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"Die Provokationstechnik ist doch eben zu einem Selbstzweck geworden"

"Der Teufel ist wirklich ein Produkt der Berliner Atmosphäre", erklärt Oskar Negt. Und sagt, dass sich aus dem Erbe Teufels keine neuen politischen und kulturellen Strategien entwickelt hätten.

Oskar Negt im Gespräch mit Stefan Koldehoff |
    "Er möchte allen Leuten die Hände schütteln, ich möchte gern mal einen Bundesminister nass machen."

    Stefan Koldehoff: Sagte der Ex-Kommunarde, Ex-Spaßrevolutionär, Ex-Untersuchungshäftling Fritz Teufel und bespritzte 1982 den damaligen SPD-Finanzminister Hans Matthöfer aus einer Wasserpistole mit Zaubertinte. Der revanchierte sich, indem er Teufel mit einem Glas Wein übergoss, und das alles in einer Talkshow zum Thema "Gutes Benehmen".

    Die Gesellschaft mit den Mitteln der Anarchie und des Humors zu demaskieren, das war eines der vielen Ziele von Fritz Teufel, der für entsprechende Aktionen mehr als einmal festgenommen wurde. Als er angeblich den US-Vizepräsidenten Humphrey mit Mehl und Pudding bewerfen wollte, als er angeblich in Berlin einen Stein nach dem Schah schmiss. Als er später dann angeblich an der Entführung des CDU-Politikers Peter Lorenz beteiligt gewesen sein soll – erst ganz am Ende des Prozesses, bei dem die Staatsanwaltschaft 15 Jahre Haft forderte, präsentierte Teufel sein Alibi. Er war nachweislich nicht beteiligt.

    In Hannover bin ich nun mit dem Sozialwissenschaftler und Philosophen Oskar Negt verbunden. Guten Abend!

    Oskar Negt: Guten Abend, Herr Koldehoff!

    Koldehoff: Herr Negt, gestern Abend ist Fritz Teufel in Berlin 67-jährig gestorben. Aus Ihrer Sicht, was war das für eine Rolle, die er in der Bonner Bundesrepublik gespielt hat? Bürgerschreck, Kabarettist, Provokateur – was war das?

    Negt: Na ja, so Bonner Bundesrepublik würde ich noch nicht einmal sagen. Der Teufel ist wirklich ein Produkt der Berliner Atmosphäre. Ich meine zum Beispiel in Frankfurt bei uns spielte das überhaupt gar keine Rolle. Wir haben ihn belacht und belächelt, und selbst Rudi Dutschke - ich habe noch mal die Passagen in seiner Biografie nachgelesen - an den er sich so ein bisschen gehängt hatte, nahm ihn natürlich politisch nicht wirklich ernst.

    Koldehoff: War das, was er tat, denn aus Sicht der alten Bundesrepublik politisches Agieren?

    Negt: Nein, war nicht. Ich meine, die Angespanntheit der Situation in Westberlin war eben so, dass das dortige Herrschaftssystem überhaupt keinen Spaß verstand. Das heißt also, das, was Teufel, Kunzelmann und andere machen wollten mit fiktiven theatralischen Mitteln, gewissermaßen das Herrschaftssystem auf den Punkt zu bringen, von dem sie glaubten, dass es gebracht werden müsste, um sich zu demaskieren, ist natürlich in Westberlin absolut gelungen, aber hatte in keiner Stadt also Westdeutschlands irgendwelche Resonanz.

    Koldehoff: War es denn in Berlin ernst gemeint, dieser Spaß, oder war es tatsächlich nur die Provokation? Stand eine Überzeugung dahinter?

    Negt: Das ist ja das Problem, dass viele dieser Leute aus der politischen Leere, also mit zwei e geschrieben, dann doch die Stärke der Guerilla suchten und sich vollsaugten auch mit wirklichen Waffen. Es ist ja nicht so, dass das harmlos blieb. Und da sind natürlich Tragödien produziert worden. Also eine Tragödie ist sicherlich Fritz Teufel, den ich ganz kurz einmal gesehen habe und gesprochen habe. Eigentlich ein hochanständiger und angenehmer Mensch. Ist immer stärker durch die Kommune 1 und durch andere Dinge immer stärker auch in den Terrorismus zusammengeraten.

    Koldehoff: Er wurde 1975 mit geladener Waffe im Hosenbund festgenommen ...

    Negt: Genau, genau.

    Koldehoff: ... Weggefährten von ihm gingen in den Untergrund, stellten das Gewaltmonopol des Staates infrage. Was ist da gekippt, was hatte sich da verändert zu diesem Zeitpunkt?

    Negt: Na ja, ich meine, diese Identifikation mit den Guerillataktiken der Dritten Welt, ich meine die Befreiungsmythologie der Dritten Welt, spielt natürlich für uns alle damals eine große Rolle. Und wenn das nicht politisch kalkuliert ist, diskutiert ist, also wie Rudi Dutschke und Krahl in Frankfurt und viele andere, die da einbezogen waren durch das sozialistische Büro auch - die haben natürlich die Übertragungen reflektiert und gebrochen auch. Während bei manchen Leuten, die so als politische Spaßvögel aufgetreten sind, selbst noch die wirkliche Bewaffnung als eine Art, ja, was haben die dagegen, wenn man mal spaßeshalber mit Pistolen rumläuft, die Unernsthaftigkeit, mit der hier die Eulenspiegeleien produziert wurden. Dafür hatte natürlich das System kein Verständnis, absolut nicht das geringste Verständnis. Und in Westberlin viel weniger als in Frankfurt, wo auch die Studenten mit den Talaren auf der Kaiserstraße rumgefahren sind und eher zum Spaß das System provozierten. Und die Reaktionen der Polizei sind aber ganz andere gewesen.

    Koldehoff: Herr Negt, ganz kurz zum Schluss: Hat sich Fritz Teufel um diesen Staat verdient gemacht?

    Negt: Nein. Also ich meine, es ist schwierig, die Frage zu beantworten. Ich glaube nicht, nein. Ich meine, die Provokationstechnik ist doch eben zu einem Selbstzweck geworden und hat keine politischen Strategien oder kulturellen Strategien eröffnet.

    Koldehoff: Der Soziologe und Philosoph Oskar Negt zum Tod von Fritz Teufel. Vielen Dank nach Hannover!