30. November 2024
Die Presseschau aus deutschen Zeitungen

Im Fokus steht die FDP, die personelle Konsequenzen gezogen hat, nachdem das Strategiepapier zum Ampel-Ausstieg öffentlich geworden ist. Zudem geht es um Georgien, wo die Regierung die EU-Beitrittsverhandlungen bis 2028 ausgesetzt hat.

Die FDP-Politiker Christian Lindner (Mitte), Marco Buschmann, (l.) und Bijan Djir-Sarai(r.) (Archivbild)
FDP-Chef Lindner steht nach dem öffentlich gewordenen Strategiepapier zum Ampel-Ausstieg und dem Rücktritt von Generalsekretär Djir-Sarai unter Druck. (Archivbild) (picture alliance / dpa / Christoph Soeder)
Zum ersten Thema heißt es in der RHEINPFALZ aus Ludwigshafen: "Mit den Rücktritten von Generalsekretär Djir-Sarai und Bundesgeschäftsführer Reymann hat man Bauernopfer gefunden, um Parteichef Lindner zu schützen. Doch dessen Glaubwürdigkeit ist massiv beschädigt. Es wäre bitter, würde die FDP über die Selbstbezogenheit ihrer Führungsebene gänzlich zerbrechen. Die liberale Idee ist wertvoll. Aber sie sollte von aufrichtigen Politikern vertreten werden", findet die RHEINPFALZ.
DER TAGESSPIEGEL aus Berlin zeigt sich verwundert über die Vorgehensweise: "Der Generalsekretär will von dem Papier nichts gewusst haben, obwohl er es hätte wissen müssen. Und der Bundesgeschäftsführer, der das Papier verfasst haben soll, gibt gar keine Begründung für seinen Rücktritt ab, außer, dass er einer 'personellen Neuaufstellung' nicht im Weg stehen wolle. Man fragt sich ein wenig, welche Neuaufstellung ist eigentlich gemeint? Denn die Glaubwürdigkeit der gesamten FDP liegt am Boden. Es ist geradezu lachhaft, den Versuch zu starten, das Ganze als kleines Planungsspiel eines Bundesgeschäftsführers abzutun, von dessen Papier die gesamte Führung nichts gewusst habe. Selbst wenn das so wäre, wäre es schlimm genug und würde zeigen, wie wenig der Parteichef seinen Laden im Griff hätte", lautet das Fazit des TAGESSPIEGELS.
Nach Meinung des HANDELSBLATTS reichen diese Rücktritte bei weitem nicht aus, um das Vertrauen in die Partei wiederherzustellen: "Der entstandene Schaden ist zu groß - für die FDP selbst, aber auch für das Land. Die Planspiele der Partei und die Täuschungsversuche, die dahintersteckten, widersprechen zutiefst dem notwendigen Anspruch, verantwortungsvoll zu regieren. Den Willen für eine selbstkritische Aufarbeitung lässt die Parteiführung bisher vermissen. Deutschland braucht eine liberale Partei, allerdings eine, die verantwortungsvoll für das Land und nicht nur für sich selbst agiert. Eine liberale Partei, die nicht beschwichtigt oder gar lügt, um skandalträchtiges Verhalten zu vertuschen, sondern eine, die ihre liberalen Werte auch lebt", notiert das HANDELSBLATT.
Für die LEIPZIGER VOLKSZEITUNG steht eins fest: "Die FDP hat das Wohl der Partei über die Regierungsarbeit gestellt, die Show über die Ernsthaftigkeit. Und noch ein Weiteres ist nun klar: Mit der Wahrheit nehmen es die Liberalen offenbar nicht so genau."
Die SCHWÄBISCHE ZEITUNG aus Ravensburg unterstreicht: "Im Rückblick erscheint Lindners Auftritt nach seiner Entlassung als Finanzminister wie schlechtes Theater. Er warf dem Bundeskanzler einen 'kalkulierten Bruch der Koalition' vor, dabei war das Ampel-Aus doch genau das, worauf sich die FDP akribisch vorbereitet hatte. Die FDP-Wahlkämpfer sind um ihren Job nicht zu beneiden. In den Umfragen liegen die Liberalen deutlich unter fünf Prozent, selbst ohne Krise könnte es schwierig werden, nach einem so kurzen Wahlkampf über die Fünfprozenthürde zu kommen. Doch selbst wenn das gelingt, wird sich jede Partei zweimal überlegen, ob sie mit der FDP ein Bündnis eingehen will. Denn in der Politik geht es bekanntlich nicht nur um Inhalte, sondern auch um Vertrauen." Soweit die SCHWÄBISCHE ZEITUNG.
Und in den STUTTGARTER NACHRICHTEN ist zu lesen: "Es ist legitim, eine Regierungszusammenarbeit zu beenden, kommt man zum Ergebnis: Sie ist nicht mehr gut für das Land. Zu seriösem Verhalten gehört nicht, die Koalitionspartner zu provozieren und Planungen zu machen, wie sich die gemeinsame Regierung in die Luft jagen lässt."
Die Magdeburger VOLKSSTIMME bezeichnet das "D-Day"-Konzept mit Planung einer "offenen Feldschlacht" als verwerflich: "Der D-Day war 1944 der Beginn der Landung der Alliierten in der Normandie zur Befreiung Europas vom Nazi-Regime. Ein Papier nach diesem Wendepunkt des Zweiten Weltkriegs zu nennen, zeugt von zynischer Geschichtsvergessenheit, die die FDP mit Lindner an der Spitze unwählbar macht", konstatiert die VOLKSSTIMME.
Die ALLGEMEINE ZEITUNG aus Mainz geht näher auf den FDP-Chef ein: "Dass Lindner allem Anschein nach immer noch unangetastet an der Parteispitze steht, ist ein Armutszeugnis. Klar, er ist das einzige Gesicht der Partei. Aber Lindner müsste längst selbst die Konsequenzen ziehen und zurücktreten. Stattdessen peilt er weiter an, in einer neuen Koalition wieder Finanzminister zu werden. Noch so ein Treppenwitz", betont die ALLGEMEINE ZEITUNG.
Die NÜRNBERGER ZEITUNG schreibt mit Blick auf SPD und Grüne: "Für sie sind die Erklärungsnöte der FDP billige Vorlagen, sich über den einstigen Koalitionspartner zu empören. Bei derart großer Selbstsicherheit, mal wieder auf der richtigen Seite zu stehen, muss man sich nicht fragen, warum der Kanzler selbst nicht schon vor Monaten überlegt hatte, seinen ungehorsamen Finanzminister zu entlassen. Und als es dann – scheinbar von jetzt auf gleich – doch zum Äußersten kam, mit einer komplett ausformulierten, vom Teleprompter abgelesenen Schandrede auf den Delinquenten aufwarten zu können. Man war also auch bei der SPD gut vorbereitet auf den Exitus der schon scheintoten Ampel-Koalition. Und auch die Grünen werden nicht aus allen Wolken gefallen sein", vermutet die NÜRNBERGER ZEITUNG.
"Profitieren könnte vor allem die Union – und gerade nicht SPD und Grüne, die jetzt die großen Enttäuschten geben", hebt die RHEIN-NECKAR-ZEITUNG hervor: "Die Merz-CDU geht mit einem scharfen wirtschaftspolitischen Programm in den Wahlkampf und setzt dabei auf die Wähler, die nicht das Risiko eingehen wollen, für eine Partei zu stimmen, die dem nächsten Bundestag vielleicht gar nicht angehört. Wie auch immer: Die Tage von Lindner als prägendes Gesicht der FDP sind vermutlich gezählt. Selbst wenn es ihm gelingt, mittels eines weiteren fulminanten Wahlkampfes, den Wiedereinzug in den Bundestag zu schaffen: Als Koalitionspartner taugen diese Liberalen nicht. Sie haben sich auf unglückliche Weise selbst abserviert", ist sich die RHEIN-NECKAR-ZEITUNG aus Heidelberg sicher.
Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG blickt nach Georgien, wo die Regierung die EU-Beitrittsverhandlungen bis 2028 ausgesetzt hat: "In Georgien werden die schlimmsten Befürchtungen all jener Menschen wahr, die gerne zu Europa gehören würden. Und das ist die unbestrittene Mehrheit. Ihre Regierung hat nun erklärt, dass sie vorerst nichts mehr vom EU-Beitritt wissenmöchte. Die kurzfristigen Folgen waren absehbar: Proteste, Wasserwerfer, Festnahmen. Die langfristigen Folgen sind weniger berechenbar. In Tiflis schert es die Herrschenden schon lange nicht mehr, was das Volk wünscht. Viele glauben ihrer Regierung längst nicht mehr, dass sie es ernst meint mit der Demokratie. Über die Jahre hat sie ein repressives Gesetz nach dem anderen erdacht – oder von Russland abgeschaut. In ihrer Balance zwischen Brüssel und Kreml rutscht sie immer stärker Richtung Kreml", bemerkt die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG.
"Geduld mit Georgien" titelt die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG und führt aus: "Die nach Russland tendierende Regierung, deren Macht auf einer womöglich fehlerhaften Parlamentswahl beruht, will die Sache verschleppen. Nichts anderes heißt es, wenn sie nun ein Aussetzen des Beitrittsprozesses verkündet. In vier Jahren kann viel passieren, vielleicht hat sie das Land politisch bis dahin so weit umgebaut, dass sich der Beitritt faktisch erledigt hat. Putin steht als Ersatzpartner bereit. Das ist nicht erfreulich, am wenigstens für die Bürger des Landes. Auch der EU kann es nicht gleichgültig sein, welche Richtung Georgien einschlägt. Trotzdem ist jetzt strategische Geduld in Brüssel gefordert. Wohin sich Georgien entwickelt, das müssen die Georgier schon unter sich ausmachen. Das Land ist in keinem Zustand, der eine formale Annäherung an die EU gestatten würde", bemerkt die F.A.Z. zum Abschluss der Presseschau.