27. Mai 2025
Die Presseschau aus deutschen Zeitungen

Heute mit Kommentaren zur Chefin der Grünen-Jugend, Jette Nietzard, zu den Urteilen im VW-Dieselskandal-Prozess sowie zur Lage im Gazastreifen und den jüngsten Äußerungen von Bundeskanzler Merz dazu.

Rauch über zerstörten Häusern im Gazastreifen.
Israels Angriffe im Gazastreifen lösen immer mehr Kritik aus. (picture alliance / ASSOCIATED PRESS / Ariel Schalit)
Die MÄRKISCHE ODERZEITUNG aus Frankfurt (Oder) konstatiert: "Der Drahtseilakt, den Merz aktuell vollführen muss, ist fast ohne Beispiel. Wie sagt man als Regierungschef einem befreundeten Staat, dessen Sicherheit man zur Richtschnur staatlichen Handelns erklärt hat, dass er zu weit gegangen ist? In Europa wird inzwischen die Sorge immer deutlicher spürbar, dass man sich als Verbündeter Israels potenziell mitschuldig macht, wenn man zu den hungernden Kindern im Gazastreifen schweigt. Auch der Bundeskanzler hat das jetzt verstanden. Denn auch er kann sehen, dass mit jedem getöteten Zivilisten nicht nur das Mitleid in der Welt wächst, sondern auch die Wut unter den Palästinensern – und damit die Zahl radikaler Israel-Hasser. Die könnten auf Dauer die Sicherheit Israels noch viel stärker bedrohen, als es die Hamas je vermocht hat", befürchtet die MÄRKISCHE ODERZEITUNG.
Die FREIE PRESSE aus Chemnitz hat eine klare Forderung: "Deutschland stand nach den bestialischen Angriffen der Hamas vom 7. Oktober 2023 richtigerweise an der Seite Israels. Doch an den katastrophalen Zuständen in Gaza zeigt sich: Deutschland muss seinen Kurs nun trotzdem ändern. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt bedeutet das, dass die Lieferung von Waffen ausgesetzt werden sollte, die im Krieg in Gaza eingesetzt werden."
DIE GLOCKE aus Oelde ist skeptisch, ob ein Stopp der Waffenlieferungen an Israel sinnvoll ist: "Ein Stopp muss diskutiert werden, allerdings sollte dies nur die letzte Option sein. Die Bundesregierung muss sich weiterhin bemühen, durch Diplomatie die israelische Regierung dazu zu bewegen, genügend Hilfslieferungen zuzulassen und die Zivilbevölkerung zu schonen. Würde die Bundesregierung die Waffenexporte beenden, würde das vermutlich nur die Gespräche mit der israelischen Regierung erschweren, ohne dass sich die Lage der Bevölkerung im Gaza-Streifen verbessern würde."
Die NÜRNBERGER NACHRICHTEN mahnen: "Auch wenn es auf wenig Verständnis stoßen dürfte: Derzeit geht es mit Blick auf die Lage im Gaza-Streifen nicht um 'große Politik', es geht auch nicht um Antisemitismus, es geht vielmehr um Menschenleben."
Die FRANKFURTER RUNDSCHAU merkt an: "Lieber spät als gar nicht kritisiert Kanzler Friedrich Merz Israels Militäroperationen im Gazastreifen und fällt damit in den lauter werdenden Chor in Europa mit ein. Doch so berechtigt die Kritik von EU, Teilen der SPD und anderen an den teils völkerrechtswidrigen Operationen der Regierung von Benjamin Netanjahu ist, so unausgegoren ist sie. Das weckt den Verdacht, dass es einigen gar nicht darum geht, das komplexe Problem mit zielführenden Ideen zu lösen, sondern vielmehr darum, beim heimischen Publikum zu punkten."
Das STRAUBINGER TAGBLATT sieht es anders: "Netanjahu wird reagieren. Denkbar ist, dass er auf den Holocaust, den Völkermord der Nationalsozialisten an den Juden, verweist. Verbunden mit dem Rat, Deutschland möge sich vor diesem Hintergrund doch bitte heraushalten. Aber Merz hat alles richtig gemacht. Seine Kritik zielt auf die israelische Regierung mit ihren teils rechtsradikalen Ministern. Die Staatsräson hat der Kanzler nicht infrage gestellt. Deutschland steht, auch das ist seine Botschaft, weiterhin für die Sicherheit Israels ein", erläutert das STRAUBINGER TAGBLATT.
Auch die AUGSBURGER ALLGEMEINE gibt Merz Rückendeckung: "Der Kanzler hat das israelische Vorgehen im Gazastreifen deutlich kritisiert und eine Verletzung des Völkerrechts durch die Regierung von Benjamin Netanjahu festgestellt. Merz hat damit einerseits persönlichen Mut bewiesen. Andererseits war seine Erklärung unausweichlich."
Die VOLKSSTIMME aus Magdeburg beschäftigt sich ebenfalls mit Merz, allerdings mit dessen Finnland-Reise: "Es steht Deutschland gut an, dass der Bundeskanzler beim nordischen Gipfel in Finnland Präsenz zeigt. Die Nordost-Flanke der Nato ist für Deutschland hochinteressant, wirtschaftlich und militärisch. Wenn der US-Präsident seine Finger nach Grönland ausstreckt, erwartet Dänemark von Deutschland, sich in die Phalanx gegen eine mögliche Annexion einzureihen."
Die Urteile im VW-Dieselskandal-Prozess sind Thema in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG. Das Blatt kritisiert, dass das Verfahren, in dem mehrere Verantwortliche des Autokonzerns zu Gefängnisstrafen verurteilt wurden, vier Jahre gedauert hat: "Das kann das Vertrauen in den Rechtsstaat untergraben. Denn für normale Bürger ist nicht ersichtlich, warum sie wegen kleinerer Vergehen zügig abgestraft werden, während hoch bezahlte Manager mit ihren Anwälten die Verfahren in die Länge ziehen können. Um schneller zu werden, müssen Ermittlungsbehörden mehr Personal bekommen. Die Behörden müssten außerdem enger kooperieren, statt in München, Stuttgart und Braunschweig am selben Themenkomplex separat zu ermitteln. In der jetzigen Struktur, das zeigt der Dieselskandal mehr als deutlich, ist Deutschland mit der Aufarbeitung großer Wirtschaftsstrafverfahren überfordert", findet die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG.
"Volkswagen hat mit diesen manipulierten Abgaswerten viele hintergangen", fügt die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG an und listet auf: "Kunden, die dachten, sie würden blitzsaubere Autos kaufen. Aktionäre, die glaubten, in ein integres Unternehmen investiert zu haben. Hunderttausende Mitarbeiter, die sich nichts hatten zuschulden kommen lassen – und sich plötzlich für ihren Arbeitgeber schämten. Von der Umweltbelastung ganz zu schweigen. Am schlimmsten aber ist die Hybris, die der Nährboden für diese Manipulation war. Sich einen Betrug dieser Dimension zuzutrauen, zu denken, dass man damit schon durchkommen werde – das zeigt, wie kaputt die Unternehmenskultur bei Volkswagen gewesen sein muss", betont die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG.
Die SÜDWEST PRESSE aus Ulm wirft die Frage nach der Verantwortung der Konzernspitze auf: "Wie die Befehlskette war, wird wohl niemals aufgeklärt werden. Der ehemalige VW-Chef Martin Winterkorn hatte es gar nicht nötig, Befehle zum Betrug zu geben. Er konnte unrealistische Ziele nennen, die verzweifelte Mitarbeiter möglicherweise in die Illegalität trieben. Es war genug Dampf im Kessel VW. Gehorsam und Sanktionen begünstigten den Skandal."
Zum Abschluss geht die RHEINISCHE POST auf die jüngste Provokation der Grüne-Jugend-Chefin Jette Nietzard ein. Diese hatte ein Foto von sich in einem Pullover mit dem Kürzel "ACAB" gepostet. Das Kürzel steht für "All cops are bastards" - zu Deutsch: "Alle Polizisten sind Mistkerle". Für das Düsseldorfer Blatt ist dies inakzeptabel: "Das politische Gespür und Verhalten von Grüne-Jugend-Chefin Jette Nietzard ist unerträglich und für die grüne Partei nicht tragbar. Die Grünen-Führung distanzierte sich am Wochenende öffentlich von dem jüngsten Post ihrer Grüne-Jugend-Chefin. Aber die Parteispitze sollte mehr tun: Sie sollte dafür sorgen, dass bei ihrer Jugendorganisation jemand Neues Verantwortung übernimmt. Nietzard erweist der Partei, die in der Opposition um Aufmerksamkeit und Themen ringen muss, einen Bärendienst."
Auch der KÖLNER STADT-ANZEIGER hat kein Verständnis für Nietzard: "Klar, von politischen Jugendorganisationen wird erwartet, dass sie über die Stränge schlagen. Nietzard aber fällt durch menschenfeindliche Pauschalisierungen auf und hat den demokratischen Rechtsstaat nicht verstanden. Damit schafft sie keine Räume für kritische Debatten, auch nicht über Verfehlungen der selbst gefährdeten Polizei, sondern schließt sie. Der Schaden für die Grünen ist maximal. Das gilt umso mehr, als Einsicht fehlt. Jette Nietzard verweist vielmehr darauf, dass sie 'als Privatperson' agiert habe. Der Satz 'Alle Bullen sind Schweine' bleibt damit stehen. Das ist untragbar. Und sie ist es ebenfalls." Mit dieser Stimme des KÖLNER STADT-ANZEIGERS endet die Presseschau.