22. März 2024
Die Presseschau aus deutschen Zeitungen

Mit Kommentaren zu den geplanten EU-Beitrittsverhandlungen mit Bosnien-Herzegowina, zum Atomgipfel in Brüssel und zum Zustand der Deutschen Bahn. Zunächst aber geht es um die geplante Teil-Legalisierung von Cannabis, mit der sich heute der Bundesrat befasst.

Zwei Hände drehen einen Joint.
Der Bundesrat befasst sich heute mit der geplanten Teil-Legalisierung von Cannabis. (Picture Alliance / dpa / Fabian Sommer)
Dazu schreibt die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG: "Selten stand eine Sitzung des Bundesrates so im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit. Bundesgesundheitsminister Lauterbach hat das Kunststück vollbracht, das Gesetz so zu trimmen, dass die Länder die gesundheits- und sicherheitspolitische Geisterfahrt nicht stoppen, sondern bestenfalls verlangsamen können. Und selbst das ist nicht sicher. Die Grünen dürften über ihre Beteiligung an vielen Landesregierungen dafür sorgen, dass im Bundesrat nicht genug Stimmen zusammenkommen, um den Vermittlungsausschuss anzurufen. Doch sollten am Ende nicht nur sie politisch für die Folgen geradestehen müssen, sondern auch die Bundespolitiker der SPD von Lauterbach bis Innenministerin Nancy Faeser, die sich ihnen wider besseres Wissen nicht entgegengestellt haben", fordert die F.A.Z.
"Die kontrollierte Legalisierung von Cannabis lässt sich kaum noch aufhalten", führt die VOLKSSTIMME aus Magdeburg an. "Wer das Gesetz gänzlich blockieren will, muss die demokratischen Spielregeln enorm ausreizen, wenn nicht sogar brechen. In einzelnen Punkten haben die Cannabis-Gegner durchaus recht. Das Gesetz ist nicht perfekt und vieles noch nicht geklärt. Teilweise wird aber so getan, als wäre in der aktuellen Cannabis-Politik alles in Butter. Die Chance ist einmalig, in der Cannabis-Politik eine Kehrtwende zu machen und einen neuen Ansatz auszuprobieren – weg von der Kriminalisierung hin zur Verantwortung", betont die VOLKSSTIMME.
Die RHEIN-NECKAR-ZEITUNG hält fest: "Ein 'Gegenargument' wirkt völlig aus der Zeit gefallen: Die Überforderung der Justiz. Weil Gerichtsakten immer noch nicht vollständig digitalisiert sind, fürchtet der Richterbund 100.000 Überstunden bei der Aufarbeitung der Altfälle. Mag ja sein. Aber die verschlafene Digitalisierung kann doch nicht allen Ernstes ein Argument dafür sein, um Menschen etwa für eine Tat im Gefängnis zu behalten, die der Gesetzgeber nicht mehr als strafwürdig ansieht. Womöglich zeugen die Bedenken aber auch von einer grundsätzlichen Ablehnung. Dann sollte das aber auch so gesagt werden", verlangt die RHEIN-NECKAR-ZEITUNG aus Heidelberg.
Die Deutsche Bahn hat ihre Bilanz für das vergangene Jahr vorgestellt. Der KÖLNER STADT-ANZEIGER kommentiert: "Die Bahn steckt ganz tief drin im Tal der Tränen. Und es ist unklar, wann sie wieder herauskommt. Vermutlich ist es so wie bei einer ICE-Fahrt zwischen Berlin und Köln: Es dauert an jeder erdenklichen Stelle der Strecke länger und länger und länger. Ein Hoffnungsschimmer aber steht auch in der Bahn-Bilanz. Die steigenden Fahrgastzahlen im Fernverkehr zeigen: Selbst im aktuellen Jammerzustand wird Bahnfahren immer beliebter. Die Kundschaft ist also ausreichend leidensfähig", notiert der KÖLNER STADT-ANZEIGER.
Die Politik müsse stärker die Richtung vorgeben und den Konzern von Grund auf neu aufstellen, betont die LUDWIGSBURGER KREISZEITUNG: "Die Zahl der Häuptlinge muss reduziert und die Belegschaft motiviert werden, damit sie die Erneuerung unterstützt. Dazu kann eine Einigung im Tarifkonflikt mit den Lokführern, die hoffentlich bald gelingt, einen Beitrag leisten. Das wird teuer für die Bahn. An manchen Stellen wird der Rotstift angesetzt werden müssen. Anfangen sollte man bei den Boni."
"Die DB muss sich geradezu neu erfinden, um den logistischen Ansprüchen im Land gerecht zu werden", meint auch die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG. "Das wird nur gelingen, wenn der Kunde wieder König ist, der Konzern sich also stärker an den Bedürfnissen der Menschen orientiert. Über Jahrzehnte haben Politik und Management die Züge auf Verschleiß fahren lassen. Es mangelte an Weitblick, mithin einer Vision für die Zukunft der Bahn. Es wird Zeit, dass sich das ändert – damit nicht auch künftig allein bei der Erwähnung des Namens Deutsche Bahn alle Welt lacht. Die Erfahrungen der Vergangenheit lassen aber leider nichts Gutes erwarten", befürchtet die N.O.Z.
Dass die Finanzierung der Bahn für die nächsten Jahre gesichert sei, liege auch an Bundesverkehrsminister Wissing, schreibt die TAGESZEITUNG: "Seine strategische Linie in puncto Bahn lässt sich schnell herunterbrechen: Die Bahn soll endlich sanieren und sich aufs Kerngeschäft konzentrieren. Klar, Wissing hat sich in den Tarifkonflikt zwischen Bahn und GDL einmal zu oft eingemischt. Er krallt sich auch an geplatzte Träumen wie den Verbrennungsmotor. Ganz grundsätzlich ist er zudem ziemlich fantasielos, was die Verkehrswende angeht. Aber bei der Sanierung der Bahninfrastruktur geht es auch seinetwegen zum ersten Mal seit Jahrzehnten in die richtige, pragmatische Richtung: Der Kampf mit dem veralteten Schienennetz steht nun endlich oben auf der Liste." Soweit die TAZ.
Die EU hat für Beitrittsverhandlungen mit Bosnien-Herzegowina gestimmt. Die FRANKFURTER RUNDSCHAU schreibt dazu: "Die Nominierung der Ukraine zum Beitrittskandidaten im Dezember war ein politisches Signal, und genauso sind die Gespräche mit Bosnien-Herzegowina politisch motiviert. Die EU hat begriffen, dass sie sich aus geostrategischen Gründen langwierige Aufnahmeprozeduren nicht mehr leisten kann, nachdem Russland die Ukraine überfallen hat. Gerade Bosnien-Herzegowina mit der Republik Srpska ist anfällig für russische und andere Einflussnahmen. Die Gespräche sollten dazu führen, innenpolitische Patts endgültig aufzulösen und gleichzeitig in Brüssel Schranken einzuziehen. Böse Überraschungen wie mit dem ewig blockierenden Ungarn dürfen sich nicht wiederholen", mahnt die FRANKFURTER RUNDSCHAU.
Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG stellt fest: "Bosnien-Herzegowina ist bis heute vom eingefrorenen Krieg der Neunzigerjahre geprägt. Und von einer provisorischen, auf der US-Militärbasis Dayton beschlossenen Verfassung, die manche der damaligen Kriegsziele – etwa die ethnische Spaltung – zu Grundlagen seiner Staatlichkeit macht. In einem der beiden Landesteile regiert obendrein ein kremlnaher Separatist, der nichts unversucht lässt, dieses notdürftige Staatskonstrukt in seinen Zerfall hineinzusabotieren. Dass ein Land in solchem Zustand auch nur annähernd bereit wäre für eine EU-Mitgliedschaft, denkt in Brüssel niemand ernsthaft", glaubt die SÜDDEUTSCHE.
Abschließend noch zwei Stimmen zum Atomgipfel in Brüssel. 30 Staaten wollen sich für einen beschleunigten Ausbau von Atomkraftwerken einsetzen. Die SÜDWEST PRESSE überlegt: "Dass so viele Industrienationen ihre Chips auf ein anderes Feld legen als die Deutschen, sollte zu denken geben. Ein Comeback der Kernenergie hierzulande ist nach dem Hin und Her der vergangenen Jahre dennoch kaum vorstellbar, auch wenn die Union damit kokettiert, im Falle eines Wahlsieges wieder Reaktoren ans Netz zu bringen. Oder geht vielleicht doch noch was? Dass ausgerechnet am Tag des Nukleargipfels ein grün geführtes Bundesamt eine Studie veröffentlicht, wonach neuartige Reaktoren unrealistisch seien – alle anderen außer Deutschland also auf dem Holzweg sind -, zeigt, dass man vom eigenen Sieg im Kampf gegen die Kernkraft noch nicht überzeugt ist. Sollten die Pläne der anderen Staaten aufgehen, drohen dem deutschen Anti-Atom-Lager die Argumente auszugehen", heißt es in der SÜDWEST PRESSE aus Ulm.
"Was die Länder ausblenden, ist der strahlende Abfall", gibt die BADISCHE ZEITUNG zu bedenken. "Nach jetzigem Stand der Technik lässt sich der radioaktive Müll nicht weiterverwenden und muss sicher verwahrt werden. Nur Finnland hat ein nutzbares Endlager. Dabei ist unklar, ob viele neue Atommeiler dem Klima schnell genug helfen. Der Bau herkömmlicher Anlagen dauert zehn Jahre und mehr. Und alternative Atom-Technologien sind, wenn überhaupt, erst in Jahrzehnten marktreif. Das ist deutlich zu spät", warnt die BADISCHE ZEITUNG aus Freiburg.