02. März 2024
Die Presseschau aus deutschen Zeitungen

Außenpolitisch geht es um die Beerdigung des Kremlkritikers Nawalny und um die Schüsse während einer Hilfslieferung im Gazastreifen mit vielen Toten. Innenpolitisch steht die Bezahlkarte für Asylbewerber im Blickpunkt, die das Bundeskabinett beschlossen hat.

Moskau: Auf diesem vom Nawalny-Team veröffentlichten Foto erweisen Angehörige und Freunde Nawalnys am offenen Sarg dem russischen Oppositionsführers die letzte Ehre.
Die Trauerfeierlichkeiten für den Kremlkritiker Alexej Nawalny (Uncredited / Navalny Team / AP / dpa / Uncredited)
Zum ersten Thema meint die LUDWIGSBURGER KREISZEITUNG, Russlands Präsident Putin habe seinen schärfsten Kritiker vernichtet, und seine Rache verfolge Nawalny bis in den Tod. "Nicht einmal in der Trauer sind die Menschen frei, die dem letzten namhaften Oppositionellen nahestanden, und die sich ihm verbunden fühlen. Seine Familie, Freunde und Mitstreiter wurden vom Kreml-Regime schikaniert und eingeschüchtert. Wie erbärmlich!"
"Putin hat panische Angst vor kritischen Simmen", heißt es im REUTLINGER GENERAL-ANZEIGER: "Deshalb hat der Kremlchef seinen schärfsten Kritiker Nawalny ins Arbeitslager gesteckt. Und weil von dort immer noch zu viel Wirkkraft von ihm ausging, ließ Putin ihn ermorden. Das ist zwar nicht erwiesen. Es spricht aber viel dafür. Doch von Nawalny ging eine Idee aus. Eine Idee von Freiheit und Demokratie. Und die lebt auch nach dem Tod des Kremlkritikers weiter. Das bewiesen die Tausenden, die trotz Drohungen des Staates zu seiner Beerdigung erschienen. Das wird Putin, dessen Macht auf absoluter Kontrolle, Gewalt und Repression fußt, große Sorgen bereiten. Denn diese Menschen ließen sich von den Drohungen Putins - der Menschen in den Knast steckt, weil sie den Krieg gegen die Ukraine als solchen bezeichnen - nicht beeindrucken. Ein starkes Zeichen und Ausdruck größter Zivilcourage", findet der REUTLINGER GENERAL-ANZEIGER.
Ähnlich sieht es der SÜDKURIER aus Konstanz: "Russland sei seine Heimat, dort wolle er etwas verändern, sagte Nawalny, bevor er dorthin zurückkehrte, wo Handschellen und Strafkolonie auf ihn warteten. Jetzt, anderthalb Jahre danach, zeigt bei seiner Beisetzung das freiheitliche und demokratisch gesinnte Russland mutig Flagge. Nawalny konnte in seiner Heimat aktiv nichts verändern. Aber seine Rückkehr trägt letztlich doch Früchte. Wenn allein in Moskau tausende Anhänger Nawalnys keine Polizeiknüppel fürchten, so wird ihre Zahl in ganz Russland ein Vielfaches sein. Putin fürchtet sie. Nicht von ungefähr hat er in seiner Rede an die Nation das kommende Russenparadies an die Wand gemalt", betont der SÜDKURIER.
Für die RHEIN-NECKAR-ZEITUNG war das Erstaunlichste am Leben Nawalnys seine Beharrlichkeit: "Dass er nach der nur knapp überstandenen Vergiftung zurückkehrte in seine Heimat, wohlwissend, dass er noch am Flughafen verhaftet werden würde und die Haft womöglich nicht überleben würde. Ein Leben für eine Idee. Nawalny besaß – abseits einer ideologischen Verklärung – den Mut, Putin herauszufordern. Alles Weitere liegt in den Händen der Menschen in Russland. Werden sie aufbegehren? Geben sie sich mit Putins Vision eines Wohlstandslandes zufrieden? Dieser Ausgang ist völlig offen", ist in der RHEIN-NECKAR-ZEITUNG aus Heidelberg zu lesen.
Neues Thema. Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG schreibt zu dem Vorfall im Gazastreifen mit vielen Toten während einer Anlieferung von Hilfsgütern: "Es ist Vorsicht geboten mit schnellen Urteilen über das, was im Gazastreifen derzeit passiert. Die Dynamik in Kriegsgebieten, wo schwerbewaffnete Soldaten Zivilisten gegenüberstehen, von denen sie nicht wissen, ob Terroristen darunter sind oder nicht, ist von außen kaum nachzuvollziehen. Sicher ist jedenfalls, dass sich ein menschliches Drama von schwer erträglichem Ausmaß abgespielt hat. Fakt ist, dass die humanitäre Lage im Norden des Gazastreifens so verheerend ist, dass Tausende Menschen Hilfskonvois plündern und ihr Leben im Gedränge riskieren, um einen Sack Mehl zu ergattern. Für diese Lage trägt Israel mit Verantwortung", unterstreicht die F.A.Z.
Die LEIPZIGER VOLKSZEITUNG verlangt eine genaue Untersuchung des Vorfalls: "Eine bloße Rückschau hilft den vom Krieg Betroffenen nicht weiter. In Wahrheit müssen schon jetzt Konsequenzen gezogen werden – nicht irgendwann. Israel muss schon im eigenen Interesse endlich auf die Bremse treten: Gaza braucht eine Feuerpause. Die Konvoi-Katastrophe wird hoffentlich ein Kipppunkt sein. Sollte Israels Premier Netanjahu uneinsichtig bleiben, müssen USA und EU ihm auf eine neue Spur helfen. Bei allem Entsetzen nach diesem Zwischenfall gibt es jetzt immerhin ein Gutes: Die Welt guckt wieder hin", betont die LEIPZIGER VOLKSZEITUNG.
Dieser Meinung schließt sich die LAUSITZER RUNDSCHAU aus Cottbus an: "Ob die israelischen Soldaten tatsächlich in Notwehr geschossen oder bewusst auf Zivilisten gezielt haben, muss nun eine Untersuchung klären. Am besten eine, die von einer unabhängigen Stelle geleitet wird. Allerdings, das muss man festhalten, gibt es in diesem Konflikt kaum noch unabhängige Stellen. Nicht einmal die Vereinten Nationen verhalten sich hier neutral. Für die schon weit gediehenen Verhandlungen um eine humanitäre Waffenruhe bedeutet der Vorfall einen Rückschlag. Und er wirft nicht zuletzt die Frage auf, wie während einer Feuerpause solche Hilfslieferungen geschützt werden sollen, damit sie bei der hungernden Zivilbevölkerung landen – und nicht bei Hamas-Terroristen", hebt die LAUSITZER RUNDSCHAU hervor.
Aus Sicht der TAGESZEITUNG - TAZ - steht unabhängig vom genauen Ablauf des Vorfalls fest: "Dass es überhaupt zu einem Massenansturm verzweifelter Menschen auf einen Hilfskonvoi kam, zeigt, wie ernst die Warnungen sämtlicher großer Hilfswerke zu nehmen sind. Seit Wochen warnen sie vor dem Hungertod der Menschen. Seit Wochen klagen sie, dass es kaum noch möglich ist, Hilfe zu leisten – und zwar wegen genau dieser unkontrollierbaren Menschenmengen, Chaos bei der Essensverteilung, Überfällen auf Hilfskonvois und Plünderungen. All das ist nicht neu. Das Welternährungsprogramm musste seine Hilfe für Nord-Gaza daher komplett einstellen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis etwas schiefläuft." Soweit die TAZ.
Die BADISCHE ZEITUNG stellt die Frage nach der Verhältnismäßigkeit von Netanjahus Vorgehen im Gazastreifen, "die noch häufiger gestellt und mit 'Nein' beantwortet werden muss als bisher. Darüber gerät aus dem Blick, dass der perfide Plan der Hamas aufzugehen droht. Das Massaker und die Geiselnahme vom 7. Oktober? Vergessen. Indem die Terroristen die eigene Bevölkerung als Schutzschild missbrauchen, provozieren sie zivile Opfer, die Israel ins Unrecht setzen", gibt die BADISCHE ZEITUNG aus Freiburg zu bedenken.
Mit der bundesgesetzlichen Regelung für eine einheitliche Bezahlkarte für Asylbewerber, die vom Kabinett in Berlin beschlossen wurde, befasst sich die FRANKFURTER RUNDSCHAU. Sie sieht nun die Länder und Kommunen in der Pflicht: "Überall werden Verfahren und Regeln erdacht und erprobt. Dabei wird nicht nur ein Flickenteppich entstehen. Der Verwaltungsaufwand für die Behörden wird zudem unnötig viel Geld und Personal benötigen. All das wird begründet mit dem Ziel, die Zahl der Asylsuchenden zu senken. Dabei ist es verwegen zu behaupten, Menschen würden von der Flucht nach Deutschland abgeschreckt, wenn sie eine Karte statt Bargeld erhielten. Ihre Versorgung muss sich danach ausrichten, was sie brauchen. Für kleine Ausgaben muss auch Bargeld zur Verfügung stehen." Wir zitierten die FRANKFURTER RUNDSCHAU.
Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG ist anderer Meinung: "Mag es auch keine gesicherten Daten geben, wer wie viel Geldin die Heimat schickt – es kommt aber vor, und es ist nicht der Zweck von Sozialleistungen. Wenn die Bezahlkarte also einen weiteren Anreiz für Migranten bietet, schnell eine reguläre Arbeit anzustreben und mit dem selbst verdienten Gelddann zu tun, was man will: warum nicht? Nur sollte der Staat dann auch so ehrgeizig sein, Voraussetzungen dafür zuschaffen. Nach wie vor gibt es zu wenig Deutschkurse, nach wie vor ist die Anerkennung ausländischer Abschlüsseschwierig", hält die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG zum Abschluss der Presseschau fest.