01. Oktober 2024
Die Presseschau aus deutschen Zeitungen

Die Kommentare befassen sich mit dem Wahlsieg der FPÖ in Österreich, der Diskussion um ein AfD-Verbotsverfahren in Deutschland und der Lage in Nahost.

Herbert Kickl spricht auf einer Pressekonferenz und deutet mit seiner rechten Hand nach vorne.
FPÖ-Chef Herbert Kickl - kann er Kanzler werden? (IMAGO / photonews.at / Georges Schneider)
Die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG schätzt die politische Entwicklung in Österreich wie folgt ein: "Aller Voraussicht nach wird es nicht der den rechtsextremen Identitären nahestehende Herbert Kickl sein, der Österreichs neuer Kanzler wird. Doch auch wenn damit der endgültige Sieg der Extremisten zunächst verhindert wird, kann das kein dauerhaftes Rezept für die Zukunft sein: Politik besteht nämlich nicht in erster Linie darin, das Schlimmste zu verhindern. Sie soll gestalten – und das wird immer schwieriger, wenn sich Parteien in Koalitionen zusammenfinden, die außer dem Kampf gegen die Feinde der Demokratie inhaltlich wenig bis nichts eint. Das deutsche Beispiel müsste den anderen Parteien in Österreich eine Mahnung sein. Während sich die Berliner Ampel ihrem von vielen erhofften Ende entgegen quält und sich im Osten Deutschlands die absonderlichsten Bündnisse abzeichnen, deren Halbwertszeit ungefähr zu erahnen ist, hat Österreich jetzt noch eine letzte Chance", mahnt die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG.
Trotz des Wahlsiegs der FPÖ gilt als unwahrscheinlich, dass ihr Parteichef Kickl Kanzler wird. Die NÜRNBERGER ZEITUNG analysiert: "Für Kickl hätte ein Pyrrhussieg einen gewissen Charme: Er könnte fortsetzen, was er am besten kann: Sich und die Seinen – wie es die AfD hierzulande tut – als Ausgrenzungsopfer der „Systemparteien“ inszenieren. In der Märtyrerrolle müsste er nur abwarten, bis die ideologisch heterogene Dreier-Koalition eher früher als später an den nicht geringer gewordenen Herausforderungen zerbricht. Jetzt mag ein Kanzler Kickl noch zu verhindern sein. Nach der nächsten Wahl vielleicht nicht mehr", befürchtet die NÜRNBERGER ZEITUNG.
Das STRAUBINGER TAGBLATT merkt dazu an: "Selbst wenn Kickl auf die Kanzlerschaft und einen Platz in der Regierung verzichten sollte: Er bliebe der starke Mann seiner Partei und würde wohl treu ergebene Statthalter ins Kabinett schicken. Die ÖVP sollte sich sehr gut überlegen, ob sie sich dafür hergibt und zur Orbánisierung Österreichs und Europas beiträgt. Bundespräsident Alexander van der Bellen jedenfalls wird sein Land nicht einfach Extremisten überlassen. Er wird sehr genau abwägen, wem er den Regierungsauftrag gibt, und schauen, wer sich mit welchem Programm zusammentut. Das ist beruhigend", findet das STRAUBINGER TAGBLATT.
Für den TAGESSPIEGEL aus Berlin ist das Wahlergebnis eine Warnung für Deutschland: "Der Versuch, die Rechten mit Zusammenarbeit zu 'entzaubern' oder 'zähmen', hat in Österreich nicht funktioniert. Die wiederholte Regierungsbeteiligung durch die ÖVP hat sie nicht sanft, sondern salonfähig gemacht. Selbst die Skandale in ihren kurzen Episoden der Verantwortung haben der FPÖ nicht geschadet. Ganz im Gegenteil: Ihre Ideen sind zunehmend in den Diskurs integriert und normalisiert worden. Auch, weil sie etwa von Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz von der ÖVP kopiert und in die Mitte getragen wurden." Das war die Meinung des TAGESSPIEGELS.
In Deutschland wird wieder über ein AfD-Verbot diskutiert. Ein fraktionsübergreifender Antrag soll im Bundestag eingebracht werden. Die AUGSBURGER ALLGEMEINE stellt fest: „Es ist richtig, gegen die AfD juristisch vorzugehen, wo sie geltendes Recht verletzt. Das Recht ist stärker als seine Verletzungen durch AfD-Politiker. Doch ein Antrag auf ein bundesweites Verbot der AfD hat vor dem Gesetz keine Chance auf Erfolg. Er wäre Ausweis der Hilflosigkeit. Der Nährboden der Unzufriedenheit, aus dem die AfD ihre Kraft saugt, rührt zum erheblichen Teil aus Misserfolgen der aktuellen wie früheren Regierungspolitik.“
Die FRANKFURTER RUNDSCHAU urteilt: "Die Zeit ist nicht reif, ein Verbotsverfahren gegen die AfD zu starten. Aktuell würde dieser Schuss nach hinten losgehen. Denn in dem Moment, in dem das Bundesverfassungsgericht ein Verfahren einleitet, müssen sämtliche V-Leute abgezogen werden. Das Sammeln von Beweisen könnte erschwert werden. Es wäre langwierig und der Ausgang offen. Neben diesen formalen Aspekten wäre es politisch nicht zielführend, das schärfste Schwert zu erheben gegen eine Partei, die in Ostdeutschland zwischen 20 und 30 Prozent Zustimmungswerte erreicht und im Westen auch zweistellig liegt. Die AfD ist Weltmeisterin in der Disziplin, sich zum Opfer des Systems zu erklären. Ein Verbotsverfahren wäre also erst einmal Wasser auf diese Mühlen. Zudem ist es aus demokratischem Selbstverständnis heraus schwierig, eine Partei zu verbieten, die von einer so großen Wählerschaft unterstützt wird. Es muss anders gehen. Wichtiger als eine Debatte über ein AfD-Verbot wäre, dass die Demokraten ihre Parlamente auf Bundes- und Landesebene wetterfest gegen eine Blockade oder Übernahme durch Extremisten machen. Gleiches gilt für die Justiz. Die Demokratie muss sich als wehrhaft gegen ihre Feinde erweisen", fodert die FRANKFURTER RUNDSCHAU.
"Besser, man macht es" überschreibt hingegen die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG ihren Kommentar und begründet es so: "Etliche Menschen in demokratischen Parteien fürchten derzeit, die AfD könnte ein Verbotsverfahren, das scheitert, als 'Persilschein' für sich feiern. Aber ein noch viel größeres Triumphgeheul in diesem Sinne dürfte aus der AfD kommen, wenn der Bundestag sich von vornherein nicht traut, die Sache überhaupt an Karlsruhe zu überweisen. Man muss sich klarmachen: Es gibt kein Szenario, in dem die AfD es nicht schaffen wird zu johlen. Das Einzige, was demokratische Kräfte womöglich verhindern können, ist, dass sie aus einer Position der Macht heraus johlt. Dazu braucht es Wehrhaftigkeit", ist sich die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG sicher.
Zum Abschluss noch zwei Stimmen zum Nahost-Konflikt. Die STUTTGARTER ZEITUNG konstatiert: "Israels Gesellschaft hat längst den Glauben an Frieden verloren. Und die Eliten versuchen nach Kräften, diese Haltung zu verstärken. Denn damit sichern sie ihre Macht. Seit Jahrzehnten gibt es keine ernsthafte Friedensinitiative, der Kurs israelischer Regierungen wird konservativer und radikaler. Der Überfall der Hamas 2023 hat dieses historische und politische Trauma eines ewig verfolgten und nie zur Ruhe kommenden Volkes potenziert. Die Menschen wollen Premier Benjamin Netanjahu und seinen rechtsradikalen Koalitionspartnern glauben, die sagen: Nur die absolute Stärke bietet Sicherheit – nur wenn wir alle unsere Feinde töten, alle Nicht-Juden beherrschen oder vertrieben haben, werden wir Ruhe haben. Doch Waffen können Hass nicht vernichten, sie fördern ihn. Armeen können keine Terrororganisationen vernichten, sie können sie nur immer wieder kleiner machen und ihnen danach beim Wiedererstarken zusehen, wenn der Nährboden für den Hass weiter besteht", warnt die STUTTGARTER ZEITUNG.
Die TAGESZEITUNG blickt auf die Folgen des Kriegs für Europa: "Der Libanonkrieg steht vor einer Eskalation. UNO-Generalsekretär Antonio Guterres warnte schon davor, der Libanon drohe zu einem 'neuen Gaza' zu werden. Hunderttausende Zivilisten, die zu Recht um Leib und Leben fürchten, werden sich mit Kind und Kegel auf die Flucht begeben. Europa muss den Kriegsflüchtlingen aus dem Libanon Schutz gewähren. Ohne Wenn und Aber. Das gilt auch für die fast eine Million registrierten syrischen Flüchtlinge sowie die fast eine halbe Million palästinensischen Flüchtlinge, die bisher im Libanon mit seinen insgesamt rund sechs Millionen Einwohnern Zuflucht gesucht haben. Das Land steht kurz vor dem Kollaps. Dem Erstarken der Rechtsradikalen, wie jetzt wieder in Österreich, zum Trotz: Europa darf jetzt nicht zaudern. Die EU hat nach Russlands Invasion Millionen Ukrainer:innen sofort als Kriegsflüchtlinge aufgenommen. Zu Recht! Nun muss sie im Fall Libanon das Gleiche tun. Jeder Kriegsflüchtling braucht Schutz."