25. Mai 2024
Die Presseschau aus deutschen Zeitungen

Rassistisches Gegröle auf Sylt hat Empörung bis in die Bundespolitik ausgelöst - das ist ein Thema. Zunächst aber geht es um den Krieg im Gaza-Streifen.

Zu sehen sind mehrere Richter des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag während einer Urteilsverkündung.
Der Präsident des Internationalen Gerichtshofs (IGH), der Libanese Nawaf Salam (M), während des Urteils zur Lage in Rafah. (IMAGO / ANP / IMAGO / Koen van Weel)
Der Internationale Gerichtshof in Den Haag hat Israel zu einem sofortigen Ende des Militäreinsatzes in Rafah verpflichtet. Die MITTELDEUTSCHE ZEITUNG aus Halle schreibt: "Mehrfach bereits haben die Richter Israel dringend ermahnt, das Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung in Gaza zu verringern, durch Zurückfahren der Attacken, durch Verbesserung der Versorgung. Ein wenig reagiert hat Israel angeblich. Aber behutsamer ist eben nicht behutsam. Hunderttausende Palästinenserinnen und Palästinenser, die vor den ersten Angriffswellen in Rafah Zuflucht gefunden haben, wurden nun erneut vertrieben. Dem Gericht fehlt dafür das Verständnis, und das ist nachvollziehbar – auch wenn Tel Aviv die gleichermaßen verständliche Angst bleibt, ein auch nur kleiner Rest von Hamas-Terroristen könne Israel existenziell gefährlich werden. Aber eine sichere Umgebung schafft sich das Land durch hundertausendfaches Leid in seiner Nachbarschaft nicht", betont die MITTELDEUTSCHE ZEITUNG.
"In Israel wird das alles als himmelschreiendes Unrecht empfunden", heißt es in der BADISCHEN ZEITUNG mit Blick auf die jüngsten juristischen Entscheidungen zum Gaza-Krieg. "Angesichts des Horrors vom 7. Oktober ist diese Reaktion verständlich. Die Justiz hat aber nicht die Aufgabe, in diesem Krieg Rollen zu verteilen und zu sagen, wer Opfer und wer Täter ist. Gemessen am humanitären Völkerrecht können auch Opfer, und ein solches war Israel am 7. Oktober, zu Tätern werden, wenn sie in ihrer legitimen Selbstverteidigung die Schranken des Erlaubten überschreiten. Um nicht mehr und nicht weniger geht es hier. Der Fokus, den die Gerichte in Den Haag nun auf Israel legen, führt aber noch eine andere Entwicklung vor Augen: Israels Justiz hat an Ansehen verloren. Man traut ihr offenbar nicht mehr zu, Verstöße eigenständig zu ahnden. Das hat sich Israels Regierung selbst zuzuschreiben", meint die BADISCHE ZEITUNG aus Freiburg.
Die RHEINPFALZ aus Ludwigshafen unterstreicht: "Auch wenn Netanjahu und seine Koalitionäre sich weiter auf die Macht der Waffen verlassen und sich deswegen schon mehrfach die Kritik der UN zugezogen haben, sind nicht wenige Israelis das Blutvergießen – auf beiden Seiten – leid. Sie wollen die Geiseln nach Hause holen. Und sie wollen Frieden. Denn eines ist klar: Die Hamas und andere Terrorgruppen werden so lange keine Nachwuchsprobleme haben, wie den Palästinensern eine lebenswerte Zukunft verwehrt ist."
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG findet: "Juristisch bleibt es eine gewagte Konstruktion, über die israelische Militäraktion im Gazastreifen auf der Grundlage des völkerrechtlichen Genozidverbots zu urteilen. Dass Israel die Absicht verfolgt, die palästinensische Bevölkerung auszurotten, erscheint trotz der katastrophalen humanitären Umstände immer noch eine weitreichende Interpretation einer insgesamt von außen schwer in allen Details einzuschätzenden Lage. Dass dieser harte Vorwurf gerade den Staat trifft, dessen Volk einst selbst einem beispiellosen Vernichtungsversuch ausgesetzt war, kann vor Gericht keine Rolle spielen. Es wird in Israel aber zu einer weiteren Entfremdung von den UN und der internationalen Gerichtsbarkeit führen", erwartet die F.A.Z.
"Noch nie ist eine Terrororganisation international so blind aufgewertet worden wie die radikalislamische Hamas", urteilt die TAGESZEITUNG aus Berlin. "Sie kann sich darüber freuen, dass der barbarischste Massenmord in der Geschichte Israels innerhalb nur weniger Monate dazu geführt hat, dass die Welt auf ihre Propaganda hereinfällt. Das Ziel der Hamas ist die Zivilbevölkerung, während die israelische Armee den Tod von Unbeteiligten allem Anschein nach billigend in Kauf genommen hat – unabhängig von der Zahl der Toten ein gewichtiger Unterschied. Dennoch stellt die Welt mittlerweile nur noch Israel an den Pranger", kritisiert die TAZ.
Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG befasst sich mit der deutschen Reaktion auf die IGH-Entscheidung: "Deutschland hat sich jahrelang als einer der größten Fans des sogenannten regelbasierten internationalen Systems gezeigt, jetzt zeigt sich, dass dies nur so lange gilt, wie damit keine Kosten verbunden sind. Die internationalen Gerichte waren beliebt, solange sie gegen afrikanische Despoten verhandelten. Wenn es aber um den Partner Israel geht, sagen Leute wie der SPD-Bundestagsabgeordnete Michael Roth, die Ankläger, die einen Haftbefehl gegen Premier Netanjahu beantragten, machten sich zum 'Büttel' jener, für die es keinen Unterschied zwischen Hamas und Israel gebe. Wer es ernst meint mit den internationalen Gerichten, mit gleichen Rechten für alle, der muss auch jetzt die Diskussion beginnen, was die Entscheidungen aus Den Haag für Deutschland bedeuten", kommentiert die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG.
Zum nächsten Thema: Nach dem Bekanntwerden eines Videos mit rassistischen Gesängen auf Sylt gibt es bundesweit Empörung. Die SYLTER RUNDSCHAU bemerkt: "In gut zwei Wochen ist Europawahl. Dann werden rund 350 Millionen Wahlberechtigte, darunter erstmals Millionen Jugendliche ab 16 Jahren, ihre Stimme abgeben. Darunter auch die jungen Menschen, die an Pfingsten auf Sylt Nazi-Parolen gegrölt, sich dabei auch noch gefilmt und ihr menschenfeindliches Gedankengut – protzend, mit Rosé- und Champagnergläsern in der Hand – im Internet präsentiert haben. Eine Aktion, die mit nichts zu entschuldigen ist und spürbare Konsequenzen haben muss. 'Nie wieder ist jetzt' sollte nicht nur eine Floskel sein. Es ist wichtiger denn je, dass wir uns trauen laut zu werden, wenn um uns herum Rassismus, Diskriminierung und Faschismus ohne jegliche Scham ausgelebt und zum 'Spaßfaktor' auf Partys werden", mahnt die SYLTER RUNDSCHAU aus Westerland.
"Die Empörung im Land über das Video ist groß. Gut so", stellt die BERLINER MORGENPOST heraus: "Der Fall Sylt kann dazu dienen, auch dem letzten Gutgläubigen die Augen zu öffnen: Nicht nur unzufriedene, frustrierte Deutsche sind anfällig für rechte Parolen. So was kam und kommt auch in vermeintlichen Gewinnermilieus vor – und ist gerade dort besonders gefährlich. Denn: Wer auf Sylt feiert, gehört in der Regel zu jenen, die an den Hebeln sitzen – in den Unternehmen, in den Kanzleien, bei den Lobbyisten."
Auch ZEIT ONLINE hält fest: "Es ist eine gute Erinnerung daran, dass Wohlstand nicht immun macht gegen rechte Tendenzen, das Treffen der Rechtsextremen im Potsdamer Schloss vor einigen Monaten war auch nicht gerade eine Armenspeisung. Eine liberale Gesinnung, das wird die FDP nicht gern hören, lässt sich nicht kaufen oder durch Steuersenkungen erzwingen. Rechtsextremismus versiegt nicht, weil man Asylbewerbern das Bürgergeld streicht. Rassismus wächst nicht aus Flüchtlingsheimen in der Nachbarschaft oder Moscheen am Stadtrand. Er ist schon die ganze Zeit da", hebt ZEIT ONLINE hervor.
Der KÖLNER STADT-ANZEIGER erinnert: "Was auf Sylt geschehen ist, geschah so oder so ähnlich vorher auf Faschingsumzügen in Bayern und in einer Diskothek an einem anderen Ort Schleswig-Holsteins. Rassismus wird zur Gaudi, und er ereignet sich vor aller Augen. Darin liegt das eigentlich Alarmierende."
Die LAUSITZER RUNDSCHAU aus Cottbus überlegt: "Wahrscheinlich finden sich unter den Aperol-Spritz-Ausländerfeinden nicht wenige, die sich gerade in Grund und Boden schämen. Sicher gibt es wiederum auch Leute unter den Partygästen, denen das mehr oder weniger egal ist, weil sie ihre ausländerfeindlichen Ansichten ohnehin die meiste Zeit demonstrativ zur Schau stellen. Ob es die unappetitliche Angelegenheit wert ist, vom Bundeskanzler, der Bundesinnenministerin, der Grünen-Chefin, dem Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein und der CSU verurteilt zu werden, mag jeder für sich selbst beurteilen."