Sonntag, 19. Mai 2024

06. Mai 2024
Die Presseschau aus deutschen Zeitungen

Der heute beginnende CDU-Bundesparteitag ist ein Thema der Zeitungskommentare. Im Mittelpunkt steht jedoch der Angriff auf den SPD-Europapolitiker Ecke in Dresden.

06.05.2024
Ein Wahlplakat des sächsischen SPD-Spitzenkandidaten zur Europawahl, Matthias Ecke, hängt an der Schandauer Straße im Dresdner Stadtteil Striesen an einem Laternenmast.
Der Angriff auf den SPD-Europaabgeordneten Ecke in Dresden ist ein Kommentarthema in vielen regionalen und überregionalen Zeitungen. (dpa / Robert Michael)
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG meint: "Die brutale Attacke kommt nicht überraschend – leider. Dass der Politiker beim Plakatieren von einem Schlägertrupp junger Männer in SA-Manier schwer verletzt wurde, ist der traurige Höhepunkt in einer Vielzahl von Übergriffen in diesem Wahlkampfjahr. Es ist auch ein direkter Angriff auf die Demokratie. Von rechtsextremer Seite werden Volksvertreter von Union, SPD, Grünen und FDP als 'Volksverräter' denunziert, mit denen nach dem angestrebten Machtwechsel 'abgerechnet' werde. Das Klima der Verrohung, in der solche Taten gedeihen, wächst seit Jahren beständig, und es wird immer giftiger. Innenministerin Faeser denkt nun über 'Schutzmaßnahmen' für Politiker nach. Das klingt nach Weimar", heißt es in der F.A.Z.
Das HANDELSBLATT hebt hervor, es sei - Zitat - ... " ... nachvollziehbar, wenn nun die Innenminister von Bund und Ländern über mögliche Maßnahmen beraten wollen, um Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfer besser zu schützen. Ob allerdings mehr Präsenz der Polizei und ein hartes Durchgreifen gegen anscheinend völlig vom Weg abgekommene Schläger helfen können, darf bezweifelt werden. Einen umfassenden Polizeischutz wird es schlicht nicht geben können. Es wird auch nicht helfen, das eigentliche Problem einzudämmen: die Verrohung des gesellschaftlichen Klimas. Hier sollte sich vor allem die AfD angesprochen fühlen. Seit Beginn ihrer Radikalisierung im Jahr 2015 steht diese Partei für das Gegenteil von gesellschaftlichem Zusammenhalt. Mit ihrer Hetze gegen demokratische Institutionen schafft die AfD den Nährboden für Gewalt gegen Politikerinnen und Politiker", betont das HANDELSBLATT.
"Für die Verrohung sind nicht alle Parteien verantwortlich, sondern vor allem eine", meint auch die MÄRKISCHE ODERZEITUNG aus Frankfurt/Oder. "Es sind führende AfD-Mitglieder, die demokratische Politiker 'jagen' wollen. Die sagen, dass nach ihrem Machtantritt 'aufgeräumt' und 'ausgemistet' wird, oder die, wie im Brandenburger Landtag geschehen, Schläge androhen, die wie die Nazis in der Weimarer Republik gegen den 'Parteienstaat' hetzen oder gleich mit SA-Parolen auftreten. Niemand sollte sich täuschen: Diese Sprache wird von nicht wenigen als Legitimation von Gewalt verstanden."
"Die einen Täter handeln aus dezidiert politischer Motivation, die nächsten aus Frust, im Suff", bemerkt der TAGESSPIEGEL. "Was ist das für eine Gesellschaft, in der sich eine so unterschiedliche Klientel darauf einigen kann, dass es okay sei, Menschen anzugreifen, die sich in der Demokratie engagieren? Aus Worten wird Hass, aus Hass wird Gewalt. Und wo Gewalt das Argument ersetzt, stirbt die Demokratie. An diesem Punkt also befindet sich Deutschland."
Die SÄCHSISCHE ZEITUNG findet deutliche Worte. "Nach dem brutalen Angriff auf den Europa-Spitzenkandidaten der sächsischen SPD zu glauben, dass da gerade etwas am 'Kippen' sei in Sachsen, zeugt von unfassbarer Ignoranz und erschreckender Unwissenheit. Wenn man den verharmlosenden Begriff des 'Kippens' überhaupt verwenden kann, dann ist das bereits vor vielen Jahren geschehen. Aus Worten sind längst Taten geworden. Ob gegen Politiker aller Parteien, gegen Journalisten, gegen Polizisten oder Rettungskräfte, gegen Migranten, gegen Juden oder gegen engagierte Bürgerinnen und Bürger – es gehört zur Ehrlichkeit hinzu, die nun endlich auch der Letzte nicht mehr wegdrücken sollte, um – wie es dann heißt – 'das Land nicht schlechtzureden' – doch, ja, Sachsen hat ein gravierendes Problem", heißt es in der SÄCHSISCHEN ZEITUNG, die in Dresden erscheint.
Zum Durchhalten ruft die LEIPZIGER VOLKSZEITUNG auf. "Die Idioten, die Wahlplakate zerstören, Wahlhelfer bedrohen und ihre eigene intellektuelle Schlichtheit kaum bemessen können, werden das Bundesland nicht auf absehbare Zeit von sich aus verlassen. Sie wollen die Unsicherheit schüren, die anderen mürbe machen. Die Hetzer dürfen trotzdem keine Genugtuung spüren. Das beste Zeichen ist es, trotzig durchzuhalten. Die Solidaritätskundgebungen, die für den Sonntag spontan in Dresden und Berlin angemeldet wurden, atmen diesen Geist."
Und die AUGSBURGER ALLGEMEINE erinnert an die Aussage des Rechtsgelehrten Ernst-Wolfgang Böckenförde. "Demokratie ist verwundbar, weil sie nicht aus sich selbst entsteht. Sie lebt von Voraussetzungen, die sie selbst nicht garantieren kann, lautet die berühmte Formel Böckenfördes. Der freiheitliche Staat fußt auf einer politischen Kultur, in der über Argumente hart gestritten, die Auseinandersetzung aber um der Sache Willen geführt wird und sich nicht gegen den politischen Wettbewerber persönlich richtet. Der Streit muss zivil, mit heruntergekochter Temperatur geführt werden."
Zum nächsten Thema, dem CDU-Bundesparteitag in Berlin. "Das neue Programm offeriert Wählern eine Alternative, die der Ampel überdrüssig sind", analysiert die STUTTGARTER ZEITUNG. "Die christdemokratische Alternative ist im Unterschied zur so firmierenden Partei aber seriös und verfassungstreu. Das ist eine notwendige Voraussetzung, um wieder regierungsfähig zu erscheinen – aber keine hinreichende, um es tatsächlich zu werden. Dafür wird entscheidend sein, mit wem an der Spitze die Union regieren will und mit wem sie sich dazu verbünden würde. Über die Linke zu reden, als handle es sich um einen stalinistischen Traditionsverein, ist weltfremd. Das gilt auch für die Verteufelung der Grünen. Schon bei den Landtagswahlen im Spätsommer wird sich zeigen, ob der Union wirklich zuzutrauen ist, den demokratieschädlichen Zersetzungstendenzen von rechts Paroli zu bieten", bemerkt die STUTTGARTER ZEITUNG.
"Die Debatte über das Kooperationsverbot mit der Linkspartei kommt der Parteiführung sichtlich ungelegen", heißt es in der FRANKFURTER RUNDSCHAU. "Doch Verdrängung wird der CDU nicht helfen, wenn es um die Realität in Thüringen geht. Noch ist man in der Partei ganz euphorisch, weil der CDU-Spitzenkandidat Mario Voigt im Duell gegen den AfD-Rechtsaußen Björn Hocke nicht unterlag. Aber einen Wahlsieg wird es für die Union in dem Bundesland nicht geben. Für den amtierenden Ministerpräsidenten der Linken vermutlich auch nicht. Wie verhindert man den Durchmarsch der AfD, wenn sie wirklich stärkste Kraft werden sollte? Die CDU muss sich mit dem Gedanken vertraut machen, dass die nicht besonders originellen Weisheiten der vergangenen Jahre nicht mehr weiterhelfen. Die Linkspartei mit der AfD gleichzusetzen ist aberwitzig - das war es immer schon. Die Linkspartei, deren Ziele man nicht teilen muss, steht auf dem Boden der Verfassung. Es wird also höchste Zeit, dass sich die CDU bewegt. Und zwar nicht nach rechts." Das war die FRANKFURTER RUNDSCHAU.
"Die Merz-CDU ist keine Merkel-Union mehr", meint der NORDBAYERISCHE KURIER aus Bayreuth. "Sie hat ein Stück konservatives Profil zurückgewonnen, sieht sich in der Opposition wieder als Gegenpart zu den anderen Parteien statt als Koalitionspartner in spe. Ein der bitteren Realität geschuldeter härterer Migrationskurs, eine krisengeschuldete Rückbesinnung auf wirtschaftliche Grundwerte und auf finanzierbar treffgenauere Sozialprogramme – es ist Spekulation, ob Merkel als Parteichefin vieles davon zugelassen hätte. Dass die großkoalitionäre Endphase ihrer Amtszeit nachvollziehbar als Einstieg in viele heutige Probleme gewertet wird, lässt es großen Teilen der CDU und ihrer Spitze obendrein leichtfallen, sich Merkels kühle Schulter nicht zu Herzen zu nehmen."
"Eine 'Zwischenetappe' wird der Parteitag intern genannt", schreibt die LAUSITZER RUNDSCHAU aus Cottbus. "Der Neubeginn wird dort abgeschlossen, danach wird sich alles auf die bevorstehenden Wahlen – erst in Europa, dann in Thüringen, Sachsen, Brandenburg und schließlich im Bund richten. Gut gelaufen sein wird das Delegiertentreffen für den Vorsitzenden Merz, wenn anschließend nicht nur seine Partei, sondern auch er selbst für regierungsfähig gehalten wird."