Dienstag, 21. Mai 2024

30. April 2024
Die Presseschau aus deutschen Zeitungen

Diesmal mit einem Blick nach Spanien, wo Ministerpräsident Sanchez auch weiterhin im Amt bleibt. Vorher aber zwei Inlands-Themen: Der Prozess-Auftakt gegen Reichsbürger in Stuttgart und eine Kundgebung von radikalen Islamisten am Wochenende in Hamburg.

30.04.2024
Ein Demonstrant trägt einen Mundschutz auf dem "Muslim Interaktiv" steht.
Die Organisation "Muslim Interaktiv" wird vom Verfassungsschutz als gesichert extremistisch eingestuft. Sie soll hinter der Kundgebung mit 1.000 Islamisten in Hamburg stehen. (picture alliance / Annette Riedl)
Dazu schreibt die LEIPZIGER VOLKSZEITUNG: "Zwar sind 1.000 Islamisten nicht furchteinflößend – weder für eine Millionenstadt wie Hamburg noch gar für ganz Deutschland. Dass zwischen Hauptbahnhof und Außenalster ungehindert und ungestraft Parolen umhergetragen werden können wie 'Deutschland ist eine Wertediktatur' und 'Kalifat ist die Lösung', ist dennoch unerträglich und erfordert eine massive Reaktion des Staates", fordert die LEIPZIGER VOLKSZEITUNG.
Die PFORZHEIMER ZEITUNG vermisst ein entschiedenes Vorgehen der Polizei schon bei der Kundgebung selbst: "Setzte die angeblich wehrhafte Demokratie dem Spuk ein Ende? Keineswegs. Die Staatsmacht beobachtete die Versammlung und schützte die Grundrechte der Schreihälse, die die Mehrheitsgesellschaft verachten und das Grundgesetz als Wertediktatur ablehnen. Sie nehmen den Staat als schwächlich wahr, und dieser Staat hat sie am Samstag abermals in ihrer Auffassung bestätigt", glaubt die PFORZHEIMER ZEITUNG.  
Die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG kann die Empörung verstehen, warnt aber vor reflexhaften Reaktionen wie dem Ruf nach Abschiebungen: "Viele der Demonstranten in Hamburg dürften hierzulande geboren oder zumindest hier sozialisiert worden sein. Nicht wenige mögen deutsche Staatsbürger sein. Sie können ein Kalifat fordern, so oft sie wollen – abschieben kann man sie nicht. Daher wirft die Kundgebung erneut die dringende Frage auf: Wie lässt sich die Radikalisierung junger Menschen mitten in unserer Gesellschaft stoppen?", überlegt die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG.
Die RHEINISCHE POST warnt vor allem vor einer pauschalen Debatte über Muslime im Allgemeinen: "Denn islamische Kultur und Regeln spielten auf dieser Demo keine wirkliche Rolle. Religion wird hier vor allem als Ersatzidentität missbraucht, als Seelentröster für Kränkungen, Zurückweisungen und dem Gefühl, Bürger zweiter Klasse zu sein. Jetzt rächt sich auch, dass die Politik den Islam letztlich jahrzehntelang als etwas Fremdes betrachtet hat, zu wenig zwischen den sehr unterschiedlichen Menschen muslimischen Glaubens differenziert hat: Entweder wurden alle verteufelt oder selbst radikale Islamisten wurden verharmlost", kritisiert die RHEINISCHE POST, die in Düsseldorf erscheint.
Die TAZ erkennt bei den radikalen Islamisten eine Gemeinsamkeit mit Rechtsextremen, die das ehemalige deutsche Kaiserreich glorifizieren: "Sie eint die vormoderne Sehnsucht nach einem autoritären Staat, in demHierarchien und Tradition bestehen, Männer Männer bleiben und FrauenFrauen. Am Montag konnte man sehen, wohin dieser Pfad führt: im Falle derReichsbürger um Prinz Reuß vor das Oberlandesgericht in Stuttgart."
Dort stehen jetzt neun Reichsbürger vor Gericht, die einen gewaltsamen Umsturz geplant haben sollen. Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG zählt die Vorwürfe gegen die Angeklagten auf: "Marsch auf den Reichstag, Machtübernahme mit Waffengewalt unter Inkaufnahme von Toten. Die 'Reichsbürger'-Szene setzt sich auch aus aktiven und ehemaligen Staatsdienern zusammen, einer Richterin und Soldaten. Ihr Schusswaffenarsenal war offenbar nicht unbeträchtlich, und ihre Pläne gingen deutlich über Phantasien über ein anderes System hinaus. Hier muss der Rechtsstaat klare Kante zeigen", unterstreicht die F.A.Z.
Die PASSAUER NEUE PRESSE mag sich gar nicht vorstellen, was die Angeklagten alles anrichten hätten können: "Waffen für Anschläge hatte die Gruppe jedenfalls genug. Die Gerichte haben nicht darüber zu urteilen, ob ein Staatsstreich durchführbar ist. Sie müssen klären, ob Feinde der Demokratie ihr mit Gewalt ans Leder wollten. Dabei geht es nicht nur um Bundestag oder Bundeskanzler – auch jeder kleine Bürgermeister vor Ort hat es verdient, vom Staat geschützt zu werden". Das war die PASSAUER NEUE PRESSE, die zur MEDIENGRUPPE BAYERN gehört.
Die BADISCHE ZEITUNG sieht erhebliche Herausforderungen für die Sicherheitsbehörden, auch jenseits von Rechts- und Linksextremisten, Islamisten und staatlichen Akteuren, die sie im Blick behalten müssen: "Inzwischen speist sich die Bedrohungslage auch aus einem selbsternannten Widerstandsmilieu, das sich in der Coronapandemie formiert hat und kruden Verschwörungsmärchen anhängt. Einen Teil dieser Blase zu vermessen, ist nun Aufgabe der Justiz. Nur ausreichen wird das nicht. Längst ist das Problem größer, als das man es mit strafrechtlichen Mitteln allein fassen könnte", beobachtet die BADISCHE ZEITUNG aus Freiburg.
Der SPIEGEL richtet unseren Blick nach Spanien und macht dort eine Telenovela aus: "Pedro Sánchez bleibt Ministerpräsident. Er tritt nicht zurück, obwohl er damit nach der Eröffnung von vorläufigen Korruptionsermittlungen gegen seine Frau noch geliebäugelt hatte. Er stellt auch keine Vertrauensfrage. Sánchez macht einfach weiter. Als wäre nichts gewesen. Es gibt nach diesem nervösen, rätselhaften Aufritt des spanischen Ministerpräsidenten zwei Erklärungsansätze. Im ersten Szenario übermannte Sánchez die Sorge um seine Frau, er erwog ernsthaft einen Rücktritt – und ließ sich erst am Wochenende von der Unterstützung seiner Anhänger überzeugen. So stellte Sánchez es selbst dar. Im zweiten Szenario warf Sánchez eine Nebelkerze, um sich eine peinliche Debatte über die Geschäfte seiner Frau zu ersparen – und stattdessen die schmutzigen Methoden seiner Gegner in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken", skizziert der SPIEGEL in einem Kommentar auf seiner Internetseite.
"Sánchez behauptet, er werde angegriffen wie kein spanischer Politiker vor ihm", heißt es in der FRANKFURTER RUNDSCHAU - und weiter: "Das ist nicht wahr. Wahr ist, dass kein Politiker so häufig sein Wort gebrochen hat wie Sánchez. Dass er deswegen kritisiert und gelegentlich beschimpft wird, ist normal. Die spanische Demokratie ist lebendig, zum Glück. Auch wenn es Sánchez und seinen Ministern nicht gefällt."
Nach Einschätzung der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG hat die Kluft zwischen Links und Rechts unter der Regierung Sánchez eine neue Dimension bekommen: "Die Spaltung ist dabei keineswegs Sánchez' Ziel. Doch er nimmt sie in Kauf. Gerne spricht er, wie auch am Montagmorgen bei seiner 'Ich bleibe'-Rede, von 'Respekt', 'Herz' und 'Würde' der spanischen Gesellschaft. Aber es ist schwer, ihm dabei zu folgen – jedenfalls wenn er sich nicht ans Volk wendet, sondern auf die politische Sphäre bezieht, zu der er nun mal selbst gehört. Dort beharkt man sich mit jedem Mittel, und wenn es noch so persönlich wird. Die Gefahr ist, dass das Hickhack auch die Volksseele infiziert. Einem Regierungschef und Staatsmann würde es gut zu Gesicht stehen, zumindest die kompromissbereiten Teile seiner Gegnerschaft einzubinden, statt ihnen immer nur Hass und Falschheit vorzuwerfen", rät die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG.
Für die STUTTGARTER ZEITUNG ist Sánchez macht- und selbstverliebt. Das müsste zwar - Zitat: "kein Problem sein. Er hat nur leider niemanden mehr in seinem Umfeld, der ihn gelegentlich daran erinnert. Wenn er es doch irgendwo zu hören oder zu lesen bekommt, ist deshalb seine Reaktion absehbar: Es sind die Rechten, die Ultrarechten gar, mit denen man nicht redet, sondern die man bekämpft. Spanien hat sich in seiner Geschichte nur selten durch einen Hang zur politischen Mitte ausgezeichnet. Das politische System folgt dem Prinzip der Selbstvergewisserung: Ich stehe auf der richtigen Seite, weil ich Linker bin –  oder weil ich kein Linker bin. Sánchez hat die Polarisierung auf die Spitze getrieben. Nicht aus Überzeugung, sondern weil er ahnt, dass es der sicherste Weg für den Machterhalt ist." Mit diesem Auszug aus der STUTTGARTER ZEITUNG endet die Presseschau.