15. Mai 2025
Die Presseschau aus deutschen Zeitungen

Heute mit Stimmen zur Annäherung zwischen den USA und Syrien. Im Mittelpunkt der Kommentare steht aber die erste Regierungserklärung von Bundeskanzler Merz im Bundestag.

Das Foto zeigt Friedrich Merz am Rednerpult des Bundestags. Er trägt dunkelblauen Anzug und eine blaue Krawatte. Seine Arme stützt er auf das Pult.
Friedrich Merz (CDU) während seiner ersten Rede als deutscher Bundeskanzler vor dem neuen Bundestag. (picture alliance / Associated Press / Markus Schreiber)
Der TAGESSPIEGEL aus Berlin vermerkt: "Die Regierungserklärung: ein Prüfstein, der erste große Auftritt im Parlament seit der verpatzten Kanzlerwahl. Merz hat ihn gut gemeistert. Engagiert, konkret: Der neue Kanzler wirkt entschlossen und zugewandt, als er das Programm seiner Regierung vorstellt. Ein Kontrast zum Vorgänger, der als einfacher Abgeordneter nun in der zweiten Reihe der SPD-Fraktion sitzt und pflichtschuldig seinem Nachfolger applaudiert – mit skeptischer Miene. Dabei würdigt Merz die historischen Verdienste von Olaf Scholz und demonstriert so, wie ein respektvoller, demokratischer Umgang miteinander aussehen kann", lobt der TAGESSPIEGEL.
Die BADISCHEN NEUESTEN NACHRICHTEN stellen fest: "Zu besichtigen war die Verwandlung des Oppositionellen und zuweilen Scharfmachers zum wohlbedachten Verantwortungsträger. Das zeigte sich nicht nur im Duktus, sondern auch inhaltlich, etwa dann, wenn Merz seinem Vorgänger, den er als `Klempner der Macht' tituliert hatte, für die Führung in schwierigen Zeiten dankte. Deutlich zeigt sich die Merz-Metamorphose an seiner Beschreibung des Landes. Wo der Oppositionspolitiker apokalyptische Szenen entwarf, sieht derselbe Mann nun vor allem Chancen. Seine Referenz an den Wirtschaftswunder-Kanzler Ludwig Erhard mit dem Versprechen `Wohlstand für alle' wirkt allerdings schon mehr utopisch als optimistisch", bemerken die BADISCHEN NEUESTEN NACHRICHTEN aus Karlsruhe.
Die FRANKFURTER RUNDSCHAU sieht es so: "Der kräftige Schuss vor den Bug bei der im ersten Anlauf vergeigten Kanzlerwahl und die deutlichen Worte im europäischen Ausland zur deutschen Grenzpolitik haben offensichtlich Spuren hinterlassen. Merz hat sich am Mittwoch vor allem auf Bekanntes und Bewährtes zurückgezogen – aus Unionsperspektive betrachtet. Die größte Verve legte der neue Kanzler dabei auf die Außenpolitik. Doch auch hier: Viel Ankündigung, wenig Konkretes, wenn man mal davon absieht, dass die Bundeswehr zur stärksten konventionellen Armee Europas werden soll. Aber was bedeutet es denn nun, dass man die Ukraine `ohne Wenn und Aber` gegen den russischen Aggressor unterstützt? (...) Bei Wirtschaft, Sozialem und dem Rest der Innenpolitik arbeitete Merz mehr oder weniger kleinteilig die Spiegelstriche ab, die man bereits aus dem Koalitionsvertrag kennt", findet die FRANKFURTER RUNDSCHAU.
Die RHEIN-NECKAR-ZEITUNG aus Heidelberg bemängelt: "Der Kanzler setzte kein überraschendes Thema, betonte sogar, dass diese Koalition nicht im Geringsten die Absicht habe, ideologische Projekte zu verfolgen. Dabei wird genau das von Merz erwartet."
Der WESER KURIER aus Bremen widerspricht: "Statt sofort das Fehlen einer großen Vision zu bekritteln, sollte man der neuen Regierung eine faire Chance geben. Denn die Menschen wären zur Abwechslung ganz glücklich, wenn die anstehenden Probleme professionell und geräuschlos gelöst würden.“
Die TAZ stellt heraus: "Auffällig ist, dass dem Kanzler zum Klima wenig einfällt. Der Klimawandel scheint, verglichen mit der in grellen Farben gemalten Bürokratie, ein harmloses Phänomen zu sein. Seine Regierungserklärung fügt sich nahtlos in dieses Bild. Zudem mixt sie Appelle (mehr arbeiten!)mit dem nicht sonderlich originellen Versprechen, gut zu regieren. Ob SPD und Union das ohne dauerndes Funkensprühen gelingt, ist zweifelhaft. Arbeitsministerin Bärbel Bas will 15 Euro Mindestlohn politisch anordnen, Merz lehnt das ab. So früh so viel Dissens ist kein gutes Zeichen", betont die TAGESZEITUNG.
Die FREIE PRESSE aus Chemnitz schreibt: "Schwarz-Rot hat mit einem Widerspruch zu kämpfen, der kaum aufzulösen ist. Die Bindung an die Parteien der politischen Mitte ist geringer geworden, auch diejenigen, die sich einstmals Volksparteien nannten, erreichen eine immer kleinere Wählerschaft. Das führt einerseits zu einem höheren Profilierungsbedarf der einzelnen Parteien. Andererseits müssen sie immer stärker zusammenarbeiten, um auf Mehrheiten zu kommen. Wenn das Schwarz-Rot besser gelingt als der Ampel, wäre schon viel gewonnen. In Merz’ Bemühen, präsidial aufzutreten und Kanzler aller Deutschen zu sein, lässt sich ein erster Hoffnungsschimmer finden", argumentiert die FREIE PRESSE.
Das STRAUBINGER TAGBLATT meint: "Ganz am Ende seiner mehr als einstündigen Erklärung wurde der Kanzler dann doch noch ein bisschen pathetisch, indem er fast beschwörend betonte, dass Deutschland seine Herausforderungen `aus eigener Kraft heraus' bewältigen könne, es `liegt nur an uns selbst`. Merz hat hier aber einen Punkt, denn dieses Land kann mehr, man muss es nur machen lassen. Dafür den Rahmen zu schaffen mit Verlässlichkeit und Planbarkeit, das ist die größte Aufgabe dieser Regierung, daran wird sie gemessen werden. Der Erfolg der deutschen Wirtschaft hängt von vielen Faktoren ab, aber die Standortbedingungen können und müssen wieder verbessert werden. Den Sozialstaat zukunftssicher machen, die Verwaltung modernisieren, bezahlbarer Wohnraum oder Sicherheit im öffentlichen Raum - das alles sind bislang nur Versprechen des Kanzlers. Jetzt muss er liefern", fordert das STRAUBINGER TAGBLATT.
Nun zur Annäherung zwischen den USA und Syrien. US-Präsident Trump hat angekündigt, alle Sanktionen gegen das Land aufzuheben. Zudem kam er in Saudi-Arabien mit dem syrischen Übergangspräsidenten al-Scharaa zusammen. Dazu notiert die WELT: "Das Treffen ist ein Symbol für die atemberaubend schnelle Normalisierung, die das islamistische Regime nach dem Sturz des Diktators Baschar al-Assad erfahren hat.Westliche Länder überschlagen sich geradezu dabei, Syrien vom Paria zum integralen Teil der internationalen Ordnung zu machen. Tatsächlich mutet diese Eile naiv an. Die Massaker an Alawiten und die Angriffe auf die drusische Minderheit zeigen, dass es innerhalb der ehemaligen islamistischen Rebellenkoalition finstere Elemente gibt, denen ein syrischer Pluralismus von Ethnien und Glaubensgruppen ein Dorn im Auge ist. Deshalb ist es wichtig, al-Scharaa nicht zu schnelle und nicht zu weitreichende Zugeständnisse zu machen. Zu oft hat sich gezeigt, was Islamisten anrichten, wenn der Westen seine Druckmittel aus der Hand gibt", erinnert die Zeitung WELT.
Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG wirft ein: "Es gibt berechtigte Vorbehalte gegen al-Scharaa, es gibt gute Gründe zu fragen, wie ernst er es meint mit dem Schutz der Minderheiten in Syrien. Letztlich muss man es aber mit ihm versuchen. Die meisten Syrer wollen es, auch die Minderheiten haben immer gesagt: Weg mit den Sanktionen. Bald sollen die syrischen Banken wieder Zugang zum internationalen Finanzsystem bekommen, sollen alle Fluglinien wieder Damaskus ansteuern dürfen und Unternehmen Filialen aufmachen. Im Ergebnis ist das Ende der Sanktionen auch ein Signal an Iran: Seht her, es lohnt sich, sein Verhalten zu ändern. Und es ist ein weiterer Deal, der ohne Israel passiert, das lieber ein schwaches Syrien will, einen gescheiterten Staat, den es nach Belieben besetzen und bombardieren kann", analysiert die SZ.
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG unterstreicht: "Eine Demokratie gibt es vorerst nicht in Syrien, der Zusammenhalt des Landes ist ungewiss, die Sicherheitslage dürfte prekär bleiben. All das spricht aber nicht dafür, dass sich der Westen zurückhält. Das alte Denken, dass Entwicklungshilfe eine Belohnung auf dem Weg zum liberalen Musterstaat ist, hat nur dazu geführt, dass sich Russland oder China in gescheiterten und isolierten Staaten festsetzen konnten. Syrien hat eine Chance verdient, und wenige Länder haben an einer Verbesserung der dortigen Lage ein so großes Interesse wie Deutschland. Rückkehrwillige Flüchtlinge brauchen eine Perspektive, und noch immer kommen viele Asylbewerber aus dem Land."