafte Sterben in Gaza unternimmt."
"Die Richter haben eine Chance verpasst", meint die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG und erläutert: "So nüchtern die amerikanische Gerichtspräsidentin den Sachverhalt vortrug - es war lückenhaft. Zwar wies sie auf den Hamas-Angriff samt Geiselnahme hin. Aber auch wenn es hier nur um ein Eilverfahren und den Schutz vor Völkermord ging: Geschätzte palästinensische Opferzahlen und empathische Appelle der UN allein lassen außer Acht, dass die Gaza bisher beherrschenden und weiter auf Israel feuernden Terroristen kaum ein Krankenhaus, kaum eine Schule und Moschee nicht als Gefechtsstand oder Waffenlager nutzen. Israel wird sich jetzt noch mehr um den Schutz unschuldiger Zivilisten kümmern müssen", folgert die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG.
Der TAGESSPIEGEL aus Berlin führt aus: "Die Definition der Völkermord-Konvention war klar. Und ebenso, dass Israels Vorgehen in Gaza sie nicht erfüllt. Warum hat der Internationale Gerichtshof den Fall überhaupt ernsthaft verhandelt? Weil der globale Süden gegen das internationale Rechtssystem aufbegehrt, das ein Produkt der westlichen Aufklärung ist. Der ungerechtfertigte Völkermord-Vorwurf hat enorme emotionale Mobilisierungskraft entfaltet. Deutschland, die USA und der Westen insgesamt dürfen es nicht dabei belassen, dass der Fall glimpflich endet. Sie müssen dem globalen Süden verdeutlichen, dass der Missbrauch internationaler Gerichte für ideologische Ziele die Rechtsordnung und ihre Bindewirkung beschädigt," argumentiert der TAGESSPIEGEL.
Weiterhin viel kommentierte Themen sind der Umgang mit der AfD und die bundesweiten Demonstrationen gegen Rechtsextremismus: Die SÄCHSISCHE ZEITUNG aus Dresden schreibt über die Stimmung in dem ostdeutschen Bundesland: "So viel Bewegung wie in den vergangenen Tagen hat es in Sachsen lange nicht mehr gegeben. So viele Demonstrationen gegen Rechtsextremismus, an so vielen Orten, und so viel Zuspruch selbst in kleinen und kleinsten Städten: Pirna, Görlitz, Meißen, Döbeln, Radeberg. Also dort, wo es viel schwerer ist, sich gegen die AfD zu bekennen, weil Gesicht zeigen, tatsächlich Gesicht zeigen heißt. Die große Stimmungswende, die manche Beobachter hier schon erkennen wollen, ist das sicher nicht. Aber es dreht sich etwas im Land. Das darf Mut machen. Gerade jenen, die vielleicht mutlos geworden sind, weil trotz ihres Engagements die AfD von Umfragehoch zu Umfragehoch eilt", unterstreicht die SÄCHSISCHE ZEITUNG.
Der MANNHEIMER MORGEN fragt: "Was, wenn Demonstrationen keinen einzigen AfD-Sympathisanten davon abbringen, den Antidemokraten die Stimme zu geben? Dann gibt es zwei Wege. Der erste: Selbst wählen gehen. Schon jetzt ist davon auszugehen, dass die Kommunal- und Europawahlen am 9. Juni enttäuschende Beteiligungen hervorrufen werden. Wer die Grundlagen des friedlichen Miteinanders erhalten will, muss sein Stimmrecht nutzen. Was daran ist so schwer zu verstehen? Der zweite Weg: Gute Politik."
Die FRANKFURTER RUNDSCHAU kommentiert mit Blick auf den heutigen Holocaust-Gedenktag: "Kaum jemand hätte sich vorstellen können, welche Aktualität der Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus knapp 30 Jahre nach seiner Einführung haben würde. Die Menschen sind beunruhigt. Zu Recht. Es ist weniger der Gedenktag, der sie zum Demonstrieren veranlasst, als die aktuelle Gefahr, die viele an die historische Erfahrung erinnert. Doch es passt, dass das Gedenken an die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz am 27. Januar 1945 und die Demonstrationen zusammenfallen. Es ist bemerkenswert, dass auch jetzt, beim Kampf gegen autoritär-nationalistische Kräfte, die Zivilgesellschaft den Ton angibt. Es sind örtliche Klimaschutzorganisationen, Studierendengruppen und andere Initiativen, oft auch alteingesessene Netzwerke gegen rechts, von denen die aktuellen Demonstrationen gegen Rechtsextremismus ausgehen. Sie werden langen Atem brauchen. Denn so, wie sich die politische Auseinandersetzung zuspitzt, muss jeder Tag ein Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus werden", betont die FRANKFURTER RUNDSCHAU.
In den NÜRNBERGER NACHRICHTEN heißt es: "Wenn sich Geschichte nicht wiederholen soll, dann braucht es nicht Hass - den gab es damals genug. Sondern mehr Geschlossenheit der Demokraten, die sich nicht gegenseitig niedermachen, sondern mit kühlem Kopf Rechtsnationalen und neuen Nazis die Stirn bieten sollten."
Das neue Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) kommt heute in Berlin zum ersten Parteitag zusammen. Dort sollen auch Programm und Kandidaten für die Europawahl am 9. Juni bestimmt werden. Die LAUSITZER RUNDSCHAU aus Cottbus befindet: "Noch sind die Umfragen mit Vorsicht zu genießen. Aber es häufen sich Ergebnisse, die nahelegen, dass die Wagenknecht-Partei bei der Europawahl gut abschneiden und bei den Wahlen in Ostdeutschland deutlich über fünf Prozent kommen könnte. Dass die Programmatik der Wagenknechte, vorsichtig ausgedrückt, eher schwammig ist, wird der neuen Partei erst einmal nicht schaden. Für Vernunft und Gerechtigkeit kann jeder sein, für den Frieden auch und darüber, dass die Ampel-Regierung nichts taugt, herrscht im Land große Einigkeit. Und das Beste: Die neue Partei ist weder rechts noch links", meint die LAUSITZER RUNDSCHAU.
Die AUGSBURGER ALLGEMEINE konstatiert: "Eines haben die Umfragen gemeinsam: Die neue Partei wird der AfD bislang kaum gefährlich. Im Bund bleibt die AfD zweitstärkste Kraft, in den ostdeutschen Bundesländern hat sie mit Ausnahme Berlins und Sachsen-Anhalts klar die höchsten Werte. Am meisten nimmt Wagenknechts Abspaltung ihrer alten Partei, der Linke, weg. Verstetigt sich dieser Trend, verschlechtern sich die Chancen für Thüringens Linke-Ministerpräsident Bodo Ramelow gewaltig, sein Amt verteidigen zu können", prognostiziert die AUGSBURGER ALLGEMEINE zum Ende der Presseschau.