12. Juni 2024
Die Presseschau aus deutschen Zeitungen

Die Europawahl und die erneute Verschiebung des Bahn-Projekts "Stuttgart 21" sind Themen der Kommentare. Zunächst geht es aber um die Rede des ukrainischen Präsidenten Selenskyj im Bundestag anlässlich der Wiederaufbaukonferenz in Berlin.

Der ukrainische Präsident Selenskyj im Bundestag. Er hebt den Arm zum Gruß.
Die Rede des ukrainischen Präsidenten Selenskyj im Bundestag ist ein Thema in der Presseschau. (Bernd von Jutrczenka / dpa / Bernd von Jutrczenka)
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG bilanziert: "Es war ein entschlossener, zuversichtlicher Auftritt, der in augenfälligem Kontrast stand zur oft so zögerlichen deutschen Debatte über den Krieg. Es gebe keine Mauer, die nicht fallen könne, rief Selenskyj den Bundestagsabgeordneten zu. Das war natürlich auf Berlin gemünzt, und es ist eine berechtigte Erinnerung daran, dass man gerade in Europa nicht fatalistisch mit russischen Vormachtansprüchen umgehen muss. Auch mit seinem Dank an Deutschland, vor allem für den Schutz durch Patriot-Batterien für die Luftabwehr, fand er die richtigen Worte", lobt die F.A.Z
Der NORDBAYERISCHE KURIER aus Bayreuth hält fest: "Der ukrainische Präsident hat einen Vergleich genutzt, der die Deutschen ins Herz treffen muss. 'Das geteilte Europa war niemals friedlich. Und das geteilte Deutschland war niemals glücklich', hat Selenskyj gesagt. Wer will ihm widersprechen – und das, ohne sich dabei zu schämen?"
Die KÖLNISCHE RUNDSCHAU betont: "Was nicht zerstört wird, muss man nicht wieder aufbauen. Die westlichen Partner der Ukraine hätten viel Geld sparen können, wenn sie das beherzigt hätten. Und viele ukrainische Kriegsopfer wären noch am Leben. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat anlässlich der Wiederaufbau-Konferenz in Berlin auf das traurige Faktum hingewiesen, dass Russland mittlerweile die Hälfte der ukrainischen Stromproduktion durch Luftschläge lahmgelegt hat. Dazu hätte es in diesem Ausmaß nicht kommen müssen", heißt es in der KÖLNISCHEN RUNDSCHAU.
Große Teile der AfD und alle BSW-Abgeordneten boykottierten Selenskyjs Rede im Bundestag. "Das ist kein Skandal, sondern eine politische Torheit", ist der REUTLINGER GENERAL-ANZEIGER der Ansicht. "Damit schaden sich AfD und BSW selbst. Das Parlament ist die zentrale Institution zum Austausch von Meinungen. Ausgerechnet dort einer Rede fernzubleiben ist Wasser auf die Mühlen jener, die in der AfD und BSW nur Anti-Demokraten sehen. Deshalb muss man die vier AfD-Parlamentarier loben, die den Boykott-Aufruf ignoriert haben."
Die ZEVENER ZEITUNG folgert: "Es mag aus der Sicht von Sahra Wagenknecht und ihrer Truppe sowie fast aller Parlamentarier der AfD nur folgerichtig sein, der Selenskyj-Rede im Bundestag demonstrativ fernzubleiben. In Wahrheit aber ist ein solches Verhalten beschämend und ein massiver Affront gegenüber den Menschen in der Ukraine, die unter dem Kriegsterror Putins leiden und von denen Tausende im Bombenhagel inzwischen ihr Leben lassen mussten. Auf welcher Seite BSW und AfD stehen, ist damit erneut mehr als deutlich geworden - auf der des Kriegsverbrechers Putin", urteilt die ZEVENER ZEITUNG.
In der LAUSITZER RUNDSCHAU ist zu lesen: "Die AfD-Fraktion begründet ihr Fernbleiben unter anderem damit, dass Selenskyjs Amtszeit abgelaufen und er nur hier sei, um mehr Geld für den Krieg einzutreiben. Dieser Meinung kann man sein. Man kann auch wie die BSW-Abgeordneten argumentieren, dass Selenskyj das Risiko eines atomaren Konflikts in Kauf nimmt. Warum man sich aber gegenüber einem ausländischen Staatsgast so rüpelhaft verhält, erschließt sich nicht. Ist das Wokeness von der anderen Seite des politischen Spektrums? Es scheint jedenfalls, als sei den Abgeordneten von AfD und BSW eine trotzige Protest-Geste näher als das Gebot der Höflichkeit", kommentiert die LAUSITZER RUNDSCHAU aus Cottbus.
Das Blatt ND.DER TAG schreibt: "Glaubwürdig wäre eine solche Pose dann, wenn sie Teil einer kritischen Auseinandersetzung mit allen Kriegsparteien wäre. Da ist jedoch bei Wagenknecht Fehlanzeige. Selenskyj fördere eine Eskalationsspirale und nehme das Risiko eines atomaren Konflikts in Kauf, teilte das BSW mit. Und das an dem Tag, an dem Russland und Belarus ein Atomwaffenmanöver gestartet haben. Wagenknecht verweist unverdrossen auf eine Verhandlungsbereitschaft Putins; der aber will erst nach Sieg oder Niederlage verhandeln. Sehr berechtigt verlangt Wagenknecht einen kritischen Dialog mit Selenskyj. Aber wie sieht eigentlich ihr kritischer Dialog mit Putin aus?", fragt ND.DER TAG.
Nun zur Europawahl. Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG greift das schlechte Abschneiden der Grünen auf und empfiehlt der Partei, mehr auf sich selbst zu schauen: "Es gibt im Europaparlament keine Mehrheit für die Politik, welche die Grünen sich wünschen. Das hat weniger mit den Rechtsextremen zu tun, sondern vor allem damit, dass die Wählerinnen und Wähler die Grünen dezimiert und eine Fraktion in der politischen Mitte gestärkt haben, die eine konservativere Politik bevorzugt – beim Klima- und Umweltschutz, bei der Immigration, bei der Regulierung der Wirtschaft. Diese Politik kann man falsch finden, aber man kann ihr nicht einfach die Legitimität absprechen. Es muss im demokratischen Europa schon erlaubt sein, nicht so links zu sein wie die Grünen", bemerkt die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG.
Die Zeitung RHEINPFALZ argumentiert: "Das Thema Migration wird mehr und mehr zur Achillesferse der Grünen. Auch wenn sich der Effekt nicht seriös beziffern lässt, dürfte klar sein, dass die tödliche Messerattacke eines Asylbewerbers auf einen Polizisten in Mannheim den Grünen bei den Wahlen am 9. Juni massiv geschadet hat. Der Klima- und Umweltschutz ist weiterhin großen Teilen der Gesellschaft auch außerhalb der Grünen-Kernwählerschaft sehr wichtig. Bei anderen Themen finden von den Grünen vertretene Positionen aber oft deutlich weniger Akzeptanz." So weit die RHEINPFALZ aus Ludwigshafen.
Angesichts der unterschiedlichen Wahlergebnisse in Ost und West meint die MÄRKISCHE ODERZEITUNG aus Frankfurt/Oder: "Es stimmt: Ossis sind in mancherlei Hinsicht anders als Wessis. Im Durchschnitt. Schlimm ist das nicht. Es hat sich halt so entwickelt. Trotzdem lösen Wahlergebnisse die immer gleichen Reflexe aus. Und zwar immer in eine Richtung. Was ist mit den Ossis nur los? Leiden die noch immer unter ihrer Diktaturerfahrung? Sind Transformation und Treuhand für die deformierte ostdeutsche Seele verantwortlich? Nun, wir wollen doch mal sehen, welche Fragen übrig bleiben, wenn die Ost-West-Angleichung beim Wahlverhalten erfolgt. Der Weg dahin ist geebnet." Das war die Meinung der MÄRKISCHEN ODERZEITUNG.
Die Deutsche Bahn verschiebt die Eröffnung des Projekts "Stuttgart 21" um ein weiteres Jahr auf Dezember 2026. Die STUTTGARTER ZEITUNG bemerkt: "Das ist ebenso ärgerlich, wie es absehbar gewesen ist. Einmal mehr hat der Konzern lange gebraucht, das Unübersehbare einzuräumen. Aber er versucht, aus der verfahrenen Situation das Beste zu machen. Die aberwitzige Idee eines planmäßigen Parallelbetriebs von Kopfbahnhof oben und Durchgangsbahnhof unten wird zu den Akten gelegt. Die Verschiebung hat den Vorteil, dass etwa verspätete Projektteile wie der Flughafenbahnhof fertig sind und es keine Inbetriebnahme auf Raten wird. Damit das alles so funktioniert, muss die Bahn den revidierten Zeitplan einhalten. Eine gehörige Portion Misstrauen ist angebracht. Zu oft erweisen sich die Prognosen der Bahnhofsbauer als allzu optimistisch", gibt die STUTTGARTER ZEITUNG zu bedenken.
Die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG kritisiert: "Das Projekt 'S21' wird auf Kosten derer umgesetzt, für die es eigentlich sein sollte: die Kunden der Deutschen Bahn. Denn das Geld, das in den Bau gesteckt wird, fehlt an anderen Stellen. Einige Beispiele: der Ausbau des Streckennetzes, funktionierende Klimaanlagen in Regionalbahnen, Investitionen in das Personal. Mit insgesamt elf Milliarden Euro sind die Kosten für den Tiefbahnhof mittlerweile deutlich höher als für den Bau des Berliner Pannenflughafens BER. Kein Wunder also, dass 'Stuttgart21' mit jedem neuen Verzug nur noch belächelt wird." Mit dieser Stimme aus der NEUEN OSNABRÜCKER ZEITUNG endet die Presseschau.