07. November 2025
Die Presseschau aus deutschen Zeitungen

Beachtung findet eine Studie der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung mit dem Titel "Die angespannte Mitte - Rechtsextreme und demokratiegefährdende Einstellungen in Deutschland". Kommentiert wird zudem die Reaktion auf einen politisch motivierten Brandanschlag auf das Auto eines AfD-Abgeordneten. Im Mittelpunkt steht jedoch das Spitzentreffen zur Lage der deutschen Stahlindustrie. Bundeskanzler Merz sieht die Branche in einer Existenzkrise und will die Stahlindustrie auch mit Schutzzöllen unterstützen.

Bundeskanzler Friedrich Merz nimmt neben Lars Klingbeil, Bundesminister der Finanzen, Gunnar Groebler, Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl, und Jürgen Kerner, 2. Vorsitzender der IG Metall, an der Pressekonferenz nach dem "Stahlgipfel" teil.
Stahlgipfel im Kanzleramt (Michael Kappeler / dpa / Michael Kappeler)
Dazu schreiben die Zeitungen der MEDIENGRUPPE BAYERN: "Da ist nicht von ein paar Prozent die Rede. Nein, von bis zu 50 Prozent Zöllen spricht man. Die Menge an Stahl, die zollfrei nach Europa kommen kann, soll fast halbiert werden. Euphemistisch nennt man das Schutzzölle. Doch eigentlich ist es Abschottung. Es ist dem Kanzler schwer gefallen, sich dazu zu bekennen. Friedrich Merz ist doch im tiefsten Herzen ein Neoliberaler, einer, der den Marktkräften freien Lauf lassen will, weil er annimmt, das helfe allen am meisten. Aber nun zwingen ihn die Zeiten zum Verrat an seinen Idealen. So entdeckt er den Trump in sich. Eine bittere Ironie."
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG notiert: "Es stimmt, dass verkehrte Standortpolitik zur deutschen Stahlkrise beigetragen hat, die Trumps Handelskrieg noch befeuert. Daraus folgt aber nicht, dass die Bundesregierung dem Drängen nach Abschottung, Abnahmequoten oder Dauersubventionen nachgeben sollte. Zölle, Quoten und Stromrabatte machen aus schlechten Standortbedingungen keine guten. Schlimmer: Zollschutz und Quoten erhöhen auch die Kosten der hiesigen Abnehmer von Stahl und Stahlprodukten und gefährden deren Wettbewerbsfähigkeit. Bald werden auch sie Hilfe fordern. Diese Politik wird an Haushaltsgrenzen stoßen, ohne Wachstumschancen zu bessern", warnt die F.A.Z.
Der KÖLNER STADT-ANZEIGER bemerkt: "Ein Bekenntnis zur europäischen Stahlproduktion - wie es Friedrich Merz abgab - ist längst nicht mehr selbstverständlich. Die Industrie strahlt ökonomisches Vorgestern aus mit ihren riesigen Anlagen, archaischen Ofenfeuern, dem enormen Energiebedarf und ebensolchen Emissionen. Muss das sein, wenn die Zukunft eher von KI abzuhängen scheint? Wer das Gedankenexperiment einer Welt ohne Stahl wagt, kommt schnell zu dem Schluss: Ja, das muss wohl sein – auch, weil es sonst weder KI-Server noch das Rechenzentrum drumherum oder den Strom dafür gäbe. Es gibt gute Gründe, Stahlwerke in Europa zu erhalten – jene, die auf CO2-arme Produktion umstellen", unterstreicht der KÖLNER STADT-ANZEIGER.
Die FREIE PRESSE gibt zu bedenken: "Nimmt Deutschland sein Vorhaben ernst, die Bundeswehr massiv auszubauen, wird das viel Stahl erfordern. Dafür eine sichere Lieferkette aufzubauen, ist schwierig genug. Das zeigt sich gerade sehr deutlich: Schon bei den dringend benötigten Seltenen Erden ist man schlussendlich doch auf den Rivalen China angewiesen. Umso wichtiger ist es, eigenständig zu bleiben, wo man es derzeit noch ist", unterstreicht die FREIE PRESSE aus Chemnitz.
Weiter geht es mit der sogenannten Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung. Die FRANKFURTER RUNDSCHAU erläutert: "Alle zwei Jahre gibt die Studie repräsentativ Auskunft über die Verbreitung und Entwicklung rechtsextremer und antidemokratischer Einstellungen. Die diesjährige Untersuchung stellt zweifelsfrei fest: Wir gewöhnen uns an den Hass. Immer mehr Menschen gleiten in eine Grauzone ab, reagieren mit Ambivalenz oder Ignoranz auf rechtsextremistisches Gedankengut und verbuchen das als normal. Die Parole, die zunächst schockiert, wird beim dritten Mal zur Meinung. Das einst verbotene Symbol wird zur Provokation und schließlich zur Pose. Wir werden nicht über Nacht extrem, sondern in kleinen Schritten. Die Rechtsextremen haben verstanden, wie man die Gesellschaft desensibilisiert. Nicht in erster Linie mit Gewalt, sondern mit Gewöhnung. Die Demokratie stirbt nicht mit großem Knall. Sie stirbt leise – an zu vielen Momenten, in denen wir nicht widersprechen", schlussfolgert die FRANKFURTER RUNDSCHAU.
Die TAGESZEITUNG gibt zu bedenken: "Solche Studien funktionieren auch nach den Gesetzen der Aufmerksamkeitsökonomie. Umso alarmistischer die Demokratiegefährdung klingt, umso besser lässt sie sich medial verkaufen: Only bad news are good news. Umso erstaunlicher ist das Ergebnis der Studie 2025. Entgegen der durch die AfD-Erfolge geschürten Erwartung kippt Deutschland nicht nach rechts um. Das Bild ist anders, ja konträr. Die Zahl der harten Rechtsextremen ist von 8 auf 3 Prozent gesunken. Noch bemerkenswerter ist, dass mehr als zwei Drittel der BürgerInnen Rechtsextremismus für eine virulente Gefahr halten. Die Widerstandskräfte der Gesellschaft gegen die rechtsextremen Sirenengesänge sind viel vitaler, als es das allgemeine Lamento über die ausgedörrte, dem Untergang geweihte Demokratie erwarten lässt. Es ist indes nicht alles rosarot – so steigt die Affinität der Jüngeren für Rechtsextreme an. Aber die Erzählung vom unaufhaltsamen Aufstieg der Rechten ist falsch." Das war die TAZ.
Die RHEIN-NECKAR-ZEITUNG aus Heidelberg sieht entscheidende Unterschiede zwischen Umfragen und Wahlen. "Ganz sicher werden Wähler extremistischer Parteien für sich in Anspruch nehmen, im Grunde eine normale demokratische Partei zu wählen. Wie stark diese Fehleinschätzung ausgeprägt ist, wird sich im kommenden Jahr bei den Landtagswahlen zeigen."
Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG resümiert: "Die überwältigende Mehrheit der Deutschen empfindet das Erstarken des Rechtsextremismus als bedrohlich und wünscht sich mehr Engagement dagegen, besonders im Bereich der politischen Bildung. Fast 52 Prozent der Menschen möchten sich selbst einbringen, wissen aber nicht, wie. Das sind Bedürfnisse, auf die demokratische Politik eingehen kann und muss. Mit Phantomdebatten übers Stadtbild verschleudert sie jedoch Zeit und Energie", findet die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG.
In Hamburg hat es einen Brandanschlag auf das Auto des AfD-Abgeordneten Baumann gegeben. Der Staatsschutz geht von einer politisch motivierten Tat aus. Die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG kommentiert: "Jeder Angriff auf einen Politiker ist ein Angriff auf die Demokratie. Eine Binse – und doch muss sie wiederholt werden. Im vergangenen Jahr wurden in Deutschland rund 84.000 politisch motivierte Straftaten erfasst, so viele wie nie zuvor. AfD-Mitglieder sind am häufigsten von Gewalt betroffen. Bei Bedrohungen trifft es meist Vertreter der Grünen. Das hat Folgen: Erste Amtsträger ziehen sich aus der Politik zurück. Im Osten trauen sich Wahlhelfer linker Parteien nicht mehr alleine auf die Straße, weil sie Angst haben, zusammengeschlagen zu werden. Ein nicht hinnehmbarer Zustand. Deshalb ist es so wichtig, dass Angriffe auf Politiker, egal von welcher Partei, klar verurteilt werden. Von der Politik, der Zivilgesellschaft, den Medien. Dass beim jüngsten Übergriff auf einen AfD-Politiker viele auffällig still geblieben sind, erweckt zumindest den Eindruck, dass mit zweierlei Maß gemessen wird. Wasser auf die Mühlen der AfD. Was wäre passiert, hätten Neonazis das Auto eines Sozialdemokraten angezündet? Der Aufschrei wäre wohl groß gewesen. Und das auch völlig zu Recht", findet die OSNABRÜCKER ZEITUNG.
Ähnlich argumentiert die Zeitung DIE WELT. "Man stelle sich das Ganze jetzt umgekehrt vor: In Hamburg zünden Rechtsextreme das Auto eines linken Politikers an und feiern sich im Internet dafür. Ein rechter Mob bejubelt in einem Berliner Gericht einen rechtsextremen Attentäter. Das Land stünde Kopf. Die moralische Schieflage ist offensichtlich. Eine lautstarke, öffentlich bestens vernetzte Minderheit hat die Deutungshoheit übernommen. Sie bestimmt, wer anständig ist. Die Mehrheit schweigt. So frisst sich die 'Toleranzgesellschaft' selbst auf. Sie erliegt der Willkür derer, die sich für moralisch überlegen halten – und übersieht, dass echte Toleranz dort beginnt, wo es unbequem wird." Das war die Meinung der Zeitung DIE WELT.