Der Weg führt durch das karge Alltagsleben der Bauern im noch vorindustriellen Schweden des 19. Jahrhunderts bis hinein in die Gegenwart, in der junge Einwanderer nach ihrer Identität im Land der Seen suchen. Geschichte und Gegenwart Schwedens scheinen auf.
Den Zauber einer sagenumwobenen Seenlandschaft beschwört Selma Lagerlöf, einen Kontrapunkt zur schwedischen Idylle setzt der 1964 geborene Autor Carl-Johan Vallgren, der in einem bösartigen Rundumschlag Thomas-Bernhard-gleich wider seine Heimat vom Leder zieht ... "Ich atme die Luft der Bücher. Sie ließen mich Dinge sehen, die ich selbst nicht sehen konnte, und Menschen begegnen, die intensiver und dramatischer lebten als ich", so Olof Lagercrantz über die Kraft der Literatur, die Wirklichkeit zu verstehen, ohne sich von ihr erdrücken zu lassen. Eine 'Lange Nacht' über schwedische Literatur "und Geschöpfe, Natur oder Gedanken, die ein anderer gedacht hat, kürzlich oder vor tausend Jahren".
Auszug aus dem Manuskript:
"Jedes Wort besteht aus Buchstaben. Ich beobachtete einmal einen Einjährigen, der einem Schmetterling nachrannte und e-li rief, eben das, was er von dem Wort Schmetterling zustande brachte. Ich fragte mich damals, ob das Insekt im Bewusstsein des Einjährigen voll entwickelt war oder ob die Flügel des Schmetterlings sich erst dann in ihrer ganzen Pracht entfalteten, wenn auch das Wort seine Form erhalten hatte."
In dieser Sendung versuchen wir ein paar von diesen "Schmetterlingen” zu fangen, um es mit den Worten aus Olof Lagercrantz Buch "Die Kunst des Lesens und Schreibens" zu sagen. Schwedische Literatur steht vor allem für Kinderbücher und Krimis, dabei gibt es natürlich viel mehr. Es gibt wirklichkeitsnahe Schilderungen, es gibt Bücher mit versteckten Botschaften, und andere mit klaren Zielen. Es gibt Gedichte, die zumindest zu der Zeit, als sie geschrieben wurden, bahnbrechend waren, es gibt Texte mit finsteren Zukunftsperspektiven, welche, die sich lustig machen wollen und einfach schöne Erzählungen. Aus Schweden kommen viele Krimis, aber eben nicht nur Krimis.
"Meine ersten Schritte nach Skandinavien, die haben mich nach Schweden geführt, und auch das Studium in der schönen Universitätsstadt Lund hat mich damals sehr begeistert ( ... ) und die Schwedische Literatur ist wirklich eine, die mir sehr viel bedeutet."
Sophie Wennersscheid ist Skandinavistin und Literaturwissenschaftlerin. Sie wird uns durch die Sendung führen: vom Ende des 19. Jahrhunderts, als es eine bahnbrechende Neuigkeit war, in der Literatur Alltag zu beschreiben, durch die 30iger, in denen die Literatur versuchte, eine neue Gesellschaft zu entwerfen, bis heute, wo es in Büchern häufig um die eigene Person geht.
http://www.sophie-wennerscheid.de/
und
http://www.uni-muenster.de/NordischePhilologie/Mitarbeiter/Wennerscheid/index.html
Sophie Wennerscheid (Hg.): Sentimentalität und Grausamkeit - Ambivalente Gefühle in der skandinavischen und deutschen Literatur der Moderne
Reihe: Skandinavistik. Sprache - Literatur - Kultur
LIT-Verlag, 2011.
Dass wir als LeserInnen eines literarischen Textes emotional und intellektuell affizierbar sind, ist der vielleicht spannendste Effekt ästhetischer Erfahrung. Der vorliegende Band versammelt Beiträge, die untersuchen, wie erzähltechnisch auf eine solche Erregung hingearbeitet wird und inwiefern es das Kennzeichen moderner Literatur ist, dass gerade so scheinbar entgegengesetzte Gefühlsbereiche wie Sentimentalität und Grausamkeit ineinander geschoben werden. Im Zentrum des Interesses stehen Texte von skandinavischen und deutschsprachigen AutorInnen wie Knut Hamsun, Hans Henny Jahnn, Karen Blixen, Franz Kafka u.v.m.
Sophie Wennerscheid: Das Begehren nach der Wunde - Religion und Erotik im Schreiben Kierkegaards
352 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
Berlin: Matthes&Seitz, 2008.
Auszug aus der verwendeten Literatur in der Sendung:
Lars M Andersson und Lena Amurn : Sveriges historia i artal
Historisk Media 2006
Olof Lagercrantz: Om konsten att läsa och skriva - Die Kunst des Lesens und des Schreibens
Ü: Angelika Gundlach
Suhrkamp Verlag 1988
Wilhelm Moberg: Utvandrarna - Die Auswanderer. Bauern ziehen übers Meer
Ü: Dietrich Lutze
Büchergilde Gutenberg Frankfurt am Mein/Wien,1992
Selma Lagerlöf: Gösta Berling
Ü:Pauline Klaiber
Verlag Neues Leben, 1948
Moa Martinson: Kvinnor och äppleträd, Natur och Kultur 1933
Frauen und Apfelbäume
Ü:Birgitta Kicherer
Atrium Verlag Zürich, 2007
August Strindberg: En dres försvarstal - Plädoye eines Irren
Ü:Hans-Joachim Maass
Kiepenheuer und Witsch, 1977
Gunnar Ekelöf
Ü: Klaus-Jürgen
Liedtke Kleinheinrich, 2003
Spät auf Erden (1932)
Im Herbst (1951)
Non Serviam (1945)
An die Volksheimischen
Das merkwürdige Land
1 den tiden, 1933
ALBERT BONNIERS FÖRLAG AB
Per Lagerkvist: In dieser Zeit (1994)
P.Kirchenheim Verlag München
Erik Gloßmann: Spektrum - den svenska drömmen Johan Svedjedal
Wahlström & Widstrand, 2011
Edith Södergran: Feindliche Sterne
Ü:Karl R Kern und Marguerite Schlüter
Limes Verlag 1977
Karin Boye: Kallocain
Reclam-Verlag Leipzig 1992
Ü:Helga Thiele
Carl-Johan Vallgren
Ü: Angelika Gundlach
Claassen Verlag, 2001
Jonas hassen Khemiri Das Kamel ohne Höcker - ett öga rött (2003)
Ü: Susanne Dahmann
Piper Nordiska, 2006
Lars Norn: Die Bienenväter
Suhrkamp taschenbuch, 1970
Per-Olaf Enqvist: Nedstörtad ängel - Gestürzte Engel
Ü:Wolfgang Butt
Carl Hanser Verlag, 1987
Musikliste
Peteris Vasks:
Weiße Landschaft.
Ulrike Mai, Klavier
Polska from Östra Ryd
Laurie Hart, Sarah Cummings, Geige
Henrik Strindberg:
Ursprung/Glantor
Kroumata-Percussion Ensemble
Ach Värmeland
John Godtfrezen, Bengt Vigg
Harlekin
Henning Mankell:
Three legends
Anna Christensson, Klavier
Carl Michael Bellman
Träd from du nattens Gud
Anna Emilsson, Gesang, Jacob Lindberg, Gitarre
Dag Wiren
Marsch, 4. Satz aus der Serenade op. 11
Henrik Strindberg:
Ursprung/Glantor
Kroumata-Percussion Ensemble
Dag Wiren
2. Satz aus der Serenade op. 11
Guildhall String Ensemble, Leitung: Robert Salter
Dag Wiren
Marcia, 4. Satz aus der Serenade op. 11
Guildhall String Ensemble,
Leitung: Robert Salter
Henning Mankell
Atlantis aus: Three legends
Anna Christensson, Klavier
Peteris Vasks
Weiße Landschaft.
Ulrike Mai, Klavier
Nils Landgren
Midsommervarka from swedish rhapsody Nr.1 von Hugo Alfven
Nils Landgren, Posaune, Esbjörn Svensson, Klavier
Sa Skimrande
Johanna Grüssner, Sopran
Sa Skimrande
Andy Scherrer, Bänz Oester, Marianne Gravnik, Norbert Pfammatter
Nils Landgren:
Free Nils
Nils Landgren, Posaune, Esbjörn Svensson, Klavier
Arve Henrikson/Jan Bang:
Migration
Arve Henrikson, Trompete, Jan Bang, Bass
Michy Mano, Bugge Wesseltoft,
Music is Bigger than me
Michy Mano, Bugge Wesseltoft (Klavier)
Michy Mano, Bugge Wesseltoft,
Wa Moulana
Michy Mano, Bugge Wesseltoft (Klavier)
Peteris Vasks:
Weiße Landschaft.
Ulrike Mai, Klavier
Jag Yet En Dejlig Rosa
Victorya Tolstoi, Gesang, Jacob Karlzon, Klavier, Lars Danielsson, Cello, Peter Danemo, Percussion, Ulf Wakenius, Gitarre, Nils Landgren, Posaune
Auszug aus dem Manuskript:
Jeder Einwohner Schwedens besucht durchschnittlich acht Mal im Jahr die öffentlichen Bibliotheken. Jede Schule hat eine eigene Bibliothek. Es wird beschlossen, dass schwule und lesbische Paare in einer eigenen Zeremonie in der Kirche gesegnet werden können. Kronprinzessin Viktoria heiratet ihren Personal-Trainer Daniel und sie bekommen ein Kind.
Loreen gewinnt das Eurovisionschlagerfestival mit Euphoria.
Wennerscheid: "Und natürlich haben wir jetzt sozusagen die zweite oder dritte Generation von Einwanderern, die mit einem Selbstbewusstsein, wie Khemiri es auch hat, auftreten können und jetzt ihre Geschichte oder Geschichte ihrer Generation erzählen können und, aber das möchte ich noch mal wieder betonen, eben es wirklich auf literarisch interessante und intelligente Art und Weise machen.
Sie erzählen uns nicht einfach das echte migrantische Leben, sondern sie tun das in literarisch reflektierter Weise und dem Leser, der Leserin obliegt es immer mitzudenken und sich seine eigenen Bilder und Ideen dazu zu kreieren und das ermöglicht diese Literatur, weil sie nicht simpel und (ein) gradlinig eine Geschichte erzählt, sondern Freistellen in den Texten hat, wo jede als Leser aktiv werden muss, und das ist auch ein Gedanke, den Lagercrantz stark in seinem Buch gemacht hat."
Olof Lagercrantz: "Ich beobachtete einmal einen Einjährigen, der einem Schmetterling nachrannte und e-li rief, eben das, was er von dem Wort Schmetterling zustande brachte. Ich fragte mich damals, ob das Insekt im Bewusstsein des Einjährigen voll entwickelt war oder ob die Flügel des Schmetterlings sich erst dann in ihrer ganzen Pracht entfalteten, wenn auch das Wort seine Form erhalten hatte. Die Antwort weiß ich nicht."
In den Bibliotheken gibt es nicht nur Bücher in mehr als 60 Sprachen, sondern auch Musik, Computerspiele, Filme, Zeitschriften, Comics, Tageszeitungen, es gibt auch Ausstellungen, Veranstaltungen und Kurse. Ein Stadtbibliothek hat in etwa eine Million Besucher pro Jahr. Es gibt freies WLAN und manche ziehen sich die Schuhe aus, wenn sie lesen.
Sophie Wennersscheid: "Wenn man danach fragt, ob Literatur gesellschaftliche Wirkung hat, diese Frage lässt sich sehr schwer beantworten, weil ich glaube diese Wirkung ist nie so eins zu eins in der Gesellschaft abzulesen. Das, was Literatur in erster Linie machen kann, ist, dass sie ihre Leser, ihre Leserinnen gedanklich in Bewegung setzt und je mehr Publikum oder eine je größere Anzahl von Einzellesern gedanklich in Bewegung gesetzt wird, desto mehr passiert auch auf der gesamtgesellschaftlichen Ebene. Ich glaube, die meiste Literatur, die kann es schaffen zu provozieren und zum Nachdenken anzuregen, es muss nicht gleich in Gesetzesänderungen oder Reformen sich darstellen oder da den Effekt zeitigen, es ist ein langsamer Prozess, aber ein Prozess, in dem Literatur ganz bestimmt eine wichtige Rolle spielt."
Hassen Khemiris: "Heute habe ich eine Theorie über Schweden und Ausländer an der Schule rausphilosophiert. Man kann sagen, dass es drei Sorten Schweden gibt. Erst mal sind da die Luxusschweden, die Mafia spielen, aber auf Schwedenart. Die haben teure Marken an, deren Logos aber trotzdem kleiner und nicht so gut sichtbar sind wie die teuren Ausländer-Marken (die Kanaken spielen reich sein einfach ehrlicher). Die Luxusschweden haben Östra-Kleider mit echtem Lacoste und niemals eine Diesel aus Estland. Als Beispiel kann man Philip nehmen, der oft mit einem weißen Poloshirt zur Schule softet, oder Anna und Jessica, die glänzende Weiberstiefel haben und niemals fettige Haare. Auch Lena und Peder gehören dazu, denn die würden es nie wagen, Kleider zu tragen, die auffallen.
Trotzdem sind die Luxusschweden echt wenige, denn fast alle in der Schule gehören zu den Flippies, die in Zigeunerklamotten rumlaufen mit kaputten Lederjacken und Jeans mit maximal vielen Löchern. Oft herrscht bei denen in den Haaren totales Chaos, und die Mädchen haben manchmal lange rote Samtröcke und karierte Strümpfe. Wenn man einer von denen werden will, dann muss man sagen, die Russen machen die beste Poesie und man muss Bob Hund hören anstelle von Snoop Doggy Dogg.
Außerdem muss man wie David, Stefan und Karro ganz stolz verkünden, dass man die Kleider im Secondhand gekauft hat! Klar, dass da kein Kanake dabei sein will, außer Mårten (dessen Eltern aus Polen kommen).
Nicole gehört auch dazu, aber sogar die Flippies kucken schon mal schief, wenn sie in Gummistiefeln mit orangefarbenem Overall zur Schule schlurft (auch die haben eben ihre Grenzen). Außerdem fange ich an zu glauben, dass die Flippies auch falsch spielen, denn die haben immer jede Menge Kohle für die Pause und so, und von den Eltern sitzt keiner im Knast oder geht putzen.
Die dritte Sorte Schweden sind die aus der Tanzklasse, die sieht man aber nicht oft in der Schule, denn die meiste Zeit hängen sie oben im Ballettsaal rum und trainieren Drehungen. Die Mädels sind superdünn und haben einen Dutt, und die Typen sind vielleicht vier oder fünf pro Klasse und reichen auf dem Schulfoto immer ein Lächeln rein wie richtige Schwule. Alle aus der Tanzklasse gehen mit den Zehen nach außen und einem Rücken so grade wie das krasseste Brett.
Ausländer gibt es auf der Schule nicht so viele, aber trotzdem gibt es von denen zwei Varianten. Nummer eins sind die üblichen Ausländer: Lans, Diebe, Schieber und Stressmacher. Als Beispiel kann man Sebastian und Angelo nehmen. In Skäri war das Beste Beispiel Alonzo, denn der hat Juan gezeigt, wie man beim Kiosk Kaugummi für 50 Öre kauft, nachdem man Snickers und Twix in den Jackenärmel hat verschwinden lassen. Von ihm weiß ich, wie man Zivilbullen in Menschenmengen erkennt und wie man Soft-Air-Pistolen zu richtigen Waffen frisiert.
Ausländersorte Nummer zwei sind die Fleißtypen, die für Tests lernen und feine Wörter benutzen und niemals schwarzfahren oder was klauen. Als Beispiel haben wir die Zwillinge Faud und Fadi und alle anderen Iraner, die die Lehrer schmieren und Zahnärzte und Ingenieure werden wollen. Sie glauben, sie werden respektiert, aber eigentlich lachen alle Lehrer nur über die, denn jeder merkt, dass die nicht klarkommen.
Aber heute habe ich rausphilosophiert, dass es noch eine dritte Sorte Ausländer gibt, die ganz allein steht, und das ist die, die von den Schweden am meisten gehasst wird: der Revolutionskanake, der Gedankensultan, der alle Lügen durchschaut und sich nie leimen lässt. Ungefähr wie al-Kindi, der alle Codes knackte und mehrere Tausend voll harte Bücher über Astronomie und Philosophie und auch noch über Mathe und Musik schrieb. Letztes Jahr war ich wohl mehr der Lan, aber von heute an schwöre ich, dass ich der Gedankensultan sein werde."
Den Zauber einer sagenumwobenen Seenlandschaft beschwört Selma Lagerlöf, einen Kontrapunkt zur schwedischen Idylle setzt der 1964 geborene Autor Carl-Johan Vallgren, der in einem bösartigen Rundumschlag Thomas-Bernhard-gleich wider seine Heimat vom Leder zieht ... "Ich atme die Luft der Bücher. Sie ließen mich Dinge sehen, die ich selbst nicht sehen konnte, und Menschen begegnen, die intensiver und dramatischer lebten als ich", so Olof Lagercrantz über die Kraft der Literatur, die Wirklichkeit zu verstehen, ohne sich von ihr erdrücken zu lassen. Eine 'Lange Nacht' über schwedische Literatur "und Geschöpfe, Natur oder Gedanken, die ein anderer gedacht hat, kürzlich oder vor tausend Jahren".
Auszug aus dem Manuskript:
"Jedes Wort besteht aus Buchstaben. Ich beobachtete einmal einen Einjährigen, der einem Schmetterling nachrannte und e-li rief, eben das, was er von dem Wort Schmetterling zustande brachte. Ich fragte mich damals, ob das Insekt im Bewusstsein des Einjährigen voll entwickelt war oder ob die Flügel des Schmetterlings sich erst dann in ihrer ganzen Pracht entfalteten, wenn auch das Wort seine Form erhalten hatte."
In dieser Sendung versuchen wir ein paar von diesen "Schmetterlingen” zu fangen, um es mit den Worten aus Olof Lagercrantz Buch "Die Kunst des Lesens und Schreibens" zu sagen. Schwedische Literatur steht vor allem für Kinderbücher und Krimis, dabei gibt es natürlich viel mehr. Es gibt wirklichkeitsnahe Schilderungen, es gibt Bücher mit versteckten Botschaften, und andere mit klaren Zielen. Es gibt Gedichte, die zumindest zu der Zeit, als sie geschrieben wurden, bahnbrechend waren, es gibt Texte mit finsteren Zukunftsperspektiven, welche, die sich lustig machen wollen und einfach schöne Erzählungen. Aus Schweden kommen viele Krimis, aber eben nicht nur Krimis.
"Meine ersten Schritte nach Skandinavien, die haben mich nach Schweden geführt, und auch das Studium in der schönen Universitätsstadt Lund hat mich damals sehr begeistert ( ... ) und die Schwedische Literatur ist wirklich eine, die mir sehr viel bedeutet."
Sophie Wennersscheid ist Skandinavistin und Literaturwissenschaftlerin. Sie wird uns durch die Sendung führen: vom Ende des 19. Jahrhunderts, als es eine bahnbrechende Neuigkeit war, in der Literatur Alltag zu beschreiben, durch die 30iger, in denen die Literatur versuchte, eine neue Gesellschaft zu entwerfen, bis heute, wo es in Büchern häufig um die eigene Person geht.
http://www.sophie-wennerscheid.de/
und
http://www.uni-muenster.de/NordischePhilologie/Mitarbeiter/Wennerscheid/index.html
Sophie Wennerscheid (Hg.): Sentimentalität und Grausamkeit - Ambivalente Gefühle in der skandinavischen und deutschen Literatur der Moderne
Reihe: Skandinavistik. Sprache - Literatur - Kultur
LIT-Verlag, 2011.
Dass wir als LeserInnen eines literarischen Textes emotional und intellektuell affizierbar sind, ist der vielleicht spannendste Effekt ästhetischer Erfahrung. Der vorliegende Band versammelt Beiträge, die untersuchen, wie erzähltechnisch auf eine solche Erregung hingearbeitet wird und inwiefern es das Kennzeichen moderner Literatur ist, dass gerade so scheinbar entgegengesetzte Gefühlsbereiche wie Sentimentalität und Grausamkeit ineinander geschoben werden. Im Zentrum des Interesses stehen Texte von skandinavischen und deutschsprachigen AutorInnen wie Knut Hamsun, Hans Henny Jahnn, Karen Blixen, Franz Kafka u.v.m.
Sophie Wennerscheid: Das Begehren nach der Wunde - Religion und Erotik im Schreiben Kierkegaards
352 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
Berlin: Matthes&Seitz, 2008.
Auszug aus der verwendeten Literatur in der Sendung:
Lars M Andersson und Lena Amurn : Sveriges historia i artal
Historisk Media 2006
Olof Lagercrantz: Om konsten att läsa och skriva - Die Kunst des Lesens und des Schreibens
Ü: Angelika Gundlach
Suhrkamp Verlag 1988
Wilhelm Moberg: Utvandrarna - Die Auswanderer. Bauern ziehen übers Meer
Ü: Dietrich Lutze
Büchergilde Gutenberg Frankfurt am Mein/Wien,1992
Selma Lagerlöf: Gösta Berling
Ü:Pauline Klaiber
Verlag Neues Leben, 1948
Moa Martinson: Kvinnor och äppleträd, Natur och Kultur 1933
Frauen und Apfelbäume
Ü:Birgitta Kicherer
Atrium Verlag Zürich, 2007
August Strindberg: En dres försvarstal - Plädoye eines Irren
Ü:Hans-Joachim Maass
Kiepenheuer und Witsch, 1977
Gunnar Ekelöf
Ü: Klaus-Jürgen
Liedtke Kleinheinrich, 2003
Spät auf Erden (1932)
Im Herbst (1951)
Non Serviam (1945)
An die Volksheimischen
Das merkwürdige Land
1 den tiden, 1933
ALBERT BONNIERS FÖRLAG AB
Per Lagerkvist: In dieser Zeit (1994)
P.Kirchenheim Verlag München
Erik Gloßmann: Spektrum - den svenska drömmen Johan Svedjedal
Wahlström & Widstrand, 2011
Edith Södergran: Feindliche Sterne
Ü:Karl R Kern und Marguerite Schlüter
Limes Verlag 1977
Karin Boye: Kallocain
Reclam-Verlag Leipzig 1992
Ü:Helga Thiele
Carl-Johan Vallgren
Ü: Angelika Gundlach
Claassen Verlag, 2001
Jonas hassen Khemiri Das Kamel ohne Höcker - ett öga rött (2003)
Ü: Susanne Dahmann
Piper Nordiska, 2006
Lars Norn: Die Bienenväter
Suhrkamp taschenbuch, 1970
Per-Olaf Enqvist: Nedstörtad ängel - Gestürzte Engel
Ü:Wolfgang Butt
Carl Hanser Verlag, 1987
Musikliste
Peteris Vasks:
Weiße Landschaft.
Ulrike Mai, Klavier
Polska from Östra Ryd
Laurie Hart, Sarah Cummings, Geige
Henrik Strindberg:
Ursprung/Glantor
Kroumata-Percussion Ensemble
Ach Värmeland
John Godtfrezen, Bengt Vigg
Harlekin
Henning Mankell:
Three legends
Anna Christensson, Klavier
Carl Michael Bellman
Träd from du nattens Gud
Anna Emilsson, Gesang, Jacob Lindberg, Gitarre
Dag Wiren
Marsch, 4. Satz aus der Serenade op. 11
Henrik Strindberg:
Ursprung/Glantor
Kroumata-Percussion Ensemble
Dag Wiren
2. Satz aus der Serenade op. 11
Guildhall String Ensemble, Leitung: Robert Salter
Dag Wiren
Marcia, 4. Satz aus der Serenade op. 11
Guildhall String Ensemble,
Leitung: Robert Salter
Henning Mankell
Atlantis aus: Three legends
Anna Christensson, Klavier
Peteris Vasks
Weiße Landschaft.
Ulrike Mai, Klavier
Nils Landgren
Midsommervarka from swedish rhapsody Nr.1 von Hugo Alfven
Nils Landgren, Posaune, Esbjörn Svensson, Klavier
Sa Skimrande
Johanna Grüssner, Sopran
Sa Skimrande
Andy Scherrer, Bänz Oester, Marianne Gravnik, Norbert Pfammatter
Nils Landgren:
Free Nils
Nils Landgren, Posaune, Esbjörn Svensson, Klavier
Arve Henrikson/Jan Bang:
Migration
Arve Henrikson, Trompete, Jan Bang, Bass
Michy Mano, Bugge Wesseltoft,
Music is Bigger than me
Michy Mano, Bugge Wesseltoft (Klavier)
Michy Mano, Bugge Wesseltoft,
Wa Moulana
Michy Mano, Bugge Wesseltoft (Klavier)
Peteris Vasks:
Weiße Landschaft.
Ulrike Mai, Klavier
Jag Yet En Dejlig Rosa
Victorya Tolstoi, Gesang, Jacob Karlzon, Klavier, Lars Danielsson, Cello, Peter Danemo, Percussion, Ulf Wakenius, Gitarre, Nils Landgren, Posaune
Auszug aus dem Manuskript:
Jeder Einwohner Schwedens besucht durchschnittlich acht Mal im Jahr die öffentlichen Bibliotheken. Jede Schule hat eine eigene Bibliothek. Es wird beschlossen, dass schwule und lesbische Paare in einer eigenen Zeremonie in der Kirche gesegnet werden können. Kronprinzessin Viktoria heiratet ihren Personal-Trainer Daniel und sie bekommen ein Kind.
Loreen gewinnt das Eurovisionschlagerfestival mit Euphoria.
Wennerscheid: "Und natürlich haben wir jetzt sozusagen die zweite oder dritte Generation von Einwanderern, die mit einem Selbstbewusstsein, wie Khemiri es auch hat, auftreten können und jetzt ihre Geschichte oder Geschichte ihrer Generation erzählen können und, aber das möchte ich noch mal wieder betonen, eben es wirklich auf literarisch interessante und intelligente Art und Weise machen.
Sie erzählen uns nicht einfach das echte migrantische Leben, sondern sie tun das in literarisch reflektierter Weise und dem Leser, der Leserin obliegt es immer mitzudenken und sich seine eigenen Bilder und Ideen dazu zu kreieren und das ermöglicht diese Literatur, weil sie nicht simpel und (ein) gradlinig eine Geschichte erzählt, sondern Freistellen in den Texten hat, wo jede als Leser aktiv werden muss, und das ist auch ein Gedanke, den Lagercrantz stark in seinem Buch gemacht hat."
Olof Lagercrantz: "Ich beobachtete einmal einen Einjährigen, der einem Schmetterling nachrannte und e-li rief, eben das, was er von dem Wort Schmetterling zustande brachte. Ich fragte mich damals, ob das Insekt im Bewusstsein des Einjährigen voll entwickelt war oder ob die Flügel des Schmetterlings sich erst dann in ihrer ganzen Pracht entfalteten, wenn auch das Wort seine Form erhalten hatte. Die Antwort weiß ich nicht."
In den Bibliotheken gibt es nicht nur Bücher in mehr als 60 Sprachen, sondern auch Musik, Computerspiele, Filme, Zeitschriften, Comics, Tageszeitungen, es gibt auch Ausstellungen, Veranstaltungen und Kurse. Ein Stadtbibliothek hat in etwa eine Million Besucher pro Jahr. Es gibt freies WLAN und manche ziehen sich die Schuhe aus, wenn sie lesen.
Sophie Wennersscheid: "Wenn man danach fragt, ob Literatur gesellschaftliche Wirkung hat, diese Frage lässt sich sehr schwer beantworten, weil ich glaube diese Wirkung ist nie so eins zu eins in der Gesellschaft abzulesen. Das, was Literatur in erster Linie machen kann, ist, dass sie ihre Leser, ihre Leserinnen gedanklich in Bewegung setzt und je mehr Publikum oder eine je größere Anzahl von Einzellesern gedanklich in Bewegung gesetzt wird, desto mehr passiert auch auf der gesamtgesellschaftlichen Ebene. Ich glaube, die meiste Literatur, die kann es schaffen zu provozieren und zum Nachdenken anzuregen, es muss nicht gleich in Gesetzesänderungen oder Reformen sich darstellen oder da den Effekt zeitigen, es ist ein langsamer Prozess, aber ein Prozess, in dem Literatur ganz bestimmt eine wichtige Rolle spielt."
Hassen Khemiris: "Heute habe ich eine Theorie über Schweden und Ausländer an der Schule rausphilosophiert. Man kann sagen, dass es drei Sorten Schweden gibt. Erst mal sind da die Luxusschweden, die Mafia spielen, aber auf Schwedenart. Die haben teure Marken an, deren Logos aber trotzdem kleiner und nicht so gut sichtbar sind wie die teuren Ausländer-Marken (die Kanaken spielen reich sein einfach ehrlicher). Die Luxusschweden haben Östra-Kleider mit echtem Lacoste und niemals eine Diesel aus Estland. Als Beispiel kann man Philip nehmen, der oft mit einem weißen Poloshirt zur Schule softet, oder Anna und Jessica, die glänzende Weiberstiefel haben und niemals fettige Haare. Auch Lena und Peder gehören dazu, denn die würden es nie wagen, Kleider zu tragen, die auffallen.
Trotzdem sind die Luxusschweden echt wenige, denn fast alle in der Schule gehören zu den Flippies, die in Zigeunerklamotten rumlaufen mit kaputten Lederjacken und Jeans mit maximal vielen Löchern. Oft herrscht bei denen in den Haaren totales Chaos, und die Mädchen haben manchmal lange rote Samtröcke und karierte Strümpfe. Wenn man einer von denen werden will, dann muss man sagen, die Russen machen die beste Poesie und man muss Bob Hund hören anstelle von Snoop Doggy Dogg.
Außerdem muss man wie David, Stefan und Karro ganz stolz verkünden, dass man die Kleider im Secondhand gekauft hat! Klar, dass da kein Kanake dabei sein will, außer Mårten (dessen Eltern aus Polen kommen).
Nicole gehört auch dazu, aber sogar die Flippies kucken schon mal schief, wenn sie in Gummistiefeln mit orangefarbenem Overall zur Schule schlurft (auch die haben eben ihre Grenzen). Außerdem fange ich an zu glauben, dass die Flippies auch falsch spielen, denn die haben immer jede Menge Kohle für die Pause und so, und von den Eltern sitzt keiner im Knast oder geht putzen.
Die dritte Sorte Schweden sind die aus der Tanzklasse, die sieht man aber nicht oft in der Schule, denn die meiste Zeit hängen sie oben im Ballettsaal rum und trainieren Drehungen. Die Mädels sind superdünn und haben einen Dutt, und die Typen sind vielleicht vier oder fünf pro Klasse und reichen auf dem Schulfoto immer ein Lächeln rein wie richtige Schwule. Alle aus der Tanzklasse gehen mit den Zehen nach außen und einem Rücken so grade wie das krasseste Brett.
Ausländer gibt es auf der Schule nicht so viele, aber trotzdem gibt es von denen zwei Varianten. Nummer eins sind die üblichen Ausländer: Lans, Diebe, Schieber und Stressmacher. Als Beispiel kann man Sebastian und Angelo nehmen. In Skäri war das Beste Beispiel Alonzo, denn der hat Juan gezeigt, wie man beim Kiosk Kaugummi für 50 Öre kauft, nachdem man Snickers und Twix in den Jackenärmel hat verschwinden lassen. Von ihm weiß ich, wie man Zivilbullen in Menschenmengen erkennt und wie man Soft-Air-Pistolen zu richtigen Waffen frisiert.
Ausländersorte Nummer zwei sind die Fleißtypen, die für Tests lernen und feine Wörter benutzen und niemals schwarzfahren oder was klauen. Als Beispiel haben wir die Zwillinge Faud und Fadi und alle anderen Iraner, die die Lehrer schmieren und Zahnärzte und Ingenieure werden wollen. Sie glauben, sie werden respektiert, aber eigentlich lachen alle Lehrer nur über die, denn jeder merkt, dass die nicht klarkommen.
Aber heute habe ich rausphilosophiert, dass es noch eine dritte Sorte Ausländer gibt, die ganz allein steht, und das ist die, die von den Schweden am meisten gehasst wird: der Revolutionskanake, der Gedankensultan, der alle Lügen durchschaut und sich nie leimen lässt. Ungefähr wie al-Kindi, der alle Codes knackte und mehrere Tausend voll harte Bücher über Astronomie und Philosophie und auch noch über Mathe und Musik schrieb. Letztes Jahr war ich wohl mehr der Lan, aber von heute an schwöre ich, dass ich der Gedankensultan sein werde."