21. Februar 2024
Die Presseschau aus deutschen Zeitungen

Mit Kommentaren zur Diskussion um die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine und zur Wahl der neuen Linken-Doppelspitze im Bundestag. Zunächst geht es aber um die Anhörung vor dem Londoner High Court im Fall Assange.

Eine Frau steht vor dem High Court in London und hält ein Schild mit der Aufschrift "Free Assange".
Vor dem High Court in London demonstrieren Menschen für die Freilassung von Julian Assange. (dpa / AP / Kirsty Wigglesworth)
Die LAUSITZER RUNDSCHAU schreibt dazu: "Längst geht es bei Julian Assange um die Pressefreiheit an sich, in den USA und in Europa. Sollte er wegen Spionage angeklagt werden, könnte man genauso gut die Spiegel-Reporter vor Gericht zerren, die die von Assange gesammelten Geheimpapiere veröffentlicht hatten. Und mit ihnen alle anderen Journalisten, die in Zukunft geheime US-Dokumente veröffentlichen. Präsident Obama verzichtete deshalb auf eine Anklage wegen Spionage. Anders Donald Trump, unter dessen Regierung die Pressefreiheit weniger galt. Umso bedauerlicher ist es, dass Joe Biden die Anklage nicht zurückgezogen hat. Ebenso bedauerlich ist die Rolle von Außenministerin Annalena Baerbock, die vor der Bundestagswahl noch die Freilassung Assanges forderte, was als Außenministerin für sie kein Thema mehr war", kritisiert die LAUSITZER RUNDSCHAU aus Cottbus.
Die WELT kommentiert: "Assange steht in doppelter Weise dafür, warum Worte wie Pressefreiheit und Rechtsstaatlichkeit in weiten Teilen der Welt einen schalen Beigeschmack bekommen haben: durch die Kriegsverbrechen der USA im Irak und Afghanistan, die er als Wikileaks-Gründer aufgedeckt hat. Und durch den Rachefeldzug der US-Behörden gegen den Überbringer der Botschaft, bei dem sich die britische und die schwedische Justiz – Stichwort: fingierte Vergewaltigungsvorwürfe – zu Handlangern degradieren ließen", heißt es in der WELT.
"Im Kern geht es nicht um Assange allein", meint der KÖLNER STADT-ANZEIGER: "Wollen sich die aus vielerlei Gründen schwer unter Druck geratenen Demokratien des Westens gegen die weltweit erstarkenden Autokratien behaupten, dann müssen sie sich an ihre eigenen rechtsstaatlichen und menschenrechtlichen Standards halten. Im Umgang mit Julian Assange werden diese Standards im Ergebnis elementar verletzt."
Auch die NÜRNBERGER NACHRICHTEN stellen fest: "Wie der Westen mit Julian Assange umgeht, das ist schon lange die Nagelprobe dafür, wie ernst diesem Westen die Beschwörung seiner Werte und seiner Rechtsstaatlichkeit ist: Assange ist sozusagen unser Nawalny. Beide taten ähnliches. Nawalny enthüllte Korruption und Exzesse der Diktatur in Russland. Assange legte 2010 Kriegsverbrechen der USA im Irak und in Afghanistan offen. Und, man muss es leider so konstatieren: Der Westen, der sich in aller Regel mit seinem Rechtsstaats-Prinzip abhebt von Diktaturen, geht mit Assange schlecht um - besser zwar als Putins Willkür-Regime mit Nawalny, aber menschenunwürdig bis lebensgefährdend. Und das ist eine Schande", urteilen die NÜRNBERGER NACHRICHTEN.
"Vergleiche mit Nawalny verbieten sich", unterstreicht hingegen die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG: "Julian Assange wird von einem Rechtsstaat gesucht und wehrt sich in einem anderen Rechtsstaat gegen seine Auslieferung. Man sollte auch nicht so tun, als sei die Veröffentlichung geheimer Dokumente per se eine Heldentat. Auch Journalisten können sich strafbar machen. Die Pressefreiheit ist wichtiges Grundrecht; es gibt aber auch andere Werte von Verfassungsrang. Transparenz erfüllt eine wichtige Kontrollfunktion im pluralen Gemeinwesen, Transparenz kann aber auch Menschenleben gefährden. So lautet ein Vorwurf gegen Assange. Andererseits bestand und besteht zweifellos ein überragendes öffentliches Interesse daran, Kriegsverbrechen aufzuklären", überlegt die F.A.Z.
Die Ampel debattiert über eine Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine. Im Bundestag fordern die Fraktionen von SPD, Grünen und FDP die Lieferung von "weitreichenden Waffensystemen", gehen in ihrem Antrag aber nicht konkret auf Taurus-Systeme ein. Das sorgt in Teilen der FDP für Unmut, etwa bei Verteidigungspolitikerin Strack-Zimmermann. Die RHEINISCHE POST beobachtet: "Strack-Zimmermann hat die Koalitionsfraktionen zwar vor sich hergetrieben, sich am Ende aber insbesondere gegen die SPD nicht durchsetzen können. Und so schert sie nun aus, setzt sich in Szene und will für einen Taurus-Antrag der Union stimmen. In der Ampel macht sie sich damit wohl kaum Freunde, als FDP-Spitzenkandidatin für die Europawahl könnte sie sich weiter profilieren", analysiert die RHEINISCHE POST aus Düsseldorf.
Die PFORZHEIMER ZEITUNG führt mit Blick auf das Zögern der Bundesregierung bei der Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an: "Bundeskanzler Scholz fürchtet offenbar, ihr möglicher Einsatz gegen Ziele auf russischem Gebiet könnte Deutschland aus russischer Sicht zur Kriegspartei machen. Doch wird Putin in der Ukraine nicht gestoppt, könnten weitere Länder Ziel seiner imperialistischen Gelüste werden."
In der BADISCHEN ZEITUNG aus Freiburg ist zu lesen: "Das Zögern beim Taurus wirkt befremdlich. Dass die Ukraine damit russisches Territorium angreift, kann man ausschließen. Kiew ist auf weitere Hilfe angewiesen. Aber es geht in der Taurus-Frage eben längst um Innenpolitik. Eine Koalitionskrise aber nützt der Ukraine nichts."
"Ist Olaf Scholz wirklich noch der Richtige im Kanzleramt?", fragt die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG. "Angezählt ist der Kanzler ohnehin. Der Ukraine-Antrag der Ampel-Fraktionen offenbart großes Misstrauen in die Kompetenz des Kanzlers, im russischen Angriffskrieg noch die richtigen Entscheidungen zu fällen. So wird das Restvertrauen der Bevölkerung in die Regierungsfähigkeit von Scholz noch weiter ausgehöhlt."
Auch der MÜNCHNER MERKUR notiert: "In atemberaubendem Tempo zerfällt die Autorität des Kanzlers in der Ampelkoalition. Teile der FDP kündigen an, im Bundestag mit der Union für die Taurus-Lieferung an Kiew zu stimmen – ein unerhörter Vorgang und Affront gegen Olaf Scholz. Zugleich blockieren die Grünen das mit SPD und FDP vereinbarte Bundesgesetz zur Bezahlkarte für Asylbewerber. Und SPD-Fraktionschef Mützenich brüskiert den eigenen Kanzler und die FDP, indem er die von beiden abgelehnte Aufhebung der Schuldenbremse auf die Tagesordnung setzt. Der Kanzler steht vor den Trümmern seiner Politik – und bald vermutlich auch seiner Regierung", vermerkt der MÜNCHNER MERKUR.
Die Linken im Bundestag haben eine neue Doppelspitze. In zwei Kampfabstimmungen mit knappen Ergebnissen wurden Heidi Reichinnek und Sören Pellmann gewählt. Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG stellt fest: "Eines muss man der Linken schon lassen: Wann immer man denkt schlimmer könne es ja nun nicht mehr kommen, erklimmt die Partei geradezu spielerisch eine neue Chaos-Stufe. So lief, natürlich, auch die Wahl der Gruppenvorsitzenden mit dem größtmöglichen Drama ab. Und dabei wurde deutlich: Sahra Wagenknecht mag die Linke verlassen haben, die inneren Gräben der Partei sind immer noch da. Trotzdem könnten alle Beteiligten jetzt beweisen, dass sie in der Lage sind, auch jahrelange Fehden hinter sich zu lassen, um die Linke in bessere, konstruktivere Zeiten zu führen. Es ist vielleicht die letzte Chance", glaubt die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG.
In der Zeitung ND.DER TAG ist zu lesen: "Wie Die Linke wieder eine wirkungsvolle politische Kraft werden kann – die neue Bundestagsgruppe trägt diese unbeantwortete Frage genau so in sich wie zuvor die Fraktion. Und dann ist da noch das schwierige Verhältnis zwischen Partei- und Gruppenführung. Die Bundestagsgruppe wird nun angeführt von zwei Leuten, die auch gerne Parteivorsitzende geworden wären, mit hörbar anderen Akzenten als Wissler und Schirdewan. Da bleiben Reibungsflächen. Die kann man politisch produktiv machen. Oder man kann zurückfallen in Denkmuster von Sieg und Niederlage. Das hatte Die Linke lange genug, ohne Erfolg. Denn Sieger wird es dabei nicht geben. Es sei denn, man betrachtet es als Erfolg, sich im innerparteilichen Kampf totzusiegen", befindet ND.DER TAG.