
ZEIT ONLINE stellt fest: "Die AfD ist in Thüringen stärkste Kraft geworden. Die AfD dürfte es in Sachsen hauchzart verpasst haben, auf Platz eins zu landen. Eine zweite Partei, die durchaus in der Lage ist, populistische Tasten zu drücken, das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), schneidet üppig zweistellig ab, in beiden Bundesländern, in Thüringen kommt sie sogar auf knapp 16 Prozent. All jene Parteien dagegen, die seit Jahrzehnten die Geschichte der Republik geprägt haben, sind mehr oder weniger hart abgestraft worden. Das bedeutet etwas: Keine Regierungsbildung kann mehr ablaufen wie früher. Das Parlament in Erfurt und Dresden wird nicht mehr sein wie früher", ist sich ZEIT ONLINE sicher.
Die THÜRINGER ALLGEMEINE aus Erfurt erwartet: "Angesichts des Wahlausganges in Thüringen wird sich die Regierungsbildung wie etwa durch die Unvereinbarkeitsbeschlüsse der CDU schwierig gestalten. Zudem steht mit dem BSW ein neuer starker politischer Akteur auf dem Feld, der aber eigentlich gar nicht regieren will, sondern eher von noch mehr Wachstum in der Opposition träumt. Es wird Zugeständnisse und Kompromisse geben müssen, die der eigenen Wählerschaft schwer zu vermitteln sein dürften. Neue Konzepte der themenbezogenen Zusammenarbeit oder der Emanzipation von Vorgaben aus Berliner Zentralen sollten nicht als Denkverbote gelten. Vielleicht ist die Zeit klassischer Koalitionen vorbei", spekuliert die THÜRINGER ALLGEMEINE.
Bei SPD, Grünen und FDP sollten nun die Alarmglocken schrillen, findet die ALLGEMEINE ZEITUNG aus Mainz: "Das gilt auch für die CDU, die sich nur bedingt als Gewinnerin fühlen darf. Was allen bewusst sein muss: Die AfD hat viele Nicht-Wähler angesprochen, die populistische Ansprache funktioniert also. Die Volksparteien haben sich zu lange nicht mit den wahren Themen beschäftigt, zu lange unbesorgt zugeschaut. Auch hier fehlen Antworten auf drängende Fragen bei der Zuwanderung, beim Wohnraum, dem Ukraine-Krieg oder Bildung", schreibt die ALLGEMEINE ZEITUNG.
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG vermutet: "Es waren bundespolitische Streitthemen, die der AfD enormen Zulauf verschafften und dem Bündnis der Sahra Wagenknecht zu einem Senkrechtstart verhalfen. Im Bund werden diese Volksverführer und -verhetzer nicht so leicht auf Ergebnisse wie in Sachsen und Thüringen kommen. Dennoch muss der Wahlausgang allen Demokraten eine Warnung sein, wie nachhaltig politische Verhältnisse ins Wanken geraten können, wenn viele Bürger für grundfalsch halten, was eine Regierung entscheidet und macht. Dafür bekam die Ampel nun die Quittung. Wird sie deswegen die Macht abgeben? Wohl kaum." Das war die Meinung der F.A.Z.
Die MÄRKISCHE ODERZEITUNG beobachtet: "Wahlentscheidungen werden zunehmend aus dem Bauch heraus gefällt. Mit Migration und Frieden standen bundespolitische Themen ganz oben. Insofern muss man diese Wahlen als deutliches Unmutssignal an die Bundesregierung lesen. Vor allem Grüne und FDP mussten Federn lassen. Ein Jahr vor der Bundestagswahl dürfte deren Rumoren über die dauernden Havarien im Ampelgetriebe nun lauter werden. Denn auch angesichts der nahenden Brandenburg-Wahl droht ihnen die Gefahr, in einen Abwärtsstrudel gerissen zu werden", folgert die MÄRKISCHE ODERZEITUNG, die in Frankfurt (Oder) erscheint.
Nach Einschätzung der TAGESZEITUNG hat die CDU noch Gestaltungsmacht in Sachsen und Thüringen: "Vielleicht zum letzten Mal. Wenn die Partei möchte, dass 2029 noch etwas vom guten Zusammenleben in diesen Bundesländern übrig ist, dann sollte sie sich den Menschen zuwenden, die die Zivilgesellschaft vor Ort ausmachen. Sie sollte diejenigen stärken, die auf vielfältigste Weise für die Demokratie eintreten und Anfeindungen in Kauf nehmen, wenn sie gegen rechts auf die Straße gehen. Die CDU muss die Zivilgesellschaft fördern und damit nicht nur Ehrenamt meinen", empfiehlt die TAZ.
Die Zeitung DIE WELT geht ebenfalls auf die CDU ein. Diese müsse "in beiden Bundesländern versuchen, eine Machtoption aufzubauen. Koalitionen mit den Rändern müssen kategorisch ausgeschlossen werden. In Thüringen hätten die beiden kapitalismuskritischen Parteien AfD und BSW zusammen eine satte Mehrheit. Die politische Linke, bis in Teile der CDU hinein, hofft auf ein Parteienverbot der AfD. Das ist der Offenbarungseid für ein gescheitertes Politikprojekt. Die Wähler in zwei östlichen Bundesländern haben Regierung und Opposition signalisiert, dass es so nicht weitergeht. Das ist eine der Grundfunktionen von Demokratien", notiert DIE WELT.
In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG lesen wir: "So dramatisch die Wahlergebnisse aus Sicht von Grünen, FDP und anderer etablierter Kräfte sowie ihrer jeweiligen Anhängerschaften aussehen mögen und so wenig das einem gefallen muss: Es sind hier demokratische Prozesse zu beobachten. Mit der AfD legt eine Partei weiter zu, die mit dem Thema Migration auch deswegen weiter punkten kann, weil dieses Thema nach Wahrnehmung vieler Menschen nicht nur im Osten von der Frage der Abschiebung bis zu jener der Integration politisch unzureichend gesteuert wird. Und mit dem BSW zeigt sich, wie in buchstäblicher Windeseile in diesem Land eine Partei nicht nur gegründet werden, sondern direkt einziehen kann in hohe politische Häuser. Damit ist noch nichts gesagt zu Lösungskompetenz, Verlässlichkeit und Rechtschaffenheit dieser Parteien. Und gewiss gehört zur Wahrheit, dass diese demokratischen Prozesse in Zeiten zu beobachten sind, in denen die Meinungsbildung nicht gerade leichter wird", urteilt die SÜDDEUTSCHE.
Das FLENSBURGER TAGEBLATT fragt: "Ist es eine tiefe, dunkle Sehnsucht des Menschen im Allgemeinen und des (Ost-) Deutschen im Besonderen nach Totalitarismus und nach 'einfachen' Lösungen? Oder profitierten die politischen Ränder nicht vielmehr davon, dass bei sehr vielen Themen von sehr vielen Akteuren mit moralischer Inbrunst Scheinlösungen vorgegeben werden für Dinge, die bei Lichte betrachtet ungleich komplizierter sind, als es Ampelregierung und auch Unionspolitiker gerne behaupten: bei der Migration, in der Ukraine, bei Corona, mit dem Klima, bei der Kernkraft und der Mobilität und so weiter und so fort? Wenn schon unmittelbar benachbarte europäische Demokratien zu anderen Antworten kommen als führende deutsche Politiker in Bund und Land, wirkt einigermaßen abgehoben, wer auf seinem Weg als der ultimativen Wahrheit beharrt", analysiert das FLENSBURGER TAGEBLATT.
Diese Wahl als reines Ost-Phänomen abzutun, wäre falsch, meint der Berliner TAGESSPIEGEL: "Denn die AfD liegt auch in bundesweiten Umfragen auf Platz zwei. Und das BSW ist ebenfalls auf dem Weg zu zweistelligen Umfragezahlen. Und doch gibt es ostdeutsche Effekte, die den Erfolg der Extremisten verstärkt haben. Viel stärker als im Westen kann das BSW im Osten mit seinem Kuschelkurs Richtung Wladimir Putin punkten. Nicht alle im Osten ticken so. Aber es sind auch nicht nur die Alt-Kader der SED und ihre Kinder, bei denen der Wagenknecht-Kurs gut ankommt. Dazu kommen jene, die eine diffuse Angst haben und hoffen, dass Russland gnädig ist, wenn man Putin nicht erzürnt. Diese Mischung gibt es so ausgeprägt im Westen nicht", folgert der TAGESSPIEGEL.
Die LEIPZIGER VOLKSZEITUNG gibt zu bedenken: "Neben all den Fragen nach möglichen Regierungskonstellationen, ist die viel größere Frage jedoch, wie unsere Gesellschaft diesen neuen politischen Verhältnissen Rechnung trägt, wenn ein 'Weiter so' offenkundig keine Option ist. Die Menschen hier betonen immer wieder, dass sie mehr beteiligt werden wollen: Wie kann das aussehen? Und nehmen sie es dann auch an? Braucht es mehr Fachleute in den Ministerien, um dem Grummeln in der Bevölkerung, es würde entgegen der Fachexpertise Politik gemacht, Rechnung zu tragen? All das gilt es nun neu zu verhandeln – neben dem Koalitionsvertrag", empfiehlt die LEIPZIGER VOLKSZEITUNG zum Ende der Presseschau.