"Das Scheitern der Ampel und der Umgang damit ist eine Zäsur in Deutschland. Kanzler Olaf Scholz hat nach dem Rauswurf seines Finanzministers Christian Lindner eine emotionale, harte Rede gehalten. Rhetorisch war das besser als vieles andere, was man in den drei Jahren von dem SPD-Regierungschef gehört hat. Die sehr harte Kritik an Lindner sagt aber auch etwas über den politischen Stil, der sich in Berlin breitgemacht hat. Dass es drei Parteien der politischen Mitte angesichts des Erstarkens der Rechtsextremen und Populisten nicht gelungen ist, das Land sicher durch unruhige Zeiten zu führen, ist trotz allem erschreckend", bilanziert die RHEINISCHE POST.
"Mit dem Rauswurf von FDP-Chef Christian Lindner zieht Bundeskanzler Olaf Scholz einen Schlussstrich, der überfällig war", heißt es in den NÜRNBERGER NACHRICHTEN. "Denn das Auftreten dieser Bundesregierung war seit Monaten unwürdig. Dass ausgerechnet am Tag von Donald Trumps Wahlsieg dieser Schritt erfolgt ist, muss nicht unbedingt Schlechtes bedeuten. Hätte es auch nur den Hauch einer Chance für eine Fortsetzung dieser Koalition gegeben, sie wäre von allen Beteiligten genutzt worden."
Auch das STRAUBINGER TAGBLATT hält die Entlassung von Finanzminister Lindner für alternativlos: "Zu feige, um selbst aus der Regierung auszutreten, hat er so lange und so extrem provoziert, dass Kanzler Olaf Scholz ihm und der gesamten Ampel den Stecker ziehen musste. Der Totengräber Lindner und seine FDP sind einfach nicht regierungsfähig. Anstatt seinen Hauptjob als Finanzminister zu erledigen, hat er mehr Zeit für seinen Nebenjob als besserwisserischer Oppositionsführer verschwendet."
"Wer braucht jetzt noch die FDP?" fragt die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG und führt aus: "Nach der missglückten schwarz-gelben Merkel-Koalition flog sie aus dem Bundestag. Vor der schwarz-gelb-grünen Jamaika-Regierung rannte sie davon. Und aus der Ampel flog sie raus. Die neoliberalen FDP-Anhänger werden das sogar feiern. Aber die Zahl derjenigen, die sich fragen, wofür man so eine Partei noch braucht, wird mit Sicherheit nicht kleiner."
ZEIT ONLINE nimmt dagegen den Bundeskanzler in die Verantwortung und nennt Olaf Scholz "der Macht nicht würdig": "Allein Christian Lindner die Schuld zu geben, wäre zu einfach: Auf der Suche nach den Ursachen für das Scheitern der Ampel landet man schnell wieder bei Scholz. Anfangs waren viele noch bereit, an das Versprechen von der Fortschrittsampel zu glauben, geführt von einem vielleicht nicht charismatischen, aber doch gewissenhaften Kanzler. Doch fast immer, wenn es schwierig wurde, blieb Olaf Scholz schrecklich blass. Zu oft zog er sich zurück, hielt sich bedeckt, prägte zu selten den Kurs seiner Bundesregierung. So schuf Scholz selbst das Vakuum, das Lindner und andere unzufriedene Ampelpolitiker über Gebühr nutzten. Auch bei den Grünen machten führende Parteimitglieder zuletzt Scholz’ Führungsstil recht offen für den Zusammenbruch der Ampel mitverantwortlich", erinnert ZEIT ONLINE aus Hamburg.
Auch der TAGESSPIEGEL aus Berlin kritisiert den Bundeskanzler: "Redet so ein Kanzler? Darf der das? Na klar, kann man sagen, ist ja auch bloß ein Mensch. Doch das Amt braucht mehr. Es braucht gerade in Zeiten, in denen es drunter und drüber geht, in denen sich alle, sagen wir: gegenseitig ankoffern wollen, eine Form von übergeordneter Würde. Eine, die Respekt heischt."
Der REUTLINGER GENERAL-ANZEIGER beschäfigt sich mit Volker Wissing, der seinen Ministerposten behält und dafür aus der FDP austritt: "Mit einem betont gut gelaunten Auftritt vor Journalisten wirkt der gelernte Verwaltungsrichter und Weingutbesitzer fast schon erleichtert darüber, sich von seinem bisherigen Chef Christian Lindner lossagen zu können. Wissing, der in Rheinland-Pfalz über Jahre an einer erfolgreichen Ampel beteiligt war, inszeniert sich als einer, dem Sachpolitik über Parteidogmatik geht. Er kann sich den Parteiaustritt leisten, weil er finanziell unabhängig ist und einen Zivilberuf erlernt hat. Man kann ihm deshalb glauben, dass er aus Überzeugung und nicht aus Kalkül handelt. Wenn alle Ampelpolitiker so gedacht und die Interessen des Landes über die Parteiinteressen gestellt hätten, wäre die Koalition möglicherweise erfolgreicher gewesen und nicht gescheitert", überlegt der REUTLINGER GENERAL-ANZEIGER.
Die WELT merkt zu diesem Thema an: "Verkehrsminister Volker Wissing setzt neue Maßstäbe in der Diskussion um Loyalität und Verantwortung. Der Selfie-Fotograf von einst bleibt der gescheiterten Regierung vorerst als Erinnerung ihres Stachels."
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG blickt nach vorne: "Bis zur Neuwahl hat Scholz keine Mehrheit mehr im Bundestag. Dass er durch ein konstruktives Misstrauensvotum abgewählt wird, muss er jedoch nicht befürchten. Die Stimmen der Unionsparteien und der FDP reichen nicht, um den Oppositionsführer Merz zum Kanzler zu wählen. CDU und CSU haben aber auch keinen Grund, der bankrotten Restampel aus der Insolvenz herauszuhelfen, die Scholz in Form der Vertrauensfrage erst im Januar erklären will, obwohl seine Regierung schon jetzt zahlungsunfähig ist. Trotz aller Meinungsunterschiede können SPD und Union in den nächsten Wochen aber nicht übereinander herfallen wie Scholz und Lindner noch in der Scheidungsnacht. Punktuelle Zusammenarbeit wird nötig sein, Berlin darf auch in diesem Interregnum nicht völlig handlungsunfähig werden." mahnt die FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG.
Die BADISCHEN NEUESTEN NACHRICHTEN aus Karlsruhe geben sich pragmatisch: "Die Ampel ist um die Farbe Gelb beraubt. Und damit erst mal eine Minderheitsregierung. Das Beispiel Skandinavien zeigt, dass diese Konstruktion keine Notlösung sein muss, sondern stabil funktionieren kann. Es gibt also keinen akuten Handlungsdruck für eine schnelle Vertrauensfrage mit der anschließenden Auflösung des Parlaments."
Die MEDIENGRUPPE BAYERN, zu der unter anderem die PASSAUER NEUE PRESSE gehört, sieht das völlig anders. "Da meint man, das Hängen und Würgen dieser Ampel-Regierung hätte endlich ein Ende, da versucht der gescheiterte SPD-Kanzler Olaf Scholz durch einen politischen Stunt das Unvermeidliche, nämlich Neuwahlen, weiter zu verzögern. Schluss damit! Natürlich hat Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz Recht, wenn er fordert, die Vertrauensfrage bereits nächste Woche zu stellen. Es gibt keinen überzeugenden Grund, warum die rot-grüne Minderheitsregierung einen Tag länger im Amt bleiben sollte als nötig. Erlöst uns – und euch!", fordert die MEDIENGRUPPE BAYERN.
Über den richtigen Zeitpunkt für Neuwahlen sinniert auch die VOLKSSTIMME aus Magdeburg: "Die Union würde am liebsten schon morgen zu den Urnen rufen. Aus Sicht der christlichen Parteien verständlich: Die politischen Gegner liegen in den Umfragen allesamt um Längen zurück. Dagegen steht der bedächtige Zeitplan von Olaf Scholz, der im März Neuwahlen vorsieht. Zuletzt gab es 2005 eine solche Konstellation, als der Bundestag Gerhard Schröder das Vertrauen entzog. Zwischen Abstimmung und Wahlen lagen damals auch rund drei Monate. Gebracht hat das zumindest Stabilität – die neugewählte Kanzlerin Angela Merkel regierte 16 Jahre lang", ruft uns die VOLKSSTIMME aus Magdeburg ins Gedächtnis.
"Egal wann Olaf Scholz die Vertrauensfrage stellt, wir befinden uns schon jetzt im Wahlkampf", konstatiert abschließend die FRANKFURTER RUNDSCHAU. "Und der Auftakt dafür am Mittwochabend lässt leider nichts Gutes ahnen – jedenfalls wenn der Ton Schule macht, den Scholz setzte. Diese Schärfe wird sehr schnell auch die CDU zu spüren bekommen, deren Abgeordnete ihre Euphorie über die gescheiterte Regierung nur schwer verbergen können. Allerdings könnte es da schnell einen tiefen Fall aus allen Wolken geben. Wenig hilfreich ist aber auch das Raunen des scheidenden Justizministers in seinem Rücktrittsgesuch: 'Es droht uns eine Zeit der Wölfe', ließ er wissen. Danke dafür!", schreibt die FRANKFURTER RUNDSCHAU. Und damit endet die Presseschau.