Montag, 20. Mai 2024

10. Mai 2024
Die Presseschau aus deutschen Zeitungen

Viele Zeitungen kommentieren die Ankündigung der USA, Waffenlieferungen an Israel wegen des geplanten Angriffs auf Rafah zu stoppen, sowie die jüngsten pro-palästinensischen Proteste an deutschen Universitäten. Zunächst aber geht es um die Debatte über eine Wiedereinführung der Wehrpflicht in Deutschland.

10.05.2024
Soldaten der Bundeswehr stehen in Reih und Glied während des Besuchs von Finnlands Präsident Sauli Niinistö bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am 15.11.2023 in Bonn.
Die Debatte über die Wehrpflicht oder ähnliche Modelle hat Fahrt aufgenommen. (picture alliance / Panama Pictures / Christoph Hardt)
Die AUGSBURGER ALLGEMEINE zeigt sich skeptisch: "Eine Wehrpflicht kostet zig Milliarden. Das ist die Sollbruchstelle des CDU-Konzeptes: In Wahrheit atmet es den Geist einer guten, alten, übersichtlichen Zeit, die selbst unter einem Retro-Kanzler Friedrich Merz nicht zurückkommt. Sollte die Union tatsächlich nach der nächsten Bundestagswahl wieder regieren, müsste sie selbst die Zeiten wenden. Und sich fragen, ob man die vielen Milliarden nicht besser investieren sollte, um die Bundeswehr attraktiver für junge Leute zu machen, die dann freiwillig kommen – um zu bleiben", meint die AUGSBURGER ALLGEMEINE.
Ganz anders sieht es die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG: "Die Wehrpflicht ist wieder da, und das ist gut so. Noch ist sie nicht in die Kasernen zurückgekehrt, aber doch schon in die Köpfe und Debatten. Doch bevor auf dem Hof des Bendlerblocks oder vor dem Bundestag wieder Wehrpflichtige vereidigt werden können, müssten noch erhebliche politische Widerstände in der Ampel und auch sachliche Hindernisse überwunden werden. Die deutsche Politik schiebt schwierige und unpopuläre Entscheidungen gerne auf die lange Bank, ganz besonders vor Wahlen. In diesem Fall lässt Putin uns dafür keine Zeit. Wenn das Wort von der Zeitenwende kein leeres Gerede sein soll, dann muss es auch bei der Wehrpflicht eine Wende geben - und die so schnell wie möglich", fordert die F.A.Z.
Die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG wendet sich gegen eine alleinige Wehrpflicht und wirbt stattdessen für eine allgemeine Dienstpflicht: "Dass sich junge Menschen für einen überschaubaren Zeitraum für das Gemeinwesen engagieren sollen, ist richtig. Niemand vergeudet dadurch Lebenszeit, wie es bisweilen suggeriert wird. Es als schweren Eingriff in die Freiheitsrechte zu bezeichnen, wie es Liberale und Linke tun, ist ebenso überzogen. Unsere Gesellschaft hat Vereinzelung und Bindungslosigkeit auf die Spitze getrieben. Die Jugend taucht ab in die digitale Gerätewelt und verdaddelt so die Neugier auf das analoge Leben. Eine allgemeine Dienstpflicht hätte das Zeug, dem entgegenzuwirken; sie setzt nämlich etwas in den Mittelpunkt, das in diesen Zeiten oft verloren zu gehen scheint – den Gemeinsinn und stärkt die Fähigkeit, sich mit Situationen jenseits der Komfortzone arrangieren zu müssen", so die Ansicht der NEUEN OSNABRÜCKER ZEITUNG.
Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG kommt zu folgender Überlegung: "Dass die CDU eine Kehrtwende vollzieht und den eigenen Beschluss von 2011, die Wehrpflicht auszusetzen, kassiert, verdient Respekt. Die Zeiten sind so ernst, dass es hier rasche Entscheidungen braucht, am besten einen großen demokratischen Konsens zwischen Ampelkoalition und Union. Das Modell der CDU, zunächst eine Kontingentwehrpflicht zu schaffen, ist jedoch rechtlich kaum haltbar. Wenn einige dienen müssen, andere nicht, ist das keine Wehrgerechtigkeit. Für alle aber gibt es nicht genügend Kasernen und Ausbilder. Besser, und einfacher umzusetzen, wäre ein SPD-Vorschlag, der schon bei der Aussetzung 2011 gemacht wurde. Alle Männer (und heute eigentlich auch Frauen) werden bei Volljährigkeit erfasst und gemustert. Um die Tauglichsten wird gezielt geworben, aber auf freiwilliger Basis. Mittelfristig könnte dann der zweite Teil des CDU-Parteitagsbeschlusses, ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr, eine Lösung sein. Kanzler Scholz und Verteidigungsminister Pistorius müssen die Debatte jetzt führen – und zu einem Ergebnis bringen", fordert die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG.
Die TAZ geht auf die Ankündigung der USA ein, Israel für einen Angriff auf Rafah keine Waffen zu liefern. "Der Schritt des US-Präsidenten Joe Biden war überfällig: keine Lieferung von Angriffswaffen mehr an Israel, wenn das Land an der Offensive auf Rafah im Süden des Gazastreifens festhält. Im Wahljahr kann es sich Biden nicht leisten, den progressiven Flügel seiner Partei zu verlieren – international stehen die USA als Heuchler da, wenn sie einerseits in der Auseinandersetzung mit Staaten wie Russland, Iran und China aufs Völkerrecht beharren, dessenVerletzungen durch Israel aber stillschweigend hinnehmen. Jetzt sah Washington offenbar den Punkt gekommen, an dem das letzte Druckmittel gezogen werden musste. Zu befürchten ist: Es wird nicht helfen. Stoppt Israel die Offensive auf Rafah, zerbricht die Koalition in Israel. Gibt es Neuwahlen,ist Netanjahu weg vom Fenster. Das wäre zwar wünschenswert – aber er wird alles tun, um das zu verhindern", erwartet die TAZ.
Der Berliner TAGESSPIEGEL unterstreicht: "Die Botschaft ist unüberhörbar wie ein Donnerhall. US-Präsident Joe Biden droht Israels Premier Benjamin Netanjahu mit einem Lieferstopp für bestimmte amerikanische Waffen. Der öffentliche Eklat ist ein Einschnitt in den Beziehungen der USA zu Israel, auf den viele seit Wochen gehofft hatten. Biden protestiert sichtbar vor aller Welt gegen die Ausweitung der Offensive, die Netanjahu gegen die Terrororganisation Hamas in Rafah plant. Und legt zugleich offen, vor welch schwierigen Abwägungen er in den brutalen Realitäten des Palästinakonflikts steht. Mit seiner Klarstellung wächst der Druck auf die Bundesregierung, ihren Umgang mit dem Kriegsverlauf ebenfalls zu überdenken", folgert der Berliner TAGESSPIEGEL.
Die SÜDWEST-PRESSE aus Ulm hinterfragt angesichts des Waffenstopps der USA die Politik der Bundesregierung: "Eigentlich platziert sich Kanzler Olaf Scholz nicht nur in der Ukraine-Politik, sondern auch im Nahost-Konflikt am liebsten so eng wie möglich an der Seite von Biden. Ein öffentlich erklärter deutscher Waffenstopp oder auch nur die Drohung damit sind für Berlin aber schier undenkbar. Schließlich hatte Scholz nach dem terroristischen Hamas-Angriff im Oktober vor dem Deutschen Bundestag das Bekenntnis zur Sicherheit Israels als deutscher Staatsräson auch mit militärischer Unterstützung ausbuchstabiert. Dass diese verglichen mit den USA immer nur einen symbolischen Umfang hatte, macht die Debatte jetzt nicht gerade leichter", konstatiert die SÜDWEST-PRESSE.
Die Protestaktionen gegen den Gaza-Krieg an deutschen Universitäten kommentiert der KÖLNER STADT-ANZEIGER: "Nicht jeder Protest gegen das brutale Vorgehen des israelischen Militärs in Gaza ist anti-israelisch oder gar antisemitisch. Für friedlichen Protest von Studierenden gegen diesen Krieg muss grundsätzlich auch an den Universitäten Platz sein. Doch hinter den jüngsten Besetzungsversuchen stehen gerade jene radikalen Aktivistengruppen, die die Schwelle zwischen 'Israelkritik' und Antisemitismus regelmäßig überschreiten und sich mit Parolen dafür aussprechen, Israel von der Landkarte zu tilgen. Protestaktionen dürfen keinesfalls dazu führen, dass Universitäten zu Angsträumen werden. Antisemitische Parolen und Gewaltaufrufe dürfen weder dort noch anderswo geduldet werden", stellt der KÖLNER STADT-ANZEIGER klar.
Die LEIPZIGER VOLKSZEITUNG verweist auf einen weiteren Aspekt: "Und noch etwas spricht dagegen, diese Proteste ohne eine enge Begleitung durch die Polizei gewähren zu lassen: Immer wieder beschimpfen und bedrängen die Demonstranten Journalistinnen und Journalisten und versuchen, sie an ihrer Arbeit zu hindern. Es handelt sich dabei nicht um Einzelfälle. Medienschaffende laufen bei den anti-israelischen Demonstrationen längst ebenso Gefahr, angegriffen zu werden, wie bei rechtsextremen Protesten. Wer das Grundrecht der Versammlungsfreiheit für sich in Anspruch nimmt, muss dabei auch das Grundrecht der Pressefreiheit wahren", unterstreicht die LEIPZIGER VOLKSZEITUNG.
Die BADISCHE ZEITUNG aus Freiburg findet die Debatte um die Studentenproteste überzogen: "Ist das nicht nur ein Sturm im akademischen Wasserglas? Zusammengenommen vielleicht ein paar Hundert Aktivisten lösen eine Diskussion aus, als stünde die universitäre Welt kurz vor dem Untergang. Dem ist nicht so. Die Proteste gegen den Gazakrieg Israels an deutschen Hochschulen sind aber allemal Anlass, über einiges zu reden. Die große Emotionalität, mit der Studierende hier agieren, spiegelt die Lage wider, in der wir uns in Deutschland alle befinden. Der Impuls, die Verhältnisse besser zu machen und zwar jetzt, führt einen Teil von ihnen zum Protest. Der Antisemitismus-Vorwurf ist einer, der in den Debatten derzeit schnell fällt und gerne instrumentalisiert wird, um andere anzuschwärzen", urteilt die BADISCHE ZEITUNG zum Ende dieser Presseschau.